Abenteuer-Trip - Reisen wie damals: In Büchern
Manche Abenteurer machen uns zu Mitreisenden – egal wohin, egal wie abgelegen, exotisch oder gefährlich die Region der Welt ist, über die sie berichten.
Vor 2.500 Jahren lasen die Bewohner der „zivilisierten“ Welt, also Griechenlands, atemlos vor Spannung die Schilderungen eines Herodots. Der Urgroßvater der Reiseliteratur verstand es meisterlich, seinen Landsleuten Sitten und Gepflogenheiten fremder Völker zu schildern, auch wenn ihm bei goldschürfenden Riesenameisen in Indien oder der für griechische Begriffe absurd hohen Stellung der Frauen bei den afrikanischen Gindanen wohl ein wenig die Fantasie durchging.
Marco Polos „Buch von den Wundern der Welt“ nahm seine Leser mit ins ferne China, und war ein echter Jarhhundert-Bestseller, Flaubert zeigte den Franzosen ein ihnen gänzlich unbekanntes Nordafrika, Herman Melville und Jack London lassen uns heute noch den Pazifik mit düsteren Walfängern befahren, tropische Inseln besuchen und die klirrende Kälte Alaskas spüren.
Beim Schweizer Weltreisenden Stefan Forster übernimmt der Fotoapparat einen Teil der erzählerischen Aufgabe. Um nichts weniger beeindruckend ist das, was er zu erzählen hat.
Von riesigen Eisbergen in magisch blauen grönländischen Fjorden, dem Zauber im Herzen Islands, den gewaltigen Klippen der Färöer, den vergessenen Inseln der Lofoten vor der Küste Nordnorwegens, der endlosen Weite Alaskas oder den windumtosten Bergen Patagoniens. Seine Fotos haben eine ruhige Wucht, die uns gefangen nimmt.
Normalerweise reist Forster völlig alleine, bleibt wochenlang für sich in den Gebieten, die er sich ausgesucht hat. „Eigentlich ist es so, dass ich Siedlungen bewusst aus dem Weg gehe, um mich nicht durch andere Menschen ablenken zu lassen“, erklärt er im Interview. Er war 18, als er sich auf seine erste Fotoreise machte. Mit Fotoapparat, Zelt und Proviant bewaffnet, wanderte er quer durch Island.
„Das war schon ein mulmiges Gefühl damals, als der Bus davonfuhr und ich plötzlich ganz allein da stand, am Ende der Welt, wie mir schien“, erinnert sich der Fotograf. Hatte er Angst? „Ja. Diese absolute Einsamkeit setzte mir schon zu. Zwei, drei Tage lang hatte ich psychische Probleme. Aber dann kam die Ruhe. Eine unvergleichliche Ruhe. Und ich habe mich unbeschreiblich wohl gefühlt.“
Schönheit & Gefahr
Das war vor 15 Jahren. Seither geht Forster jedes Jahr mindestens einmal hinaus in die Natur, in die Einsamkeit. „In Wahrheit ist die Fotografie nur meine Legitimation, um rauszugehen. Denn ich gehe in die Natur, um in der Natur zu sein, sonst nichts.“ Diese bedingungslose Liebe scheint sich in seinen Bildern widerzuspiegeln. Aber kann die Natur nicht auch ein äußerst gefährlicher Partner sein? Einer, der keine Rücksicht auf ein Menschenleben nimmt? „Ich denke, prinzipiell will uns die Natur nichts Böses. Aber natürlich muss man sie mit Respekt behandeln. Und ihre unglaubliche Kraft respektieren“, erklärt der Fotograf.
Ausgerechnet seine innige Verbundenheit mit der menschenleeren Landschaft hat Stefan Forster dann doch hin und wieder in brenzlige Situationen gebracht. Mit einem kleinen Kajak ist er vor der Küste Grönlands hinausgefahren, um den gigantischen Eisbergen näherzukommen. „Die Farbe des Wassers, diese verschiedenen Blautöne, dazu das strahlende Weiß des Eisbergs, man kann sich eine derartige Schönheit gar nicht vorstellen“, sagt er. Selbstvergessen machte der Fotograf Bilder, ging in dieser Schönheit auf – bis er merkte, dass die Strömung ihn direkt in den Eisberg hineinzog, war es fast zu spät. „Das war doch ziemlich knapp, ich war mir nicht sicher, ob ich es wieder weg schaffe“, erinnert er sich.
Und überhaupt, Eisberge: Wenn sie „kalben“ also größere Eismassen von ihnen abbrechen, ist das zwar ein phänomenales Schauspiel, aber mit dem Kajak will man genau in dem Moment nicht allzu nahe sein. Manchmal bewegen sie sich auch ohne erkennbare Vorwarnung, verändern ihre Lage, wie ein mystischer Eisriese, der sich im Traum einmal kurz dreht. „So schön er ist, er ist doch auch so viel mächtiger als wir“, sagt Stefan Forster.
In Chile war er auf einer Passhöhe 4.000 Meter über dem Meer so ns Fotografieren vertieft, dass er nicht bemerkte, wie er nach und nach eingeschneit wurde. „Es ist tatsächlich ein In-der-Natur-Aufgehen“, versucht er sich an einer Erklärung, „man vergisst alles um sich herum. Das ist natürlich leichtsinnig, sollte nicht passieren.“
Auch Aufgeben gehört dazu
Dabei ist Stefan Forster alles andere als ein rücksichtsloser Draufgänger. Er hält es mit Reinhold Messner, der immer wieder betont, gerade WEIL er weiß, wann er geschlagen ist, wann er umdrehen muss, ist er noch immer hier und war in der Lage derart viele Berge zu besteigen.
Apropos: An einem auf den ersten Blick unglaublich idyllischen Berg ist auch Stefan Forster gescheitert: Es war auf der Insel Tindhólmur, eine kleine, unbewohnte Insel der Färöer. Wie Hexennasen oder Klauen ragen fünf Gipfel in die klare Luft des Nordatlantiks: Ytsti, Arni, Lítli, Breidi und Bogni. Trotz ihrer bizarren Formen wirken sie fast lieblich, weil sie bis obenhin mit Gras bewachsen sind. „Ich habe wirklich keine Höhenangst, musste die Tour im oberen Drittel des Berges aber dennoch abbrechen. Es war ganz einfach unmöglich, im feuchten Gras Halt zu finden.“ Verständlich: Eine steilere „Wiese“ dürfte es nirgendwo auf der Welt geben.
Ängsten ins Auge sehen
Den Ängsten, die er hat, versucht Stefan Forster sich konsequent zu stellen. Hauptsächlich sind es Wildtiere. Bären, Wölfe, Pumas. „Eine urtümliche, atavistische Angst. Und natürlich lässt man sich auch von Büchern und Filmen negativ beeinflussen, fürchte ich“, meint der Fotograf. Will er sich diesen Dämonen stellen, sind es die einzigen Reisen, die er nicht alleine macht. „Ohne Experten wäre das doch ausgesprochen unklug.“ Recht hat er.
Nein, der kleine grönländische Polarfuchs war nicht gefährlich. Aber echt süß!
Im vergangenen Jahr zog Forster zwei Wochen lang durch den Katmai Nationalpark in Alaska. Absolutes Bärenland. Grizzlys, also die Jungs aus dem Oscar-Film mit Leonardo DiCaprio und Tom Hardy. „Es war unglaublich, diese Riesen so aus der Nähe zu sehen. In ihrem natürlichen Element, genau dort, wo sie hingehören“, kommt er heute noch ins Schwärmen. Und konnte tatsächlich die Angst vor den Fellriesen überwinden. „Respekt ja, Angst nein“, sagt er.
Die Grizzlys schliefen teilweise direkt neben dem Zelt, in dem Forster mit seinem erfahrenen Guide übernachtete. Und sogar als er sich beim Austreten im Wald plötzlich beobachtet fühlte, sich umdrehte und eine hochgewachsene Grizzly-Dame vor ihm stand, geriet er nicht in Panik. Sondern? „Ich bin langsam davongelaufen, wie ich es davor oft mit dem Guide besprochen hatte.“ Betonung auf LANGSAM. Nur nicht hektisch fliehen, Bären sehen zwar gemütlich aus, laufen aber schneller als Usain Bolt. Panische Flucht ist also keine erfolgversprechende Methode, um nicht von einem Bären umarmt zu werden. Was weiter passiert ist?
Mrs. Grizzly begleitete den Fotografen gemütlich bis zum Lagerplatz – und ging über die Lichtung, um zufrieden mit dem Hinterteil wackelnd wieder im Wald zu verschwinden. Pfuh! Eine weitere Therapie-Session absolvierte Stefan Forster in Patagonien. Dort beobachtete er Pumas. „Wenn man gewisse Regeln beachtet, lassen einen die Tiere in Frieden“, sagt er. Und blieb mit diesem Selbstvertrauen im Pumaland, auch nachdem sich der Guide verabschiedete. Auf diese Bilder darf man gespannt sein.
Orte der Sehnsucht
Am öftesten zieht es den Fotografen aber in den Norden Europas, auf die Färöer, nach Grönland – und Island. Immer wieder. Über 800 Kilometer hat er inzwischen schon zu Fuß auf der Wikinger-Insel zurückgelegt. Und immer wieder stellt sich der alte Zauber nach nur wenigen Stunden ein. Diese große Ruhe. Das große Glück. Alles, was sich ein Mensch wünschen kann. Auch die Winter auf der Insel, die sich unsereins kaum vorstellen kann – 24 Stunden am Tag Nacht, hallo! –, liebt der Fotograf. „Die meisten Nächte sind nicht schwarz, sondern strahlen grün und gelb durch die vielen Polarlichter. Es ist einfach fantastisch“, schwärmt er.
Der Sehnsuchtsort schlechthin ist allerdings das unzugängliche Hinterland, das man neun Monate im Jahr praktisch gar nicht betreten kann, weil die Schneemassen dort einfach zu gewaltig sind. Dort, wo die alten Wikinger Trolle und Elfen und allerlei mystische Gestalten vermuteten, zieht es Stefan Forster regelmäßig hin. „Ich glaube, viele der Stellen, an denen ich war, hat vor mir noch kein Fotograf entdeckt. Jedes Mal wieder entdecke ich Dinge, die mir völlig neu sind. Und es gibt nichts Schöneres, als um Mitternacht auf einem Hügel zu sitzen und dabei zuzuschauen, wie der Nebel die Berge langsam einhüllt.“ Dann versteht man wahrscheinlich auch die Sagen und die Mythologie der Inselbewohner. Vielleicht spürt man sie sogar.
Wie verletzlich diese Natur ist, wird hier auch besonders deutlich: „Das Kleinod Islands und zugleich eines seiner schützenswertesten Geheimnisse ist das Moos. Die isländische Lavaerde ist ideal für das Wachstum vieler Moosarten“, erklärt Forster. Man braucht sie für eine Vielzahl von Heilmitteln, sie wirken antibakteriell, reizlindernd und stärkend, ein Wunder der Natur. Aber dieses Moos wächst nur extrem langsam und erholt sich von Fußspuren oder gar Autospuren oft mehr als hundert Jahre nicht. „Im Hochland sind noch Spuren von Autos zu sehen, die vor Jahrzehnten darüber gefahren sind!“, schildert Stefan Forster. „Daraus folgt eine der wichtigsten Regeln, die Inselbewohner und Besucher zu beachten haben: Niemals über das Moos laufen oder fahren.“
Wir werden sie beherzigen, falls wir jemals nach Island kommen. Versprochen.
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