Dark Tourism: Zwischen Sensationsgier und Aufklärung

Dark Tourism: Zwischen Sensationsgier und Aufklärung
Verstrahlt, verwüstet, verwaist: Morbide Orte ziehen Menschen an.

Halloween steht vor der Tür. Da macht der Wiener aber gar nicht auf, der ist gedanklich ja immer ein bisschen am Zentralfriedhof beim Probeliegen im Sarg (ja, das gibt’s wirklich). Großmeister  darin war Graf Dracula, archetypischer Vampir der Literaturgeschichte. Heute ist die transsylvanische Burg Bran in Rumänien, umgeben von dichtem Wald, ein Grusel-Spot für Touristen. Amüsanter Mysterytourismus, der eine Kategorie eines großen Trends ist: Reisen an Orte und Schauplätze, die historisch mit Tod und Tragödie verbunden sind, der sogenannte Dark Tourism.

Dark Tourism: Zwischen Sensationsgier und Aufklärung

"Schlachtenbummler" nach Kriegen

Neu ist das an sich nicht. Bereits Schriftsteller Karl Kraus schrieb über den Schlachtfeldtourismus im französischen Verdun, der bald nach dem Ersten Weltkrieg einsetzte und Zivilisten massenhaft an die Frontplätze kutschierte. Heute wird „Schlachtenbummler“ – das Wort kursierte schon im 19. Jahrhundert – als Begriff für Fußballfans bei Auswärtsspielen verwendet.

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Soldatenfriedhof in der Nähe von Verdun

Naturkatastrophen sorgten früh für Thanatourismus, wie der schwarze Tourismus in Anlehnung an den griechischen Todesgott Thanatos auch heißt. Eine antike Tragödie war der Ausbruch des Vesuvs im Jahr 79 n. Chr. Die Asche konservierte die Stadt am Fuße des Vulkans, etwa 1.000 Leichen  in Pompeji und 300 in Herculaneum wurden gefunden.

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Traditionell ziehen Knochen und Friedhöfe magisch an. Klassiker sind die Katakomben in Paris – wohin bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Gebeine von etwa sechs Millionen Pariser Einwohnern überführt wurden – oder hierzulande das Beinhaus in Hallstatt. Nicht zu vergessen  Grabkammern und Mumien in Ägypten.

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Beinhaus in Hallstatt

Serien lösten Hype aus

Einen neuen Hype um diese Reiseform lösten jüngst die HBO-Miniserie „Chernobyl“ sowie die Netflix-Serie „Dark Tourist“ aus. In dieser Doku reist ein neuseeländischer Journalist einmal um die Welt zu makabren Schauplätzen. Er fährt bei einer Manson Family-Tour mit (die Gruppe beging 1969 sieben Morde in Los Angeles), begibt sich im kolumbianischen  Medellín auf die Spuren des skrupellosen Drogenbarons Pablo Escobar, nimmt in Ouidah im afrikanischen Benin an einem Voodoo-Festival teil und lässt sich in Tennessee im berüchtigten Horrorhaus McKamey Manor, einer Attraktion, foltern.

Führungen in Tschernobyl

Am bekanntesten sind  die Orte von Atomkatastrophen: Hiroshima und Fukushima in Japan, Tschernobyl in der Ukraine.  Tausende Touristen besuchten zuletzt jährlich das kontaminierte Sperrgebiet. Anbieter „Chernobyl  Tours“ bringt Neugierige in die einstige Schlafstadt des Atomkraftwerks. Fotos von leeren Kinderbetten, staubigen Kuscheltieren und dem nie eröffneten, rostigen Riesenrad in Prypjat gingen viral.

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Bei den Selfies vor dem AKW-Sarkophag geht es schlimmstenfalls um  Sensationsgier, im besten Fall um Wissensvermittlung und Bewusstseinsbildung. Etwa bei den Führungen für Schulklassen in Mauthausen oder anderen Konzentrationslagern, allen voran Auschwitz.

Ghost Towns

Auch Wirtschaftskrisen hinterließen  verwaiste Orte. Wo im Wilden Westen Schießereien Alltag waren, entstanden nach Ende des Goldrauschs Geisterstädte, Bodie in Kalifornien ist  gut erhalten.

Zuletzt sorgte die Finanzkrise  für Fabriks- und Hotelruinen zwischen Detroit und Griechenland – „lost places“.

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Verlassenes Fabriksgelände in Detroit im US-Bundesstaat Michigan

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