Urgestein
Das Urgestein der Gerlitzen ist aber ein anderer: Heiner Ludescher wurde 1941 auf der schon damals besiedelten Kanzelhöhe auf 1.500 Meter Seehöhe geboren und lebt dort bis heute, seit achtzig Jahren. Bis 1968 war die Siedlung nur mit der Kanzelbahn erreichbar, abgeschiedener könnte man kaum aufwachsen. Wobei: „Tourismus war hier schon immer, schon auf alten Fotos von der Eröffnung der ersten Kanzelbahn im Jahr 1928 fallen die vielen Skifahrer auf“, erinnert sich Ludescher.
Auffällig sind die verschiedenen Sternwarten und Beobachtungstürme in Gipfelnähe. Schon während des Zweiten Weltkriegs wurde von der Wehrmacht oberhalb der Kanzelhöhe ein großes Observatorium errichtet. Aber nicht für Sterngucker, erklärt Ludescher: „Die hatten damals schon herausgefunden, dass Sonneneruptionen den Funkverkehr stören können – militärisch natürlich katastrophal. Durch die Beobachtung der Sonne konnten Störungen dann vorausgesagt werden.“ Besonders stolz sind er und die anderen Bewohner der Kanzelhöhe, die übrigens als „heilklimatischer Höhenort“ gilt, auf die Kulinarik der Gerlitzen. Viele Berggasthöfe werden von Landwirten betrieben, die ihre eigenen, regionalen Produkte mitbringen und verarbeiten. Es gab schon Auszeichnungen für Slow-Food und Fusion-Küche. Besonders urig die Huaba-Hittn (eigener Bauernhof), die neunzig Jahre alte Pöllinger Hütte (Wildspezialitäten) oder die zentrale, hippe Sunn Alm mit ihrem Mountain Gulasch. Letztere ist eine von drei Gaststätten, die aufgrund der Corona-Maßnahmen derzeit Take-away-Speisen anbieten.
Ein besonderer Genuss bietet sich denen, die mit eigener Kraft oder Technik höher hinaus wollen. Ganzjährig zischen hier die bunten Schirme der Paragleiter die steilen Berghänge entlang, die Thermik über dem Ossiacher See soll ganz speziell sein. Von Arriach wandern lange Reihen von Skitourengehern gegen ein kleines Entgelt entlang der Nordpisten herauf. Da trifft man dann ganz zufällig auch den Gitarristen der berühmten Schlager-Band „Nockis“ (früher „Nockalm Quintett“), Markus Holzer.
Kinderparadies
Die Gerlitzen versteht sich als Berg für die ganze Familie. Deshalb ist der Aufwand für Kinder besonders groß. Es gibt drei Kinder- und Schneebären-Länder, mit Zauberteppich und dem Gerlitzen-Bär.
Im Sommer ist das Angebot für die Knirpse noch wesentlich umfangreicher, wie die Gerlitzen überhaupt auch im Sommer richtig berühmt ist: Die schöne Aussicht, viele Wanderwege (auch der Alpe Adria Trail führt direkt über den Gerlitzen-Gipfel) und die Lage am Ossiacher See locken viele. Soeben wird der Funpark renoviert, statt der ersten Mountainkart-Bahn Kärntens gibt es für die Kinder dann Sommertubing (auf luftgepolstertern Reifen runterrutschen), ganz neue Mountainbikestrecken sowie eine Holzkugelbahn. Ein Adventure-Park führt zu Baumtreppen, Hängebrücken sowie Slide- und Klettermöglichkeiten.
Den Rest des Tages kann man in den öffentlichen Bädern am warmen Ossiacher See gut entspannen, mit dem Schiff die Ufer und Aussicht genießen oder eine gemütliche Radtour unternehmen. Und dazwischen frischen, köstlichen Fisch aus den nahen Seen und Bächen essen. Oder die Innenstadt von Villach entdecken. Oder über die Villacher Alpenstraße zu einem weiteren Lieblingsberg der Kärntner, dem Dobratsch, gelangen, dessen Gipfelpanorama auch vom Allerfeinsten ist.
„Der Sandalen- oder Halbschuhtourismus ist hier eigentlich alltäglich“, schmunzelt Heiner Ludescher und ist gar nicht sehr böse darüber. Vor allem holländische Touristen, die am See urlauben, fahren gerne mit ihren Kindern in Sneakers oder Badeschlapfen direkt vom Strand, vom Radweg oder von der Schiffsstation bei der Kanzelbahn den Berg hinauf. Da es aber beim Funpark auf der Kanzelhöhe und oben auf dem Gipfelplateau eher flach ist, hält sich die Gefahr eines Ausrutschers in Grenzen.
Noch gehört die Gerlitzen coronabedingt fast nur den Einheimischen, was die meisten sichtlich genießen, weil sie noch nie so viel Platz hatten. Das wird sich aber hoffentlich bald ändern. Ludescher, der als Bauingenieur doch viel herumgekommen ist, kann sich auch nach achtzig Jahren auf der Kanzelhöhe keinen anderen Platz zum Leben vorstellen. „Der einmalige Blick über das weite Land und die Berge hilft meiner Frau und mir, freier zu atmen. Unser Alltag ist einfach sehr naturnah.“
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