Ewig lockt das Feuer: Eine Island-Kennerin über den Vulkanausbruch

Prächtige Kulisse: Die Vulkanlandschaft auf Island zieht nicht nur Touristen an
Ein Vulkanausbruch nahe ihrer Hauptstadt Reykjavík begeistert nicht nur die Isländer – die ganze Welt beobachtet, wie es mit dem „Fagradalsfjall“ weitergeht. Dabei heißt der neue Vulkan gar nicht so, erklärt uns eine echte Island-Kennerin, und die Faszination für das flüssige Feuer erklärt sie gleich mit

Und wieder ist Island um eine Attraktion reicher. Seit Ende Februar hatten Zigtausend Erdbeben die Halbinsel Reykjanes im Südwesten der Insel durchgerüttelt – das stärkste mit 5,7 auf der Richterskala. Als Mitte März Satellitenbilder zeigten, dass Magma in einem Kilometer Tiefe einen länglichen Gang aufgeschmolzen hatte, musste man mit einem baldigen Ausbruch rechnen. In der mondgleichen Ödnis von Reykjanes hatte seit über sechshundert Jahren Ruhe geherrscht – abgesehen von Bebenepisoden und brodelndem Schlamm. Nun blickten siebzig Prozent der Bevölkerung einem Ausbruch quasi vor dem Fenster entgegen, liegen doch an der Küste der Halbinsel der Großraum Reykjavík, Keflavík mit dem internationalen Flughafen und das Fischerstädtchen Grindavík. Webcams wurden in Stellung gebracht, banges Warten begann. Würde das Magma unter der Erdoberfläche erkalten, oder ...?

Am 19. März um 20.45 Uhr kam die Nachricht: Eldgos! Vulkanausbruch! Drei Stunden später wusste fast jeder Isländer davon.

In den auch für nichtisländische Zungen leicht zu bildenden Geldingadalir (Hammeltälern) trat aus zwei Öffnungen dünnflüssige basaltische Lava aus und formte schon in den ersten Stunden zwei eng stehende kohlrabenschwarze Krater. Lavaströme schossen auf einen Bach zu und brachten ihn zum Verschwinden. Schon in den kommenden Tagen füllte sich der Talboden mit einem zwanzig Meter mächtigen, glühenden See unter einer schwarzen Kruste. Mittlerweile sind 10,3 Millionen Kubikmeter geflossen und bedecken 0,75 Quadratkilometer.

Ewig lockt das Feuer: Eine Island-Kennerin über den Vulkanausbruch

Als die beiden Krater kurz darauf zusammenwuchsen, frohlockte die geologische Welt: Die Lava entstammt extremer Tiefe (20.000 Meter) und war daher sehr heiß (bis 1.200 Grad). Außerdem schien eine seltene Vulkanform zu entstehen: ein Schildvulkan, auf Island der erste seit drei- bis viertausend Jahren! An breite Schilde erinnernd, bedecken sie große, kreisrunde Flächen, ein Einzelkrater in der Mitte. Doch am Ostermontag öffnete sich eine Spalte, aus der bald dünnflüssige Lava in die benachbarten Meradalir (Stutentäler) schoss. Seit dieser Woche sind insgesamt acht Einzelkrater aktiv, weitere können jederzeit dazukommen.

In Island herrschen Spaltenvulkane vor – mit oder ohne Gletscherbedeckung. Das liegt an der besonderen Lage der Insel als höchster Erhebung des Mittelatlantischen Rückens. Dieser bildet den Saum zwischen Nordamerika und Eurasien und reicht von der Arktis bis in die Antarktis. Da die beiden Kontinentalplatten beständig auseinandergleiten, kann geschmolzenes Material aus dem Erdinneren durch Risse und Kanäle aufsteigen und, statistisch alle fünf Jahre, als Eruption in Erscheinung treten. Wenn Vulkane unter Gletschern ausbrechen – wie 2010 beim Ausbruch des Eyjafjallajökull – entstehen aschegeschwängerte Wasserdampfwolken, die sich in hohen Luftschichten halten und bewegen können. In den Geldingadalir sprudelt hingegen dünnflüssige Lava aus dem Kraterschlund und verteilt sich mit Geschwindigkeiten bis zu acht Metern pro Sekunde.

Geburt einer Sehenswürdigkeit

Kaum hatte die Nachricht vom Ausbruch die Runde gemacht, rasten die Isländer mit ihren Autos zum Vulkanschauen. Die Flut der Schaulustigen war so groß, dass die zivilen Einsatzkräfte bald mit farbigen Holzpflöcken ausrückten, um den besten Pfad durch das unwegsame Gebiet zu markieren und an einer steilen Stelle ein Halteseil anzubringen. Die Straße östlich von Grindavík verwandelte sich zeitweise in einen bis zu fünf Kilometer langen Parkplatz. „Ich habe nicht gewusst, dass Island so viele Einwohner hat“, stöhnt ein freiwilliger Helfer aus dem nahen Grindavík angesichts der Vulkanbesucher. Auch der anstrengende Weg von eineinhalb Stunden pro Strecke hält die Scharen nicht ab. „Es ist fantastisch!“, berichtet Maria Mayböck aus dem oberösterreichischen Taufkirchen begeistert. Die Betriebswirtin einer großen Reederei lebt seit Studientagen in Reykjavík. „Es hätte keinen besseren Ort für einen Ausbruch geben können, relativ nahe der Stadt und dennoch geschützt zwischen den Bergen.“ Wegen einer möglichen Corona-Ansteckung auf dem Weg mache sie sich keine Sorgen, die Isländer seien bekanntlich diszipliniert und rücksichtsvoll.

Ewig lockt das Feuer: Eine Island-Kennerin über den Vulkanausbruch

Selfie mit Vulkankrater: Maria Mayböck mit ihren Töchtern Elísabet und Emma.

Sorgen macht sich eher der unabhängig agierende Krisenstab zur Pandemiebekämpfung, denn immer mehr Touristen reisen für wenige Tage an, um den Vulkan zu sehen. Dadurch umgehen sie die fünftägige Quarantänepflicht, die erst nach einem zweiten Negativtest endet. Hartes Durchgreifen war daher notwendig. So wurde ein Privatjet mit Vulkanbegeisterten abgewiesen, da ihr Zeitplan nicht mit geltenden Regeln vereinbar war. Dabei ist keine Eile geboten, denn der Vulkan – so sind Experten überzeugt – wird noch lange sprudeln.

Liebe und Furcht

Island verdankt seine Existenz vulkanischer Aktivität. Seit der Besiedlung in der Wikingerzeit haben sich die Menschen mit den Naturgewalten arrangiert, doch mussten immer wieder Höfe aufgegeben oder verlegt werden, wenn Asche Weiden unbrauchbar machte oder Häuser begrub. Doch erst einmal ereignete sich ein Ausbruch in dramatischer Nähe

zu einem Wohngebiet: Als sich 1973 auf der vorgelagerten Insel Heimaey eine Vulkanspalte öffnete, regnete es erst Grobasche, dann gerieten vierhundert Häuser unter eine meterdicke Lavaschicht. Die Bewohner hatte man binnen Stunden per Schiff in Sicherheit gebracht.

Menschenleben sind durch vulkanische Aktivität bis auf eines – ein Geologe starb beim Ausbruch der Hekla 1947 – bis heute nicht zu beklagen. Indirekt hat der Vulkanismus aber immer wieder Opfer gefordert und Schäden angerichtet – und da ist der Ausbruch des Eyjafjallajökull im Jahr 2010 mit den Auswirkungen auf den Flugverkehr vernachlässigbar. So befeuerte der explosive Ausbruch der Askja (Vítikrater, Nordostisland) 1875 eine Auswanderungsbewegung nach Kanada, da ganze Gegenden unter Asche standen. Die furchtbarsten Folgen in der Geschichte hatte der Ausbruch der Laki-Spalte 1783–’84: Feinasche und Gase vergifteten die Weiden, rafften im ganzen Land das Vieh dahin. Damals starb fast ein Fünftel der Bevölkerung an Hunger und Mangelerkrankungen. In halb Europa verfinsterte sich der Himmel, die Sonne leuchtete blutrot, der Sommer blieb aus, es folgten Missernten und Hunger, Revolutionen ebenso. Bis heute ist jeder Vulkanausbruch eine Erinnerung an mögliche Gefahren. Der in den Geldingadalir bringt trotz aller Schönheit schädliche Gase hervor, die sich bei Windstille in Bodennähe sammeln, bei ungünstigem Wind bewohntes Gebiet erreichen. Daher wird der Vulkan rund um die Uhr wissenschaftlich überwacht. Die Wanderroute betreuen freiwillige Rettungskräfte, mittlerweile aus dem ganzen Land.

Und während Island wandert und staunt, kreisen Hubschrauber und Drohnen über dem Feuerspeier und die Nation berät leidenschaftlich über den Namen des neuen Erdenbürgers aus der Tiefe – Fagradalsfjall (wie die ganze Welt den Vulkan schon nennt), Geldinga- und Meradalir sind nur Flurnamen in der Umgebung. Eine Umfrage läuft, in den sozialen Medien wird heftig debattiert. Ein Name fällt immer wieder: Litla hraun, „kleine Lava“ – aber dieser Name ist eigentlich besetzt. Litla-Hraun heißt das einzige Hochsicherheitsgefängnis Islands. Eines steht jedoch schon fest: Laut einer Umfrage ist der herrschende Vulkanausbruch der beliebteste in der Geschichte. Und so werden die sozialen Medien täglich von herrlichen Bildern geflutet.

Live im Interview: Island-Expertin Eleonore Gudmundsson im Gespräch über die Faszination der Insel – bei der „Digitalen Ferien-Messe Wien Sommer Edition in Kooperation mit KURIER ReiseGenuss“ am 7. und 8. Mai. Alle Infos auf kurier.at/reise und ferien-messe.at

Die Autorin
Eleonore Gudmundsson lehrt Isländisch an der Universität Wien und ist staatlich geprüfte Fremdenführerin für Island. Derzeit übersetzt sie das große isländische Wörterbuch ISLEX ins Deutsche und bloggt über die Besonderheiten der isländischen Sprache: weloveicelandic.com. Sie übersetzte außerdem den isländischen Autor Bergsveinn Birgisson („Die Landschaft hat immer recht“, 2018 und zuletzt „Quell des Lebens“, 2020, siehe Buchcover), dessen Bücher die Seele der Insel gut einfangen. Außerdem vier isländische Volkssagen in: „Rauhnächte“ von Harald Krassnitzer (2020) – alle Bücher erschienen bei Residenz Verlag Salzburg

Auskünfte
Alle Infos zum Land auch auf Deutsch: visiticeland.com

Sehenswert

Ewig lockt das Feuer: Eine Island-Kennerin über den Vulkanausbruch

Spektakulär

Seit kurz nach dem Vulkanausbruch liefert eine Livecam des staatlichen Senders RÚV permanent eindrucksvolle Bilder in die Wohnzimmer aus aller Welt – ganz ohne Schwefelgestank. Zu sehen auf „mbl.is/promos/elgosid-i-
beinni/“ (Morgunblaðið)

Ewig lockt das Feuer: Eine Island-Kennerin über den Vulkanausbruch

Satire

Der Stand-up-Comedian und Schauspieler Ari Eldjárn erklärt uns die Isländer – keine Sorge: in gut verständlichem Englisch (mit deutschen Untertiteln). Wie sich der Homo Islandicus von dem Rest des Nordens unterscheidet, scharfsinnig und zum Brüllen lustig auf Netflix: „Pardon my Icelandic“

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Sehnsucht

1785: Island in Schutt und Asche. Der Ausbruch der Laki-Spalte brachte die Isländer an den Rand ihrer Existenz. Fabelwesen und Untote tummeln sich zwischen Meer und Fels. Doch ganz oben im Nordwesten sprudelt der Quell des Lebens – die Geschichte wurde fantastisch erzählt von Bergsveinn Birgisson in „Quell des Lebens“

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