Vergessen im Ozean. Vermutlich wussten arabische Sklavenhändler von der Insel, namensgebend war jedenfalls 1528 der portugiesische Entdecker Diego Rodrigues. Das war es dann aber auch schon. Kein Gold, keine Gewürze, keine Sklaven – Rodrigues blieb ein unentdecktes Geheimnis. Bis hier 1691 einige aus Frankreich vertriebene Hugenotten landeten und einen kleinen Garten Eden vorfanden. „Es gab alles hier, fruchtbare Erde, tropische Früchte, Frischwasser und die Schätze des Meeres“ erzählt Madame und lächelt verschmitzt. „Aber es waren nur Männer – ohne Frauen! Daher reisten sie weiter, wurden in Mauritius gefangen genommen und nach Südostasien deportiert.“
Ihr Chef François Leguat überlebte und beschrieb den Rodriguesaufenthalt ausführlich. Er berichtete von den riesigen Landschildkröten und dem sagenhaften Vogel Solitär. Obwohl Plantagenwirtschaft kaum möglich war, wurde in den Jahrhunderten ein Großteil des Regenwaldes gnadenlos gerodet. Heute leben 42.000 Insulaner von Ackerbau, Viehzucht, Fischfang und ein wenig Tourismus. Der multikulturelle Mix von Kreolen, Afrikanern, Chinesen, Indern und Europäern ist harmonisch, erst nach 1970 wurde die Insel elektrifiziert und per Flugzeug mit der Welt verbunden.
Roadtrip um die Insel. „Du bekommst einen Pick-up, bei uns sind nicht alle Straßen asphaltiert“, sagt François von der Mietwagenfirma. „Aber die Distanzen sind kurz. Cruise genüsslich durch die Insel, nach drei Tagen hast du die Highlights gesehen. Und dann geh an den Stränden wandern und genieße den verträumten Inselalltag.“ Bereits nach wenigen Kilometern entlang der Nordküste staune ich über die Kontraste. Während an der Anse aux Anglais Bilderbuchlandschaften mit Palmen samt Stränden zum Bleiben einladen und im netten Le Marlin Bleu ein herzhaftes Oktopus Curry serviert wird, wähnt man sich einige Kilometer westlich mit auf Wiesen weidenden Kühen auf den schottischen Hebriden. Im Landesinneren lohnt bei der Rückfahrt der Besuch der wuchtigen St. Gabriel Kirche inmitten tropisch wuchernder Landschaft und der kurze Spaziergang auf den fast vierhundert Meter hohen Mont Limon mit Rundumblick.
Samstagsmarkt in Port Mathurin. Die Hauptstadt, die man Matschrijn ausspricht, ist ein größeres Dorf im englischen Reißbrettstil mit bunten Häuserzeilen, einem kleinen Hafen mit der Statue vom ausgestorbenen Vogel Solitär und spürbar kreolischem Spirit. Der ist am Samstagsmarkt am schönsten zu erleben, in der Halle und an Straßenständen trifft sich die halbe Insel. Dort gibt es auch Chili-Chutney, Honig und die inseltypischen Strohhüte als Souvenir.
Jurassic Park. „Früher bevölkerten Tausende Riesenschildkröten unsere Insel, dann wurde ihr Fleisch an Seefahrer und Piraten verkauft, bis die Tiere ausgerottet waren. Aber auf den Seychellen haben sie überlebt und wurden bei uns wieder angesiedelt“, erklärt Guide Guy im François Leguat Tortoise & Cave Reserve. Bei den täglichen Führungen durch diese Schutzzone zur Höhle ist Showtime in Zeitlupe angesagt: Genüsslich mampfen sie Gras, wuchten sich im Schneckentempo durchs Gelände, dösen im Schatten oder sorgen dafür, dass die Artgenossen nicht weniger werden. Als Highlight wartet hier eine fünfhundert Meter lange beleuchtete Höhle, wenige Kilometer entfernt bietet die Caverne Patate noch spektakulärere Formationen. Die Rückfahrt entlang der Südküste führt durch ein archaisches Rodrigues vorbei an einfachen Fischerhütten und den typischen Tintenfisch-Trockengestellen. Als Kontrast dazu tanzen und fliegen am Horizont die bunten Boards der Kitesportler im Höllentempo über die Wellen.
Mini Galapagos. „Die Küsten und Strände hier sind oft wild und kaum verbaut. Vermutlich hat uns die Abgeschiedenheit Hotelburgen und Shoppingmeilen erspart“, sagt der Bootsmann, der unsere kleine Gruppe auf die Île aux Cocos schippert. „Die Vogelinsel ist unser Klein-Galapagos, sie steht unter Naturschutz und darf nur mit Guide angelaufen werden.“ Wir sehen Fregattvögel, Strandläufer und Schwalben, genießen den menschenleeren Strand und die Ruhe. Rodriguez ist übrigens von Korallenriffen umgeben, die Lagunen bieten feine Tauchmöglichkeiten.
Grandiose Hausmannskost. Anders als die große Schwesterinsel kann Rodrigues wegen der isolierten Lage keine Feinschmeckerküche anbieten, dafür ist die Küche ehrlich. Als Autorin eines Kochbuchs mit lokalen Rezepten zaubert Madame mit ihrem Team herzhafte Gerichte auf den Tisch. Die Meeresfrüchte kommen aus der nahen Lagune, Gewürze und Gemüse gedeihen auf der Insel. Junge Papayas werden zu Salat geraspelt, der asiatische Einfluss ist spürbar. Waren früher Süßkartoffel, Maniok, Mais und Bohnen Hauptnahrungsmittel, dominiert heute Reis. Jedenfalls ist das Abendessen ein Pflichttermin nach einem ereignisreichen Tag. Dafür ist ausgelassenes Nightlife auf der Insel unbekannt.
Inseltrekking. „Du kannst direkt von der Haustür zu den schönsten Buchten der Insel wandern“, sagt Frau Baptiste beim Abendessen. Also schnüre ich die Wanderstiefel, stampfe entlang der fast menschenleeren Südküste Richtung Osten, stehe schließlich vor der Bucht Trou d’Argent, ein Muss für Fotografen und Träumer. Genauso wildromantisch führt die Tour weiter zu den Ostbuchten von St. François und Cotton Bay. Zwischendurch begegne ich dem Postbeamten mit dem Rucksack am Buckel, der einige entlegene Häuser immer noch zu Fuß abklappert. Auf Rodrigues sind noch immer viele der ärmeren Insulaner zu Fuß unterwegs. Umso herzhafter fallen Begegnungen mit spielenden Kindern und Einheimischen aus, sie alle haben Zeit. Wie hatte Madame gesagt: „Du musst unsere Insel entdecken! Dann wird es eine sichere Liebe auf den zweiten Blick.“
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