Reise um die Welt: Wenn Frauen Grenzen überschreiten
Wikinger stehen für Kriege und Plündereien vom Kaspischen Meer bis zur irischen Küste. Aber sie haben nicht nur den Ruf als gefürchtete Piraten, sie waren auch Händler und Entdecker, die sich weiter in die Welt hinauswagten als irgendein Europäer vor ihnen. In dieser Tradition steht auch Prinzessin Alfhild, die Tochter des Dänenkönigs Siward im 9. Jahrhundert. Viel zu streng behütet, nahm sie Reißaus in die Weiten des Meeres – als Piratin einer rein weiblichen Mannschaft. Leider währte die Freiheit nicht lange, wurde sie doch als Kriegsbeute vor den Traualtar geschleppt. Übrigens von dem Mann, vor dem sie geflohen war.
Gudridur war vor Columbus da
Eine weitere Wikingerin, die nichts zuhause hielt, war Gudridur Thorbjanardottir. Das lebensgefährliche Dasein auf rauer hoher See konnte der robusten Frau nichts anhaben. So landete sie unter anderem auf dem Schiff Erik des Roten in Grönland, später in Neufundland, dem heutigen Kanada. Laut Legende soll sie nicht nur fast 500 Jahre vor Christoph Columbus Amerika betreten, sondern auch ihren Sohn Snorri in der Neuen Welt geboren haben. Die Familie siedelte dort nicht, sondern in Grönland. Sobald Snorri groß genug war, pilgerte Gudridur nach Rom – und lebte nach ihrer Rückkehr als Nonne. Sie gilt als eine der am weitesten gereisten Frauen ihrer Zeit.
Eine Hausfrau wird Globetrotterin
Unerschrocken und zäh wie eine Wikingerin war auch jene Wienerin, die sich Jahrhunderte, ja, fast ein Jahrtausend später auf ihren Weg in die Freiheit machte. Anfang des 19. Jahrhunderts ist das Reisen für Frauen immer noch keine Selbstverständlichkeit. Meist blieb nur die Reiseliteratur, um die Abenteuer zumindest im Kopf zu stillen. Ida Pfeiffer (1797-1858) reichte das nicht: „Wie es einen Maler drängt, ein Bild zu malen, den Dichter, seine Gedanken auszusprechen, so drängt es mich, die Welt zu sehen“, schrieb sie in ihr Tagebuch. Und erfüllte sich ihren Wunsch erst mit 45 Jahren. Die erste Reise ging ins Heilige Land, die zweite um die ganze Welt. Nachdem sie zwei Söhne aufgezogen hatte, Ehefrau und Hausfrau war. Sie hätte allen Grund gehabt, ihre Reiselust im Aktenordner der unerfüllten Träume abzulegen. Doch sie wollte mehr. Ohne Beziehungen, Wohlstand und Hilfe setzte sich die bürgerliche Frau über Konventionen und alle erdenklichen Grenzen hinweg. Letzte Bedenken ihrer geplanten Tour zerstreute sie: „... so verließ ich mich auf meine Jahre (...), auf meinen Muth und auf die Selbstständigkeit, die ich in harter Schule des Lebens erlangt hatte, als ich nicht nur für mich und meine Kinder, sondern auch mitunter für meinen Mann sorgen mußte.“ Die Veröffentlichung ihrer Erlebnisse besserte die Reisekasse auf, sie wurde bekannt und bildete sich selbst zur Natur- und Kulturwissenschaftlerin weiter. Afrika, Brasilien, Indien – Ida Pfeiffer schlug sich überall durch, als sie Kannibalen begegnete, sagte sie: „Ihr werdet eine Frau nicht auffressen, am wenigsten so eine alte wie ich bin, deren Fleisch schon hart und zäh ist.“ Gegen Malaria hatte sie aber kein Mittel und starb an den Folgen des Sumpffiebers mit 61 Jahren in Wien.
Luxus im Gepäck
Nur wenige Jahre später befand sich die 21-jährige vermögende Niederländerin Alexandrine Pieternella Françoise Tinné (1835-1869) auf dem Weg in die lybische Sahara. Im Gepäck hatte sie Porzellan und Silberbesteck, begleitet wurde sie von einem Gefolge samt Dienerinnen. 102 Kamele und Dromedare sorgten für den Transport der Gruppe. Tinné reiste luxuriös, sorgte aber deshalb für Kopfschütteln, weil eine Dame in unerforschtem Gebiet nichts verloren habe. Das Ziel der Afrikaforscherin und Fotografin: als erste Frau die Sahara zu durchqueren. Es gelang nicht, sie kam bei einem Überfall ums Leben, wurde nur 31 Jahre alt.
Gipfelstürmerin ohne Rock
Die US-Amerikanerin Annie Smith Peck (1850-1935) brauchte kein Kamel auf ihren Reisen. Dafür schneiderte sie sich ihre Kleider selbst, denn für ihre Leidenschaft, das Bergsteigen, waren Wollröcke nicht geeignet. Um sich endlich mit 44 Jahren voll auf die Berge konzentrieren zu können, schmiss sie vorher ihre für die damalige Zeit auch ungewöhnliche Tätigkeit einer Frau: den Job als Hochschuldozentin. Dann ging es immer bergauf. Sie war die dritte Frau, die das Matterhorn erklomm und die erste, die es mit Hosen tat. Ihren letzten Berg bezwang sie mit 82 Jahren.
Tochter der Wüste
Ihren ersten Gipfel bestieg Gertrude Margaret Lowthian Bell (1868-1926) in Unterwäsche, weil der Rock ihr im Weg war, Hosen hatte sie keine dabei. Schon hier zeigt sich, wie sportlich, unkonventionell und selbstbewusst die Britin war. Ihr Glück: Die Eltern waren modern, unterstützten ihre Fähigkeiten. Stand doch für Gertrude Bell schon als Jugendliche fest, sich Wissen von Grund auf aneignen zu wollen. Ihr Interesse gehörte vor allem dem Nahen Osten. Bell durchquerte als erste Europäerin allein die syrische Wüste. Zudem galt sie als mächtigste Frau ihrer Zeit, war Historikerin, Archäologin, Politikerin, Bestsellerautorin, beherrschte Arabisch, Persisch und Syrisch. Man nannte sie die „Tochter der Wüste“ und sie stand als „Orient-Expertin“ in einer Reihe mit Lawrence von Arabien.
Durch die Einöde Sibiriens
Ein fünftägiger Ritt auf dem Pferd konnte Bell nichts anhaben. Auch Kate Marsden (1859-1931) war nicht aus Zucker. Erstaunlich wie die Krankenschwester aus London die Strapazen ihrer Reise durch Russland, aber vor allem die eisige Kälte Sibiriens auf dem Hundeschlitten ertrug. Was trieb sie an? Die Suche nach einem Heilmittel gegen Lepra. Sie fand es nicht, aber ihre Aufzeichnungen halfen gegen die Stigmatisierung der Kranken, die gesellschaftlich ausgeschlossen waren.
Auf Tuchfühlung mit Kannibalen
Mary Kingsley (1862-1900) kannte auf ihren Reisen keine Angst. Erst nach dem Tod der Eltern machte die Britin sich mit 30 Jahren auf den Weg nach Afrika. Sie bekam – wie Ida Pfeiffer – Kontakt zu Kannibalen und zog auch mal einem Krokodil mit dem Paddel eine über den Schädel. Vor allem die Mangrovensümpfe und Tropenwälder Westafrikas hatten es ihr angetan. Sie sammelte exotische Fischarten und erforschte das Leben der Eingeborenen. In viktorianisch hochgeschlossener schwarzer Bluse und mit bodenlangem Wollrock watete sie, nur begleitet von ein paar Trägern, in sengender Hitze durch den Morast der Sümpfe. Ihr Kanu steuerte sie selbst.
Blinder Passagier
Die Französin Jeanne Baret (1740-1807) ließ sich auf ein Versteckspiel ein. Sie zog Hemd und Hosen an, bandagierte ihre Brüste und gab sich als Jean Baré aus, um sich der Expedition rund um den Forscher Louis Antoine de Bougainville anschließen zu können. Baret gilt als erste Frau, der es somit gelang, die Welt zu umsegeln. Dabei arbeitete sie härter als so mancher Mann, schleppte schweres Gepäck sowie Geräte und sammelte auf Tahiti, Mauritius und in Rio de Janeiro 6.000 verschiedene Pflanzen. Ihre Tarnung flog jedoch unterwegs auf, von ihrer Leistung als Forscherin profitierten andere. Etwas Anerkennung gab’s dann Jahrhunderte später. 2012 wurde ein Nachtschattengewächs nach ihr benannt: „Solanum baretiae“.
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