Wie zwei Österreicher ungewöhnliche Zugreisen organisieren

Die letzten Meter einer sehr langen Bahnreise führen durch die Train Street in Hanoi. Elias Bohun hat sie live erlebt.
Die beiden Eisenbahn-Fans Matthias und Elias Bohun besetzen eine Marktlücke: Vater und Sohn buchen für Menschen mit Flugscham internationale Zugfahrkarten.
Von Uwe Mauch

Mit der Bahn nach Narvik? Lissabon? Singapur? Casablanca? „Gar kein Problem“, sagen Matthias und Elias Bohun. Vater und Sohn wissen, wie man heutzutage mit dem Zug in die Ferne gelangt. Die beiden Mödlinger sind selbst für ihr Leben gerne auf Schienen unterwegs. Zu Jahresbeginn haben sie gemeinsam das virtuelle Reisebüro Traivelling eröffnet. Dort geben sie nun ihre Eisenbahn-Erfahrungen und ihr Know-how kommerziell weiter.

Wer schon einmal versucht hat, eine Fahrkarte nach Paris, Madrid oder Belgrad zu kaufen, weiß: Die private Expertise der Bohuns wird heute dringender benötigt denn je. Selbst ausgewiesene Fachleute an den Ticket-Schaltern und in den Reisebüros der Österreichischen Bundesbahnen geraten schnell an die Grenzen des im Internet Möglichen.

Wie zwei Österreicher ungewöhnliche Zugreisen organisieren

Die beiden Mödlinger Elias und Matthias Bohun, hier auf dem Wiener Hauptbahnhof.

Neue Grenzen innerhalb der EU

Ein gemeinsamer Blick auf die Fahrpläne, die auf den Bahnsteigen des Wiener Hauptbahnhofs aushängen, zeigt schnell: Wien liegt zwar in der Mitte Europas und besitzt auch einen repräsentativen Bahnhof. Doch direkte internationale Züge fahren von hier nur nach Zürich, Brüssel, Berlin, Warschau, Kiew, Bukarest, Zagreb, Ljubljana, Rom. Weiter kommt man ohne Umsteigen nicht (mehr).

Vater Matthias, Jahrgang 1972, erinnert sich noch gut an seine ersten Reisen mit Interrail. Und er wundert sich über eine offensichtliche Rückwärtsentwicklung: „Damals war Österreich noch nicht Mitglied der Europäischen Union. Politischen Aktionismus und Aufregung über den Klimawandel gab es auch nicht. Aber zu international gültigen Fahrkarten kam man viel leichter als heute.“

Sohn Elias, Jahrgang 2000, profitiert somit unfreiwillig von der Abschottung privater ebenso wie nationaler Eisenbahn-Gesellschaften: „Ursprünglich wollte ich Reisenden helfen, Fernfahrten nach Asien oder Nordafrika zu buchen. Doch schon die ersten Anfragen haben uns gezeigt, dass die Leute bereits Probleme bekommen, wenn sie mit dem Zug von Österreich nach London fahren wollen.“

Mit beiden Beinen auf dem Boden

Die Geschäftsidee kam dem heute Zwanzigjährigen auf einer längeren Reise nach seiner Matura: „Eigentlich wollte ich mit meiner damaligen Freundin nach Sri Lanka fliegen. Die Tickets hatten wir bereits.“ Aber dann habe er ein schlechtes Gewissen bekommen: „Man kann nicht gegen die dritte Flugpiste in Schwechat und für den Klimaschutz sein und gleichzeitig in der Welt herumjetten.“

Elias Bohun bekam für die Flugtickets keinen Cent rückerstattet. Die Planung seiner Zugreise bis Hanoi hat ihn zudem drei Monate seiner Lebenszeit gekostet. Dennoch blieb er bei seinem persönlichen Kurswechsel.

Die Fahrt hin und retour war im Vergleich zur Planung mit fünf Wochen deutlich kürzer. Unterwegs in unvergesslichen Zügen durch Ungarn, die Ukraine, Russland („sehr pünktlich“), Kasachstan („sehr modern“), China („sehr abwechslungsreich“) und Vietnam („im Nachtzug“) wurde er a) bewundert sowie b) öfters um Rat gefragt. „Da wurde mir schnell klar, dass ich ein Betätigungsfeld für mich gefunden habe.“

Die Idee ist dann während seines Zivildienstes beim Verkehrsclub Österreich weiter gereift, wo man ihn am Ende weiter bestärkt hat. Zusätzliches Glück hatte der junge Mann in der Person seines Vaters. Dank seiner guten Erinnerung an die alten Interrail-Zeiten war der Gymnasiallehrer und Outdoor-Trainer Matthias Bohun sofort für die Idee und das Geschäftsmodell zu begeistern.

Er ist damit gut gefahren: Als die Geschäftsidee seines Filius im Herbst des Vorjahres publik wurde, ging die Story der beiden Mödlinger buchstäblich um die Welt. Medien aus nah und aus fern berichteten über dieses alternative Angebot für Menschen, die vom Fliegen genug haben und dennoch nicht auf das Reisen verzichten wollen. Und bevor der Laden im Internet richtig eingerichtet war, trudelten schon Hunderte Anfragen und Voranmeldungen ein.

Uwe aus Hamburg: Kunde Nr. 1

Inzwischen haben die Bohuns neben den Österreichischen Bundesbahnen Vertragspartner in etlichen Bahn-Ländern, über die sie direkt zu Fahrkarten und Abholvoucher kommen können. Den Vorteil für ihre Kundschaft erklärt der Junior nachvollziehbar: „Sie müssen nicht tagelang im Internet recherchieren und am Ende so wie ich zittern, dass ihre Tickets in irgendeinem Hotel hinterlegt sind. Wir stellen ihnen alle Unterlagen vor Antritt der Reise zur Verfügung bzw. lassen sie verlässlich vor Ort hinterlegen.“

Für ihre Vermittlungsdienste verlangen die beiden Jung-Unternehmer fünfzehn Prozent des jeweiligen Ticketpreises plus 25 bis 75 Euro abhängig vom jeweiligen Arbeitsaufwand.

Knapp 3.000 Menschen haben bisher angefragt, sechzig haben bereits gebucht. Uwe aus Hamburg scheint in ihren Unterlagen als Kunde Nr. 1 auf. Und er hat auch schon Fotos von seiner Fahrt an den Aralsee via Instagram gepostet.

Das Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten kennt Matthias Bohun aus erster Hand. Einige Anfragende müsse er daher „leider“ in die Bahn-Schranken weisen: „Die Fahrt von Sofia nach Wien dauert nun einmal zweieinhalb Tage. Es gibt keine Anschlüsse am selben Tag. Somit muss man einmal in Belgrad und einmal in Zagreb übernachten.“ Seine Hoffnung: „Dass irgendwann die Nachfrage der Konsumenten so groß sein wird, dass gar nichts anderes übrig bleibt, als mehr Geld in die Bahn zu investieren.“ Ob er das noch erleben wird?

Sohn Elias berichtet indes, dass die meisten Kunden Verständnis zeigen. Auch jene Reisegruppe, die von Budapest bis Belfast sage und schreibe vierzig Stunden lang unterwegs war. Was ihn besonders freut: „Dass zuletzt auch Schulen bei uns angerufen haben, mit dem Hinweis, dass die Kinder nicht mehr fliegen wollen.“

Wie zwei Österreicher ungewöhnliche Zugreisen organisieren

Vorgefertigte Pakete
Für die beliebtesten Routen gibt es vorgefertigte Pakete. Die Bohuns buchen die Reise von Anfang bis Ende und schicken dann die Tickets zu

Individuelle Reiseroute
Wer die Bahnreise speziell planen will, mailt eine Anfrage. Die Bohuns erstellen dann die Reisedaten, die Route sowie die Kosten. Nach erfolgreicher Buchung erhält der Kunde eine Bestätigung sowie einen Reiseplan mit allen wichtigen Informationen per Mail

Hinterlegte Tickets
Meist besteht eine Zugreise aus mehreren Tickets und Reservierungsbestätigungen. Außerhalb von Europa und auf dem Balkan gibt es oft nur Papiertickets, PDF-Vorlagen und Abholvoucher, die auf  Bahnhöfen hinterlegt werden

Vermittlungsgebühr
Besteht aus zwei Teilen: 15 Prozent der Ticketkosten und ein für das jeweilige Angebot berechneter Betrag, der sich nach der Arbeitszeit richtet. Infos: traivelling.com

Kommentare