Mittendrin im Bermudadreieck
Das Bier und die Temple Bar. Man kann ein Guinness – oder ein Kilkenny – natürlich auch woanders trinken. Aber ohne Abstecher in das rot gestrichene Pub im Zentrum von Dublins Bermudadreieck macht ein verlängertes Wochenende in Irlands Hauptstadt wenig Sinn. Das würde Bono ebenso sehen. Und der Sänger besitzt mit seiner Band immerhin ein eigenes Pub, samt Hotel – das Clarence am Wellington Kai. Doch in der Temple Bar, dem Wahrzeichen mit der sagenhaften Auswahl an Whiskeys – man munkelt, dass es 450 Sorten sind –, ist man eben mittendrin.
Dublin empfängt einen vom Start weg so fußgängerfreundlich kompakt, dass man sich eigentlich an jeder Stelle der 500.000-Einwohner-Stadt mittendrin befindet. Im mittelalterlichen Trinity College, wo der österreichische Physik-Nobelpreisträger Erwin Schrödinger 1943 seine berühmten Vorlesungen gehalten hat. Auf der Grafton Street, wo ein gewisser Glen Hansard stundenlang für ein paar Cent Gitarre klimperte, bevor er 2008 für den Film „Once“ in Los Angeles mit dem Oscar ausgezeichnet wurde. Oder am Merrion Square, wo Oscar Wilde bunt gewandet schelmisch von einem Felsen grinst.
Mittendrin fühlt man sich auch, wenn man auf den Spuren von James Joyce’ Jahrhundertheld „Ulysses“ ins Fischerstädtchen Howth pilgert. Und ebendort zum Martello Tower stiefelt, um einen einzigartigen Blick über die Bucht von Dublin zu genießen.
Prost auf den Hl. Patrick
Ein paar Tage noch, dann wird hier der St. Patrick’s Day gefeiert. Heuer etwas leiser, denn wegen des Coronavirus wurden nach reiflicher Überlegung die großen Paraden in Dublin und auch in Cork, der zweitgrößten Stadt Irlands, abgesagt. Der Nationalheilige, der ehemalige Missionar Magonus Sucatus Patricius, wird am 17. März dennoch hochgehalten werden. Denn die Iren wären nicht Iren, würden sie diese Gelegenheit vorüberziehen lassen. Und es ist auch egal, ob der heilige Patrick dem Genuss des Gerstensafts frönte. An so einem Feiertag wird der irische Nationalheilige kurzerhand in die Community der Biertrinker eingemeindet. Cheers!
Selbst wenn Barkeeper Dylan gerne noch ein drittes Pint rüberreichen würde, empfiehlt sich Mäßigung. Am nächsten Tag soll es ja genauso weitergehen. Neben dem Abstecher zur Temple Bar sind die Besuche des Stammhauses der Whiskey-Marke Jameson sowie der siebenstöckigen Kathedrale des schwarzen Goldes, der Guinness-Brauerei, ein absolutes Muss. Lassen Sie sich nicht von den Raunzereien in den sozialen Medien über Warteschlangen und Eintrittspreise abschrecken: Wer in die Kulturgeschichte der Iren eintauchen will, muss hier durch. Aber keine Angst, dass Sie an diesem Wochenende eventuell ein paar Gläser zu viel kippen könnten. An Gelegenheiten dazu mangelt es ja nicht.
Mit dem Besuch einer weiteren Institution, dem Bewley’s Tee- und Kaffeesalon auf der Grafton Street, steht dann zwischendurch auch ein Ort auf dem Programm, wo man sich höchstens einen Irish Coffee genehmigt.
Teatime in Dublin
Es ist keinesfalls so, dass die Iren ein Volk der Trinker und Partytiger sind. Vielmehr sind sie Dichter und Denker. Und Teetrinker. Mit einem Verbrauch von gut zweihundert Litern Tee pro Person pro Jahr schlagen sie in dieser Disziplin sogar die Engländer mehr als deutlich. Und das quer durch alle Schichten und Klassen.
Wo hockten Sir Bob Geldof und seine Freunde von den Punkband Boomtown Rats zusammen, als sie an ihren ersten Liedern feilten? Nicht in einem Pub, sondern bei Bewley’s. Und wohin zieht es pro Jahr mehr als eine Million Besucher? In das 1927 eröffnete Bewley’s Oriental Café mit der Art-déco-Fassade. Ein Publikumsmagnet mit kulturellem Auftrag: Im oberen Stock befindet sich nämlich das Bewley’s Café Theatre, eine Art Matineebühne, die irische Autoren hochhält.
Will man eine Aufführung besuchen, sollte man darauf achten, in welcher Sprache das Stück gegeben wird. Ein Tipp: Beim irischen Gälisch versteht unsereins nicht einmal Bahnhof.
Zurück zu Tisch, zum Table. Oder besser gesagt: zur Budel. Gerade in den Pubs von Dublin werden Köstlichkeiten serviert, die man anderswo mit Champagner begleitet – Austern etwa. Am besten gleich im Dutzend und mit einer Pint Guinness.
Mhhh, das schmeckt aber fantastisch! Wer bisher meinte, Meeresgetier sei nur mit Weißwein zu servieren, wird in der Heimat von Arthur Guinness eines Besseren belehrt. Wie überhaupt die Küche Irlands viel besser ist, als man glaubt. Irish Stew, der traditionelle Eintopf aus Hammel- oder Lammfleisch, Kartoffeln, Zwiebeln und Petersilie leidet – wie überall – unter der Konkurrenz der Burgergerichte. Kann aber was! Oder Fish and Chips. Das Nationalgericht der Engländer erreicht hier ein solches Niveau, dass Briten angesichts dessen gleich noch blasser würden. Erstens sind die Iren als die führenden Kartoffelesser Europas bemüht, selbst mit dieser scheinbar simplen Speise zu glänzen. Zweitens lassen die Iren keine Gelegenheit aus, gegenüber den Briten Flagge zu zeigen, besser gesagt: Farbe.
Nächstes Jahr sind es hundert Jahre, dass sich die Iren ihre Unabhängigkeit von England erstritten haben. Der lange Nordirland-Konflikt ist mit dem Brexit da und dort erneut aufgeflammt. So ruft man sich auf der Insel auch gerne wieder die unterschiedlichen Erklärungen für die bunten Türen von Dublin in Erinnerung.
Eine Version legt nahe, dass im 18. Jahrhundert bei der Errichtung von Häusern jede Kleinigkeit reglementiert und standardisiert wurde – außer der Anstrich der Haustüre. Um sich vom Nachbarn abzuheben, bemalten demnach viele Dubliner ihre Türen mit knalligen Farben.
Laut einer anderen Version liegt der Grund für den farbenfrohen Look vieler Straßenzüge aber ganz woanders: in der rebellischen Natur der Iren. Als nämlich 1901 die Königin von England, Queen Victoria, starb, sollten als Zeichen der Trauer alle Türen schwarz angestrichen werden. Das brachte die Iren auf eine Idee. Kurzerhand drehten sie den Spieß um – und bemalten ihre Haustüren mit bunter Farbe.
Dieses Bier ist bunt
Zum Glück sind die Engländer nicht gar so nachtragend. Seit einigen Jahren gehört die Brauerei mit der bizarrsten Geschichte – Arthur Guinness hatte 1759 für das Gebäude am St. James Gate einen Pachtvertrag über eine Laufzeit von 9.000 Jahren abgeschlossen – zum britischen Diageo-Getränkekonzern mit Sitz in London.
Traditionellerweise kommt das Guinness dunkel daher. Nur an einem einzigen Tag wechselt es die Farbe. Am 17. März, dem „St. Paddy’s Day“, dem irischen Nationalfeiertag, „trägt“ das Getränk Grün.
Aus Solidarität mit dem irischen Volk wird das irische Bier an diesem Tag in der ganzen Welt in sattem Grün ausgeschenkt. Selbstverständlich auch in Wien – und sogar in London.
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