Wege der Völkerverständigung: Weitwandern in Bosnien

Wege der Völkerverständigung: Weitwandern in Bosnien
Wilde Berge, unberührte Natur und außergewöhnliche Begegnungen mit Menschen und Tieren: Bosnien und Herzegowina ist ein nahe gelegener Geheimtipp für Wanderfreunde, die Ruhe und Einsamkeit suchen.

Der greise Opa lässt Bergführer Benjamin Jusić übersetzen: „Das sind tolle Socken, die hätte ich auch gerne. Wollen wir tauschen?“ Er zeigt grinsend auf die „Five-Finger-Barfußschuhe“ einer Teilnehmerin unserer Wandergruppe. Der Opa hingegen trägt derbe, handgestrickte Socken, die schon beim Hinschauen kratzen. Buntgemusterte Wollsocken sind offensichtlich der Souvenir-Verkaufsschlager im bosnischen Gebirgsdorf Lukomir.

Lukomir ist von Wien zwar nur eine Flugstunde (nach Sarajevo) plus eine Autostunde (ins Bergdorf Umoljani) plus eine Halbtagswanderung entlang der Rakitnica-Schlucht entfernt – und doch eine Reise in die Vergangenheit. Der muslimische Weiler in den Bjelasnica-Bergen im Dinarischen Gebirge ist eine Ansiedlung aus archaischen Steinhäusern mit auffallend spitzen Dächern, um den winterlichen Schneemassen standzuhalten. Ursprünglich aus Weichselholzschindeln, mischt heute auch rostiges Blech mit.

Wege der Völkerverständigung: Weitwandern in Bosnien

Erst 2004 wurde die Schotterstraße herauf auf 1.467 Meter Seehöhe gebaut. Bis vor vier Jahren war Lukomir dauerhaft bewohnt – als höchstgelegene Siedlung von Bosnien-Herzegowina. Doch dann verstarb hochbetagt der letzte Winter-Sesshafte namens Omer und das Bergnest mutierte zur einzigen erhaltenen Halbnomaden-Siedlung des jungen Balkanlandes. Im Sommer kehren viele Dorfbewohner zurück, die Frauen stricken, die Männer schnitzen Holzlöffel und im urigen Gasthof Letnja Basta werden köstliche Burek und Sirnica (Teigschnecken mit Fleisch oder Frischkäse gefüllt) aus dem Holzofen serviert. So, wie vor hundert Jahren auch. Im Balkankrieg (1992 bis 1996) hatte Lukomir Glück: Dank seiner einschichtigen Lage blieb es von den Kampfhandlungen der Umgebung verschont.

Kulturhistorisch interessant sind die „Stećci“, rätselhafte Megalith-Grabsteine aus dem elften bis fünfzehnten Jahrhundert der Bogomilen, einer papstkritischen christlichen Religionsgemeinschaft. Von diesen tonnenschweren, spärlich erforschten Blöcken mit verwitterten Inschriften sind im ganzen Land noch etwa 70.000 erhalten, 4.000 davon wurden 2016 in die UNESCO-Welterbeliste aufgenommen.

Wege der Völkerverständigung: Weitwandern in Bosnien

In den Bjelasnica-Bergen beginnt gerade bescheidener Bergtourismus, Hochlanddörfer wie Lukomir, Umoljani, Tusila oder Bobovica laden mit kleinen, familiären Gästehäusern ein. Sie bieten keinen Luxus, aber gemütliche, saubere Zimmer und gute Küche. Unsere zehnköpfige Gruppe des Grazer Reiseveranstalters Weltweitwandern gehört zu den Wander-Pionieren und fühlte sich in der Pansion Umoljani sehr wohl.

Wer dem Trubel der Tiroler Berge und der Hüttengaudi entfliehen möchte, der ist in Bosnien definitiv richtig. Bergesruhe, Stille, Ursprünglichkeit und unberührte Natur sind hier keine Werbeslogans, sondern Realität. Nur zögerlich schwappt der mitteleuropäische Wanderboom herüber: Wege werden zunehmend gepflegt und markiert und die Einheimischen – zumindest die städtische Jugend – entdeckt langsam die Schönheiten der Natur.

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Ausländer finden sich allerdings nur schwer allein zurecht, es mangelt an Wanderkarten sowie Wegweisern, und Englisch oder Deutsch spricht am Land so gut wie niemand. Leider ist auch das Thema Landminen stellenweise immer noch traurige Realität. Doch Benjamin relativiert: „Ausgewiesene Wege sind definitiv sicher und eventuelle Gefahrengebiete werden deutlich sichtbar abgesperrt!“

Gipfelsturm und Reptilienkunde

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Souverän von Benjamin geleitet, ziehen wir sieben Tage lang durch die wildromantische Gebirgswelt Bosniens und der Herzegowina. Der bärenstarke Lackel, der in seinem Rucksack stets Kaffee und Süßigkeiten für alle mitschleppt, ist studierter Biologe, Fachgebiet Herpetologie (Amphibien- und Reptilienkunde). Als solcher springt er mehrmals täglich ins Unterholz, um uns gleich darauf triumphierend Schlangen aller Art unter die Nase zu halten. Wir lernen: Glatt- und Schlingnattern sind ungiftig (die dürfen wir sogar „streicheln“), Karstottern giftig, Hornvipern extrem giftig. Der Fang einer überaus seltenen Roten Hornviper versetzt Benjamin in Entzücken – und uns in gruseliges Schaudern. So erhalten wir (teils mit gehörigem Respektabstand) kurzweilige Fürchte-dich-nicht-Lektionen.

Höchster Berg Bosniens ist der Maglić (2.386 Meter) – somit ein prädestiniertes Ziel für superlativgierige Summit-Jäger. Zugegeben: Er ist lange nicht so spektakulär wie der Großglockner, dafür müssen Alpinisten für den Gipfelsturm auch nicht Schlange stehen. Die Tour ist anstrengend und lang, samt kleiner Kletterei, aber sehr lohnend und der Ausblick vom Gipfel beglückt: Da gibt es ausgedehnte Wälder, blaue Seen, bizarre Felszacken, schroffe Grate und grüne Blumenwiesen zu sehen. Sonst nichts! Keine Straßen, keine Stromleitungen, kein Dorf – nur Einsamkeit, Wildnis und Weite. Und spektakuläre Sutjeska-Kalkformationen.

Der Sutjeska-Nationalpark ist einer von dreien in Bosnien-Herzegowina (neben dem Kozara- und UNO-Schutzgebiet), zu ihm gehört auch der Perućica-Urwald. Dieser größte Urwald Europas beherbergt eine immense Artenvielfalt, inklusive europäischem Braunbär. Doch statt Meister Petz läuft uns wieder mal eine Karstotter über den Weg. Danke Benjamin, kennen wir schon!

Nachwehen des Kriegs

Nicht nur in der faszinierenden Hauptstadt Sarajevo (unbedingt besuchen – siehe Tipp unten), auch in den recht tristen Dörfern entlang der Verkehrswege sind die Wunden des Balkankrieges immer noch sichtbar, viele Häuser erinnern mit ihren Schusslöchern an Emmentaler-Käse.

Die Spannungen zwischen den drei Ethnien (Bosniaken, Serben, Kroaten) und vier Religionen (Muslime, Juden, katholische und orthodoxe Christen) sind bis heute nicht gelöst, sondern nur unterdrückt. „Es ist ein fragiler Friede“ seufzt Benjamin – und ergänzt: „Ein gängiges Sprichwort, das wir auch bei harmlosen Diskussionen verwenden, sagt alles: ‚Hauptsache, es wird nicht geschossen‘!“

Das stimmt den Gast nachdenklich. Und lässt die Hoffnung aufkeimen, dass der gerade entstehende Wandertourismus tatsächlich die Völker verbinden könnte.

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Klimafreundliche Anreise
Austrian Airlines  fliegt wieder Wien–Sarajevo, dreimal pro Woche, ab Ende Juli zehnmal wöchentlich. austrian.com.
-Kompensation via atmosfair.de: 10 €;  Flixbus
(12 bis 14 Stunden Fahrzeit, ab 29 €, flixbus.com)

Schlafen
In den Bergdörfern laden einfache, aber gemütliche Privatpensionen ein, die Küche ist gut und reichhaltig – z. B. Pansion Umoljani
(Tel. +387 61 228 142) oder Guesthouse Letnja Basta in Lukomir (DZ mit F ab 32 €; zu buchen über booking.com)

Hoteltipp Sarajevo
Isa Begov Hamam Hotel 4*: stilvolles, historisches Gebäude in der Altstadt; osmanische Möbel, handgeknüpfte Teppiche, türkisches Frühstück, Sauna, Whirlpool, Hamam. DZ mit F ab 80 €, isabegovhotel.com

Reisetipp
Geführte Wanderreise „Bosnische Bergwelten“ des Grazer Outdoor-Spezialisten Weltweitwandern: 9 Tage (davon 7 Wandertage, mittelschwere bis anspruchsvolle Touren, je 5 bis 9 Stunden) mit Flug, erweiterter HP, Transfers, Besichtigungen und deutschsprachigem Wanderführer ab 1.550 €/P., weltweitwandern.com/bag01

Auskunft
bhtourism.ba/ger

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Mostar

Die bildschöne, türkisch-dalmatinische Stadt Mostar aus dem 15. Jahrhundert erlangte im Balkankrieg (1992 bis 1995) traurige Berühmtheit: sie wurde als einzige von zwei Fronten (Serben und Kroaten) angegriffen und am meisten zerstört – inklusive der Stari Most (Alten Brücke). Heute ist die Altstadt sowie mittelalterliche Bogenbrücke liebevoll rekonstruiert - das Brückenmuseum erzählt die Geschichte und Brückenspringer buhlen um Aufmerksamkeit.

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Sarajevo

Die multikulturelle und multiethnische Hauptstadt Sarajevo ist eine faszinierende Mischung – halb Istanbul, halb Graz. Zu den „Musts“ zählt der Attentat-Schauplatz 1914 an Thronfolger Franz Ferdinand am Fluss Miljacka (samt Museum), das ehemalige monumentale Rathaus Vijećnica, zahlreiche Moscheen (90), Kirchen (20) und drei Synagogen. Die Altstadt gleicht mit vielen Lokalen und Läden einem osmanischen Basar, daran schließt eine typische K&K-Flaniermeile mit klassizistischen Gebäuden an.

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Derwisch-Kloster Blagaj

Das ottomanische Kloster Blagaj aus dem 16. Jahrhundert wurde für den Derwisch-Kult erbaut. Der mystische Ort schmiegt sich an den Fuß einer überhängenden, 200 Meter hohe Felswand, im Berg entspringt die Quelle des Flusses Buna im Berg – angeblich Europas größtes Wasserreservoir (Bootsfahrten werden angeboten). Am Wasser warten zahlreiche gute Restaurants, über dem Kloster ein stilvoller Klettergarten.

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