Interrail damals und heute: Was sich geändert hat

Interrail damals und heute: Was sich geändert hat
Mit 27 ist noch lange nicht Schluss. Das war einmal. Interrail ohne Alterslimit ist in Zeiten von Flugscham auch eine Alternative für ältere Semester. Wer die richtige Taktik anwendet, kann höchst komfortabel reisen – sogar in Hochgeschwindigkeitszügen und in der Ersten Klasse. Ein Vergleich.

Ein glühend heißer Augustnachmittag auf dem Bahnhof von Paris. Der Nachtzug nach Nizza füllt sich rasant. Der Liegewagen mit der reservierten Couchette war schnell gefunden, der Rucksack ins Gepäcknetz gewuchtet. Zum Glück, denn dann kam sie, die Pariser Familie: Maman, Papa, Oma, Opa, zwei Kinder – und ein Papagei in einem Riesenkäfig. Dazu natürlich eine beachtliche Menge an Gepäck. Wie sollten sieben Menschen, ein Vogel und die vielen Koffer und Taschen in dieses Abteil mit den sechs schmalen, übereinandergestapelten Liegen passen? Irgendwie passte es und sogar die Türe ging wunderbarerweise auch zu. Es wurde halt eine laute und heiße Nacht, in der man viel über das Leben einer französischen Familie erfuhr, ehe man im mondänen Ort an der Côte d’Azur nach einer gar nicht mondänen Reise gerädert und übernächtigt aus dem Zug kletterte.

So war Interrail anno 1976. In einer Zeit, in der Flugreisen für junge Menschen fast unleistbar waren. Ein Ticket nach Kreta oder wo es einen sonst hinzog, kostete in etwa so viel wie ein (bescheidenes) Monatseinkommen. Also mit dem Zug fahren und das möglichst bald. Denn mit 27 Jahren war damals Schluss. Bis zu diesem Alterslimit allerdings konnte man um den Bruchteil des Preises eines einzelnen Flugtickets einen ganzen Monat lang kreuz und quer durch Europa und sogar bis nach Marokko reisen.

Abenteuer, die nicht nur im Kopf waren. Komfort war ohnehin Nebensache und die Strategie war klar: Für längere Fahrten wählte man den Nachtzug, denn so ersparte man sich die Kosten für eine Übernachtung im Hotel. Das war es jedenfalls wert, wenn man im Morgengrauen mit ungeputzten Zähnen auf irgendeinem Bahnhof den Rucksack schulterte und sich aufmachte, einen neuen, unbekannten Ort zu erkunden.

Interrail damals und heute: Was sich geändert hat

Mehr als 40 Jahre später zeigt die Digital-Anzeige im ICE von Frankfurt nach Nürnberg 318 km/h. Wie schnell das ist, hat man in den bequemen Ledersitzen des Erste-Klasse-Großraumwagens gar nicht bemerkt. Aber nach dem Aufstehen braucht man schon beide Hände, um nicht umzufallen, wenn sich der Zug in die Kurve legt. Der Bordservice mit seinem Wagerl bietet Speisen und Getränke, Zeitungen sind gratis.

Senioren reisen fast ebenso günstig

ICE? Erste Klasse? Und ziemlich erwachsene Fahrgäste? Wie das mit Interrail zusammengeht? Tatsache ist, dass heute mit 27 noch lange nicht Schluss ist. Das strikte Alterslimit für ein Interrailticket ist schon lange gefallen, nicht erst, seit die schwedische Schülerin Greta Thunberg für den Klimaschutz durch die Lande zieht und das Schlagwort von der Flugscham sogar schon die Stammtische erreicht hat. Senioren ab 60 reisen sogar nahezu ebenso günstig wie Jugendliche und Familien.

Interrail damals und heute: Was sich geändert hat

Keine Angst vor ausgezogenen Schuhen

Interrail bedeutet nicht mehr zwangsläufig, jede Hoffnung auf Komfort aufzugeben. Den Pass gibt es gegen einen Aufpreis auch für die bequeme Erste Klasse und sogar die Hochgeschwindigkeitszüge wie der TGV oder eben die ICE dürfen benutzt werden, sofern man einen Sitzplatz im Voraus reserviert und ebenfalls eine Extragebühr entrichtet hat.

Was sich seit damals noch geändert hat: die olfaktorische Strenge in den Zügen. Früher fragte man sich, wie hartgesotten das Bahnpersonal sein musste, um, ohne eine Miene zu verziehen, die Schiebetür zum Abteil aufzumachen und die Karten zu kontrollieren. Heute braucht man nicht mehr besorgt die Luft anzuhalten, wenn sich die Fahrgäste ihres Schuhwerks entledigen, um es sich bequem zu machen, gesteigerter Hygiene sei Dank.

Noch etwas ist anders, das mag aber womöglich mit dem Alter der Reisenden zusammenhängen. Früher war Interrail kommunikativer. Die Passagiere kamen ins Gespräch, und wenn man einander sympathisch war, konnte es geschehen, dass sich Reisegemeinschaften auf Zeit bildeten. Entweder nur bis zum nächsten oder übernächsten Ziel, Abschiedskaffee in der Bahnhofsresti inklusive, mitunter aber auch für länger. Nicht selten wurden Reisepläne und -routen über den Haufen geworfen und man fuhr ein Stück des Weges gemeinsam. Heute dagegen blieben viele am liebsten allein und versuchen durch geschicktes Verteilen ihrer Habseligkeiten auf den Sitzen neu Zugestiegene davon abzuhalten, Platz zu nehmen.

Drei wichtige Regeln

Taktik ist überhaupt recht hilfreich auf Interrail-Trips. Regel eins: Sei freundlich zum Bahnpersonal, dann ist es auch freundlich zu dir. So wie der belgische Stationsbedienstete mit der orangen Kappe im Bahnhof von Mechelen, einem hübschen Städtchen in Antwerpen. So hübsch die Stadt, so schlicht der Bahnhof. Keine Rolltreppe, kein Lift, um mit Gepäck von einem Bahnsteig zum anderen zu gelangen. Der Mann weiß Rat: Er lotst eine Gruppe von Passagieren durch verwinkelte Gänge im Inneren des Bahnhofs zu einem Lastenaufzug, der wohl schon seit einem Jahrhundert Dienst tut. Trotz des Schilds „Max. 240 kg“ hievt er ächzend gleich sieben Personen mit Taschen und Koffern in die Höhe. Unfallfrei.

Das führt gleich zu Taktikregel Nummer zwei: Reise mit möglichst leichtem Gepäck. Für wirklich große Rucksäcke oder Taschen reicht der Platz fast nie. Außerdem bedeutet Bahnfahren auch, beträchtliche Entfernungen zu Fuß zurückzulegen.

Regel Nummer drei: Digital ist nicht immer besser. Während früher die reservierten Sitzplätze mit kleinen Kärtchen markiert waren, zeigen jetzt die Displays bei jeder Reihe zwar die Sitznummer an, aber nicht mehr, ob dieser Platz reserviert oder frei ist. Sonst kann es passieren, dass man den glücklich ergatterten Platz wieder räumen muss, wenn die Fahrgäste, die ihn reserviert haben, kommen. Dann kann es nämlich zu spät sein, weil auch alle anderen Plätze schon besetzt sind.

Wer Komfort will, muss planen

Das führt schon zu Regel Nummer vier: Je komfortabler und schneller der Zug, desto wichtiger ist eine Reservierung, auch wenn sie nicht vorgeschrieben ist. Überhaupt rund um die Wochenenden. Lieber ein paar Stunden auf den Zug mit dem reservierten Platz warten, als in einen früheren einzusteigen, wie an jenem Freitagnachmittag auf dem Weg von Prag nach Wien. Sobald auf der Anzeigetafel das Gleis des Intercitys aufscheint, setzt sich eine riesige Menschenmenge in Bewegung. Und kaum hat der Zug im Bahnhof angehalten, ist er auch schon voll wie die U1 am Stephansplatz, Montag um 8 Uhr Früh. In den Gängen türmen sich Taschen, dazwischen versuchen Menschen, sich an den Gepäcksnetzen festzuhalten. An ein Weitergehen, ob sich vielleicht doch noch irgendwo ein Plätzchen findet, ist nicht mehr zu denken.

Das erinnert schon wieder an die ersten Interrailerfahrungen als Teenager – vor langer, langer Zeit. Trotzdem will man sich nicht mehr zu den jungen Mädchen und Burschen gesellen, die es sich auf der Plattform vor der WC-Türe auf dem Boden gemütlich gemacht haben und alle zwei Minuten zur Seite rücken müssen. Aber das ist wohl tatsächlich eine Frage des Alters.

Wer darf fahren?
Kinder von  4 bis 11 Jahren, Jugendliche von 12 bis 27, Erwachsene über 28 und Senioren über 60

Wo darf man fahren?
In  Zügen in 31 Ländern Europas, das Ticket gilt auch für  zahlreiche Fähren von Skandinavien bis Griechenland. Für Hochgeschwindigkeitszüge wie den TGV in Frankreich oder andere sind Zuschläge von 9 bis 65 € zu bezahlen

Was kostet das Ticket?
Ein paar Preisbeispiele: Jugendliche zahlen für 7 Reisetage innerhalb eines Monats in der Zweiten Klasse 258 € (1. Klasse 343 €), Erwachsene 335 € (1. Klasse 446 €), Senioren 302 € (1. Klasse 401€). Ein Zweimonatsticket, mit  dem man beliebig oft fahren darf, kostet für Jugendliche 562 €, für Erwachsene 731 € und für Senioren 658 €

Wo wird gebucht?
interrail.eu/de

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