Stefan Ruzowitzky bittet uns um neun Uhr Früh in sein Haus nach Klosterneuburg. "Ich muss heute noch einen Film schneiden. Dann ist der Tag nicht so zerrissen", erklärt er die frühe Stunde, die aber auch ihr Gutes hat. Kaffee serviert vom Oscar-Preisträger persönlich. Über seine höchste Auszeichnung wollen wir heute sprechen, weil es in wenigen Tagen wieder heißt: "And the Oscar goes to..." Den Goldjungen, den Ruzowitzky 2008 für "Die Fälscher" bekommen hat, findet man in seinen vier Wänden aber nur, wenn der Hausherr einen Hinweis gibt. "Es weiß eh jeder, dass ich ihn habe", erklärt Ruzowitzky die versteckte Standortwahl. Der Bub steht unscheinbar neben dem Treppenaufgang auf einem kleinen Vorsprung. Wir reden aber auch über Ruzowitzkys neues Werk, eine Literaturverfilmung. Das klingt nach Potential für Oscar Nr. 2.
Herr Ruzowitzky, sehen Sie sich die Oscarverleihung noch an?
Unregelmäßig, aber ab und zu werde ich mit der eigenen Verleihung konfrontiert. Als sie unlängst bei einem Vortrag eingespielt wurde, war ich zu meiner eigenen Überraschung tatsächlich nochmals gerührt. Es war doch ein lebensverändernder Abschnitt.
Nur positiv oder auch negativ?
Ich weiß, die Leute würden gerne hören, dass so ein großer Erfolg auch Schlechtes mit sich bringt. Es war aber nicht so. Beruflich hilft es mir weiter, und um Promis herrscht bei uns ja nicht so eine Hysterie, wie das in Amerika der Fall ist. In Deutschland bin ich zwar in der Branche bekannt, aber auf der Straße erkennt mich keiner. Falls doch, ist es immer positiv. Ich bin ja nicht damit bekannt geworden, Känguruhoden zu essen und kann nur empfehlen, einen Oscar zu gewinnen.
Warum haben Sie uns zu sich nachhause eingeladen? Je prominenter jemand ist, desto seltener passiert das.
Ich habe ab und zu Fototermine daheim, insofern ist es kein Tabubruch. Ich fühle mich wohl hier, praktisch war es auch, weil ich danach in den Schneideraum muss. Ich freu’ mich, euch hier zu haben!
Welchen Film schneiden Sie?
Meinen Film „Hinterland“ mit Murathan Muslu, Matthias Schweighöfer und Liv Lisa Fries (Anm.: bekannt aus „BabylonBerlin“), der nächstes Jahr ins Kino kommt. Davor startet aber im März mein Film „Narziss und Goldmund“. Die Projekte haben sich überschnitten. Im Prinzip versuch’ ich aber, es so zu timen, dass ich mich auf einen Film konzentrieren kann.
Hesses „Narziss und Goldmund“ ist Schulliteratur, die noch nie verfilmt wurde. Was hat Sie gereizt?
Als Jugendlicher war das eines meiner Lieblingsbücher, das mich bis auf die Grundfeste erschüttert hat. Ich hatte das Gefühl, da wird über Lebensfragen geschrieben, die mich selbst gerade betreffen. Welchen Lebensweg schlag’ ich ein? Was ist Freundschaft? Die ganz großen Themen. Hesse hat da etwas geschaffen, das Menschen wirklich tief anspricht.
Was hatte die größte Wirkung auf Sie?
Im Buch beschreibt Hesse nicht nur die heile Welt, es passieren auch schreckliche Dinge. Faszinierend ist, wie die Helden mit Tod und Gewalt umgehen. Sie geben trotzdem nie auf. Das ist mir nahe.
Weil es Ihren Charakter widerspiegelt?
Ich bin optimistisch, wohlwissend, dass Menschen schreckliche Dinge tun und es auch Abgründe in mir selber gibt – über die ich jetzt nicht sprechen werde (lacht). Man muss trotzdem weitermachen, ohne bitter oder negativ zu sein.
Sie könnten mit einer Literaturverfilmung auch wieder Chancen auf einen Oscar haben.
Da darf man nichts verschreien.
Es gibt ein Beispiel. „Die Blechtrommel“ nach dem Roman von Günter Grass hat 1979 den Oscar gewonnen.
Man muss schauen. Tendenziell haben wir „Narziss und Goldmund“ als breiten Mainstream-Film angelegt. Das war auch der Ansatz vom Verleih, der viel Geld investiert hat und keinen verqueren, kontroversiellen Arthausfilm wollte, sondern großes, opulentes Unterhaltungskino. Man wird sehen, ob das für die Academy passt.
Aber gegen einen zweiten Oscar hätten Sie nichts?
Nein! (lacht)
Man muss Sie das fast fragen, weil Sie den Preis in Ihrem Haus gut versteckt haben.
Das Understatement ist natürlich beinharte Berechnung. Es weiß jeder, was bedeutet, dass ich nichts sagen muss. Es ist viel eleganter, wenn man seine Erfolge nicht pausenlos hinauskrähen muss.
Haben Sie eigentlich Angst vor Kritik an Ihren Filmen?
„Narziss und Goldmund“ ist ein großer Film, an dem ich seit Jahren dran bin. Da bedeutet es dir was, ob die Leute das annehmen oder nicht. Ich habe auch bei Kollegen gesehen, dass es an die Substanz geht, wenn man eine Watschen bekommt. In unserem Fall gehen wir auf ein reiferes Publikum, das bei Mitte 20 beginnt und ein, zwei Mal pro Jahr bewusst ins Kino geht. Wenn wir die überzeugen können, das ist was für euch, weil es auch um philosophische Themen geht, könnte der Film sehr erfolgreich werden.
Was ist derzeit Ihr Lieblingsfilm?
Ich habe alle Oscar-nominierten Filme schon gesehen. „Little Women“ ist großartig und, ähnlich wie unser Film, eine historische Literaturverfilmung, die sehr zeitgemäß wirkt.
Welche Darsteller gefallen Ihnen derzeit am besten?
In Österreich finde ich Murathan Muslu derzeit ganz großartig. Der hat Charisma, gepaart mit Fleiß. Es gibt ja auch zu wenig richtige Männer im deutschen Film.
Jetzt machen Sie sich gerade unbeliebt.
Aber es ist so! Viele Männer sind intellektuell zu verkopft, dann gibt’s tolle Männer, die ein bisschen zu jung sind, andere wieder zu alt. Aber Männer wie Murathan in der Blüte der Jahre, wo jede Frau das Gefühl von Sicherheit hat, weil er die männliche Physis dazu ausstrahlt, gibt es wenige.
Wie sticht Ihrer Meinung nach bei den Frauen heraus?
Da würde ich jetzt international gehen. Saoirse Ronan, die in „Little Women“ spielt, ist eine großartige Darstellerin. Sie hat jetzt einen Rekord gebrochen, weil sie mit Anfang 20 schon zum vierten Mal für den Oscar nominiert ist.
Herr Ruzowitzky, was ist die Quintessenz dessen, was das Leben Sie bisher gelehrt hat?
Das ist so eine Fragebogenfrage. Wenn man länger Zeit hätte ... Aber es geht darum, sich auf neue Dinge einzulassen und alles auszuprobieren. Ich bin zum Beispiel beim Essen sehr abenteuerlustig, von der gebratenen Seidenraupe bis ...
... zum Känguruhoden?
Naja, aber ohne Dschungel. Das heißt, ich will offen und wach bleiben und nicht bitter und negativ werden. Es gibt ja Menschen, die, speziell im Alter nur noch das Negative sehen. Ich arbeite fest daran, dass das nie in diese Richtung geht.
Was würden Sie zum Schluss unseres Gesprächs gerne noch loswerden?
Da muss ich jetzt ganz banal und peinlich sein und den werten Leser dringend bitten, sich „Narziss und Goldmund“ anzusehen. Wer den Film sieht, erfährt mehr über meine Gedanken und Gefühle, als ich je in Worte fassen könnte.
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