Back in the USSR: KURIER-Ostexpertin erinnert sich

Back in the USSR: KURIER-Ostexpertin erinnert sich
Die KURIER-Ostexpertin erinnert sich an ihre Reisen in die ehemalige Sowjetunion vor dem Fall des Eisernen Vorhangs. An verweigerte Zugtickets, Lokale ohne Essen und geheime Straßenkarten.

von Jana Patsch

"Bitte einmal Sagorsk und zurück“, ordere ich höflich am Bahnschalter. Statt mir ein Ticket auszustellen, druckt die Genossin einen verborgenen Alarmknopf. Innerhalb von Sekunden sind alle Schalter am Jaroslawl-Bahnhof in Moskau geschlossen. Sie hat mich als Ausländerin identifiziert. Entweder mein Akzent, den ich trotz Russisch in allen Schulstufen nicht ablegen kann, oder die bessere Kleidung haben mich verraten. Ein Polizist kontrolliert meinen Ausweis. Er eskortiert mich auf die Straße und droht: „Noch ein Versuch und Sie werden des Landes verwiesen.“

Wir schreiben das Jahr 1965.

In Zeiten des Kommunismus durften sich Ausländer nur im Umkreis von vierzig Kilometer rund um den Roten Platz frei bewegen Die alte Klosterstadt Sagorsk (heute Segejew Posad), die ich besuchen wollte, liegt aber siebzig Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Individualreisen in die Sowjetunion waren unerwünscht. Ausländer durften nur in bestimmten Hotels absteigen, in vorbestellten Restaurants essen, alles war vom staatlichen Reisebüro Intourist organisiert.

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1989 besuche ich mit meinen Kindern Tiflis. Wir wollen mittagessen und betreten ein leeres Restaurant. Der Kellner fragt, ob wir eine Delegation oder eine Intourist-Gruppe sind. Als wir beides verneinen, bekommen wir kein Essen. Ein Passant lädt uns spontan zur Hochzeitstafel seiner Tochter ein. Dort biegen sich die Tische.

Nicht anders ergeht es uns auf dem Weg von Riga nach Tallinn. Wir wollen einkehren, das Lokal ist versperrt. Aus dem Inneren hören wir aber Menschen murmeln. Wir klopfen an die Türe. „Wir haben Mittagspause, jetzt essen die Mitarbeiter“, weist uns eine Männerstimme ab.

Reisen in die Sowjetunion waren relativ teuer und strapaziös. Sich zu orientieren fiel selbst Russisch-Sprechenden schwer. Einheimischen war der Kontakt zu westlichen Besuchern verboten. Es gab keine Orientierungshilfen zu kaufen. Straßenkarten und Telefonbücher waren als strategisch wichtige Dokumente eingestuft und geheim. Für harte Devisen gelang es mir, einem Lkw-Fahrer einen Straßenatlas der gesamten UdSSR (Ausgabe 1990) abzuluchsen.

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Tanken als Glücksfall

Ein überraschend dünnes Büchlein: Die kartografische Darstellung des Riesenreiches mit fast 22,5 Millionen Quadratkilometern findet auf 55 Blättern der Größe 17 mal 27 Zentimeter Platz. So weitmaschig war damals das Straßennetz, obwohl auch alle unbefestigten Pisten und Schneerouten eingezeichnet sind. Markiert waren auch die sehr dünn gesäten Tankstellen und Werkstätten. Autofahrer waren gut beraten, bei jeder Gelegenheit zu tanken. Denn die nächste Tankstelle war vielleicht zweihundert Kilometer entfernt, hatte keinen Sprit oder war wegen Stromausfalls außer Betrieb.

Im hohen, dünn besiedelten Norden Russlands gibt es nur mobile Tankstellen. Es handelt sich um geparkte Tankwagen, in deren Fahrerkabine meist ein Mann schlummert. Auf der Fahrt von Murmansk über den Polarkreis in den Süden lege ich einen solchen Tankstopp ein und wecke den Fahrer. Ohne auszusteigen, lässt er einen Schlauch herunter. Ich muss selbst tanken. Der Mann weiß, was er tut. Eine Gelsenwolke umhüllt mich, die Insekten stechen durch meine Jeans.

Was im Straßenatlas fehlt, sind Grenzübergänge. Die Straßen hören einfach auf, nur Flüsse und Eisenbahntrassen sind weiter eingezeichnet. Vermutlich waren Informationen zu Grenzübertritten gar nicht gefragt. Die Vorstellung, ein gewöhnlicher Sowjetbürger könnte die Heimat verlassen, schien absurd. Und für KP-Bonzen, die ins Ausland reisen durften, gab es bestimmt eigene Unterlagen.

Die Einreise auf dem Landweg in die UdSSR, die sich von Norwegen bis Nordkorea erstreckte, war für Ausländer nur an einem Dutzend Grenzübergängen erlaubt – etwa nach dem Motto: einer zu jedem Nachbarland. Die Reiseroute war vorgegeben und durfte unter gar keinen Umständen verlassen werden. Ausländer erhielten Benzin nur gegen Gutscheine, die sie in harten Devisen bezahlen mussten.

In Zeiten der Anarchie unter Präsident Boris Jelzin kam der öffentliche Verkehr in Moskau und Petersburg praktisch zum Erliegen. Die Einheimischen und auch ich waren viel per Autostopp unterwegs. Einmal nahm mich sogar eine Limousine aus dem Fuhrpark von Oberbürgermeister Luschkow mit.

Sommer 1989: Meine erfahrene Kollegin Maja will mit ihrem Dienstwagen nach Wien, ich begleite sie. In der Ukraine und in Weißrussland herrscht Treibstoffmangel. Deshalb kaufen wir am Basar in Moskau Kanister und füllen sie an. Auf der Fahrt durch die Wälder, die wie so oft im Sommer brennen, merken wir, dass einer der Behälter ein Loch hat – eine Kamikaze-Aktion. Alle drei Stunden wechseln wir uns am Lenkrad ab. „Wenn dich ein Polizist anhalten will, gib Gas. Meistens sind es verkleidete Wegelagerer“, sagt Maja. Kaum ist sie eingeschlafen, winkt mich ein Polizist an den Straßenrand. Maja flüstert: „Der ist echt! Leg gleich zehn Dollar in den Führerschein.“ Trotz der Bestechung muss ich einen Alko-Test nach Sowjet-Art machen: Der Organhüter hält mir seine runde Uniformkappe vor den Mund, lässt mich hineinblasen und riecht dann daran.

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Währung
 1 Euro = 80 Rubel (RUB)

Visum
Österreichische Staatsbürger benötigen ein Visum, bmeia.gv.at

Reisen heute
Vollkommen frei und unkompliziert.
Moskau und Petersburg sind Metropolen von Weltformat.
Was fehlt, sind Überland- Autobahnen. Touristische Mängel in der Provinz werden
 durch die enorme  Gastfreundlichkeit kompensiert. (Für Ausländer sind die Grenzen derzeit geschlossen)

Auskunft
visitrussia.at

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