Prag: Spaziergang in Kafkas kleinem Kreis
Ein Franzose erklärt in Prag einem Österreicher Kafka. Eine ungewöhnliche Versuchsanordnung. Aber sie gelingt.
Schriftsteller Franz Kafka – geboren am 3. Juli 1883 in Prag – pflegte eine Hassliebe zu seiner Stadt. „Er ist zig Mal umgezogen, hat die Stadt aber nie wirklich verlassen“, erzählt Guillaume Vergne. Der Franzose verliebte sich vor sieben Jahren in eine Tschechin, lebt seitdem in Prag. Um mit Kafka zu sprechen: Prag lässt nicht los. Dieses Mütterchen hat Krallen.
Dass der Deutsch- und Philosophie-Lehrer – Spiegelglatze, grauer Vollbart – leidenschaftliches Interesse an Kafka hat, fügt sich in seiner neuen Heimat gut. Er arbeitet als Tour-Guide in der Moldaumetropole und teilt mit Inbrunst sein Wissen über den Ausnahme-Schriftsteller. Es sei aber keine „Obsession, eher eine Faszination“, so Vergne – und lässt mit einer Kunstpause offen, ob er nicht doch ersteres meint.
Kafka verbrachte den Großteil seines Lebens in Prag, ja, sein Leben spielte sich am und in der Nähe des zentralen Altstädter Rings ab: So wohnte die Familie drei Jahre im Haus Minuta, das den Großen vom Kleinen Altstädter Ring trennt. Die Fassade des Gebäudes besitzt beeindruckende Sgraffiti, die biblische und antike Mythen zeigen. Obwohl vor 1615 angebracht, waren sie zu der Zeit, als die Familie Kafka hier wohnte, übertüncht. In diesen Jahren besuchte Kafka die Deutsche Knabenschule am Fleischmarkt. Vom Haus Minuta geht man am Rathaus des Altstädter Rings vorbei, quer über den Altstädter Ring, in die schlauchartige Teyngasse, um dann links in die Mala Stupartska abzubiegen. An deren Ende geht man rechts in die Masná (früher: Fleischmarktgasse).
An der Deutschen Universität Prag schloss Kafka sein Rechtsstudium ab, gerne suchte er auch die Schwimmschulen am Moldauufer auf. 1916 und 1917 lebte er sogar auf der anderen Moldauuferseite, im Goldenen Gässchen (Bild unterhalb) an der Innenmauer der Prager Burg. Und so ließe sich die Liste fortsetzen.
Letztlich liegt Kafka, der in einem Sanatorium in Kierling bei Klosterneuburg verstarb, am Neuen Jüdischen Friedhof begraben. Der schlanke Grabstein mit hebräischer Inschrift liegt rechts vom Eingang, zweihundert Meter vom Pförtnerhaus entfernt (Linie A, Metrostation Želivského).
Zwei Skulpturen wurden erst in diesem Jahrhundert aufgestellt: Eine elf Meter hohe und 39 Tonnen schwere Büste Kafkas steht neben dem Einkaufszentrum Quadrio, über der Metrostation Národní. 42 dank Motorantrieb bewegliche Ebenen der Skulptur formen das Gesicht (Bild ganz oben).
Unscheinbarer ist eine kleinere, aber rätselhafte Statue aus Bronze, die vor dem Geburtshaus steht. Die Figur zeigt Kafka auf den Schultern eines arm- und kopflosen Mannes.
In drei Jahren jährt sich Kafkas Todestag zum 100. Mal. Monsieur Guillaume wird auch dann Touristen auf den Spuren Kafkas begleiten. Denn: In diesem kleinen Kreis ist mein ganzes Leben eingeschlossen.
Neuer Jüdischer Friedhof: Das Grab des Schriftstellers gehört zu den zumeist aufgesuchten Plätzen
Ausstellung: Welt von Franz Kafka, im Keller des Prager Stadtrats, tägl. 11–19 Uhr, franzkafkaworld.com
Museum: „Stadt K. Franz Kafka und Prag“ im Franz-Kafka-Museum am Moldauufer auf der Kleinseite. In der Ausstellung sind Tagebücher, Fotografien und viele Erstausgaben von Kafkas Werken zu sehen
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