Regisseur Hans Weingartner: "Am liebsten würde ich komplett verschwinden“

Regisseur Hans Weingartner: "Am liebsten  würde ich komplett  verschwinden“
„Die fetten Jahre sind vorbei“ waren ein Welterfolg. Nun hat Hans Weingartner ein Romantik-Roadmovie gedreht. Interview mit einem scheuen Regisseur.

Ewig hat man nichts von Hans Weingartner gehört. Dabei hat der Regisseur 2004 mit  „Die fetten Jahre sind vorbei“  einen Kultfilm geschaffen, der sogar für die „Goldene Palme“ von Cannes nominiert war.  Um neun Uhr ist er aus Berlin, wo er lebt, nach Wien gekommen, um seinen  neuen Film „303“ zu promoten: ein Liebesfilm – langsam, behutsam, intensiv – den man so noch nicht gesehen hat.
Die Sonnenbrille will Weingartner beim Foto-Shooting nicht abnehmen. Durchgemacht? „Nein.“ Wir müssen uns erst annähern. „Sie kommen aus Vorarlberg, nicht? Ich aus Tirol“, sag’ ich. „Mein Vater ist auch Tiroler“, sagt er und nimmt die  Sonnenbrille ab. Gemeinsame Herkunft als Eisbrecher. Seit Weingartners letztem Film „Die Summe meiner einzelnen Teile“ sind sieben Jahre vergangen. Da liegt die  erste Frage auf der Hand:

Herr Weingartner, warum haben Sie so lange keinen Film gemacht?

Verschiedene Gründe, wie geplatzte Projekte, die ich nicht finanziert bekommen habe. Ein Jahr Pause habe ich auch gemacht, um mich der Wissenschaft zu widmen und auf der Uni zu forschen.

Sie haben Neurowissenschaften studiert. Was haben Sie erforscht?

Die Entwicklung der Orientierungsselektivität im visuellen Cortex. Aber ehrlich gesagt, möchte ich den Filmregisseur Hans Weingartner und die private Person trennen. Ich heiße in Wahrheit auch nicht Hans.

Sondern?

Das sage ich nicht und das tut mir total gut. Ich heiße Weingartner, aber eben nicht Hans. Der Name kommt von meinem Großvater, einem Hofrat aus Innsbruck, der so geheißen hat.

Ihr Onkel ist der ehemalige Tiroler Landeshauptmann Wendelin Weingartner. Hat sich seine politische Einstellung nicht damit gespießt, dass Ihre Filme systemkritisch waren?

Er und die ganze Familie mochten meine Filme immer. Sie sind wertkonservativ, aber auch sehr weltoffen und durchaus systemkritisch. Das widerspricht sich ja nicht. Witzigerweise sind es eher meine Geschwister, die meine Filme kritisch sehen. Wie ist das bei dir? Hast du Geschwister?

Man wechselt zum Du.

Zwei Schwestern. Du hast sieben Geschwister. Wie ist es, in einer Großfamilie aufzuwachsen?  

Es geht ein bisschen wilder zu, würde ich sagen. Und man   muss als Kind  früh selbstständig sein, weil die  Betreuung  bei so vielen Geschwistern nicht so intensiv und der Kontakt zu den Eltern nicht so eng ist. An meinem ersten Schultag, das weiß ich noch genau, sagte mir keiner aus der Familie, wo die Schule ist, ich wusste nicht einmal, ob ich schon im richtigen Alter bin. Langweilig wird’s jedenfalls nie in einer Großfamilie.  

Sind dir private Fragen unangenehm? Du hast lange überlegt, was du sagst.    

Die Leute wollen immer privat, privat, privat ... Klar, das ist unterhaltsam.

Man möchte die Person näher kennenlernen, die so tolle Filme macht.  

Warum denn? Ist doch wurscht, Hauptsache der Film gefällt.  Außerdem wissen die Leute meistens nicht einmal, wer der Regisseur eines Films ist. Sie kennen die Schauspieler, aber nicht den Regisseur.

Kränkt dich das?

Null, ich finde das großartig. Am liebsten würde ich komplett verschwinden als Regisseur und gar keine Interviews geben. Ich wäre auch froh, wenn es keine Fotos von mir geben würde und ich gar nicht über meinen Film sprechen müsste.

So schlimm?

Was heißt schlimm? Das Reden selber ist nicht schlimm. Schlimm ist es, wenn man wieder arbeitet und die Kritiker und die Leser plötzlich mit am Schreibtisch sitzen oder am Set stehen.  Dann kommen die Fragen wieder hoch.

Auch Fragen, die ich jetzt stelle?

Schon auch. Überhaupt ist doch klar, dass es für Filme nicht gut ist, wenn die Leute zu viel von dir wissen. Angenommen, ich drehe eine Szene, in der etwas Perverses oder Vulgäres geschehen muss, weil es der Film verlangt. Da arbeite ich freier, wenn mich keiner kennt.  

Es heißt doch immer, in der Kunst ist alles erlaubt?

Trotzdem bist du ein Mensch und dir sind Sachen peinlich. Das kannst du nicht einfach ausschalten, das ist Psychologie. Klar, in der Kunst muss man auch mal über die Stränge schlagen oder  Fehler machen. Aber wenn du dich beobachtet fühlst, traust du dich nicht mehr.

Man könnte die Haltung entwickeln, dass man sich nicht darum schert, was andere  über einen denken?

Das ist fast unmöglich. Denk mal an Falco. Ist dem das gelungen? Ich bin ein Mensch und kein Roboter. Uns Menschen ist es wichtig, was andere von uns halten. Aber wenn man den Job länger macht, lässt man tatsächlich nicht mehr so viel an sich ran. Deshalb trenne ich  ja auch so stark zwischen mir als Privatperson und Hans Weingartner, dem Regisseur. Ich mein’, ich bin ja jetzt kein Mega-Promi oder so was. Aber selbst meine bescheidene Prominenz empfinde ich manchmal als Belastung.

Du bist schon 2004 sehr im Fokus gestanden. Dein Film „Die fetten Jahre sind vorbei“ war ein Riesen-Erfolg. Hilft dir das jetzt deinen neuen Film „303“ zu promoten?

Die fetten Jahre“ waren ein Welterfolg, der Film hat Tausende Preise gewonnen. Trotzdem musste ich bei „303“ wieder Klinken putzen gehen und das Geld zusammenkratzen. Ich konnte das selbst nicht glauben. Die Fernsehsender und Filmförderungen wollten den Film einfach nicht. Ich glaube, es liegt daran, dass der Stoff so ungewöhnlich ist. Die sagen halt: Wo ist denn der Koffer mit dem Koks und wann packt einer das Heroinbesteck aus? Die wollen einen Plot, und wenn es ihn nicht gibt, haben sie Angst. Die geben lieber Geld für etwas, was schon mal funktioniert hat.  

In „303“ geht es um zwei Menschen, die sich bemühen, sich nicht ineinander zu verlieben.  

Ja, ich glaube, das ist selten, dass man zwei Menschen so langsam beim Verlieben zuschauen darf.   Normalerweise kommt nach dem  ersten Akt der Kuss. Dann wird das Liebespaar getrennt und muss den Rest des Films darum kämpfen, wieder zusammenzukommen. Bei uns dauert es eine Stunde, bis sich Jan und Jule überhaupt zum ersten Mal berühren ...  Jetzt möchte ich doch mal etwas Persönliches sagen.

Oh,  nur zu ...  

Die schönste Phase in jeder Beziehung ist doch diese Annäherungsphase, in der man nur aneinander schnuppert, Herzklopfen hat  und aufgeregt ist. Man will sich gefallen, sprüht vor Ideen und fühlt sich total lebendig und frisch. Manchmal ist es auch schrecklich, wenn dich die Frage quält: Will sie mich oder nicht? Ich habe diese Phase immer geliebt.

Man ist den ganzen Film über auch richtig gespannt, ob  Jule und Jan sich irgendwann  küssen.    

Ich selber eher weniger (lacht). Ich hab das Drehbuch ja geschrieben  und weiß, wie’s ausgeht. Wie bei Steven Spielberg, wenn der  weiße Hai ankommt. Meinst du vielleicht, der hat dann Angst vor dem weißen Hai?

Vermutlich nicht.

Nee, weil  er weiß, der ist aus Plastik. Das ist ja das Schwierige am Filmemachen. Du siehst den Film nicht wie  das Publikum.

Man möchte jedenfalls mitküssen.

Das freut mich, wenn das Konzept aufgegangen ist. Das ist ja auch der einzige Plot, den es in dem Film gibt. Kommen die beiden zusammen oder nicht? Und die Reise natürlich. 

Bist du gerade verliebt?

Hier sitzt der Hans Weingartner und der ist nicht verliebt, sondern macht Filme.

Regisseur Hans Weingartner: "Am liebsten  würde ich komplett  verschwinden“

Okay, alles klar. Der Film lebt von seinen klugen Dialogen rund um die Liebe. War es schwierig, Schauspieler zu finden, die so lange Dialoge sprechen können?  

Ich habe mit dem Schreiben der Dialoge ungefähr 1997 angefangen.  Ich wollte den Film zuerst an der Filmhochschule als Abschlussfilm machen, habe mich aber nicht recht getraut. Dann habe ich 2003 versucht, die ersten Castings zu machen. Aber die liefen so schrecklich, dass ich nach zwei Wochen aufgegeben habe. Man glaubt nicht, wie schwer es ist, lange Dialoge so zu sprechen, dass sie natürlich klingen.  

Und Themen wie Monogamie versus Polygamie können im Gespräch ja auch ausufern.  

Die Kunst ist, ein Thema, das man im Kaffeehaus zwei, drei Stunden bespricht, auf drei bis fünf Minuten zu verdichten. Dadurch klingt der Text erst einmal unnatürlich. Du musst also Schauspieler finden, die hoch sprachbegabt sind. Mit denen arbeitest du wochenlang intensiv daran, dass wieder ein melodischer Fluss entsteht, wie in einem Gedicht. Meistens ist im Filmgeschäft dafür keine Zeit, in den  meisten Filmen werden ja nur sehr kurze Sätze gesprochen.

Zum Beispiel: Wo waren Sie gestern zwischen fünf und neun?

Oder: Ich habe meine Frau nicht getötet. Oder: Gib mir deine Hand!

Kennst du den Film „Mein Essen mit   André? Das ist ein Dialogfilm.

Ja, das ist sehr lange her, 37 Jahre. Es gab eine Zeit lang  eine französische Filmkultur, wo viel geredet wurde. Dazu gehört auch „Mein Essen mit André“. Aber sonst kriegst du auf der Filmhochschule eingetrichtert: Streich’  jeden Satz, den du nicht unbedingt brauchst.

Jan spricht sich im Film für eine freiere Liebe aus, Jule  für Monogamie. Was ist denn nun richtig?  

Der Film kann keine eindeutige Antwort darauf geben, weil es sie nicht gibt. Was mich vor allem gepackt hat, war die Grundfrage, vor der wir überhaupt als Menschen stehen: Sind wir Neandertaler oder Cro-Magnon-Menschen?  (Anm.: Bezeichnung für den anatomisch modernen Menschen). Wollen wir uns weiter bis aufs Blut bekämpfen oder sind wir uns wieder unserer menschlichen Eigenschaften bewusst, die uns erst als Spezies erfolgreich gemacht haben – die Fähigkeit, sich  zu großen Verbündeten zusammenzuschließen.   

Sind wir zu sehr Individualisten?

Man hat den Individualismus als Folge auf zwei Schocks gepredigt. Das Kooperative hat in den letzten  70 Jahren durch den Nationalsozialismus, der ja eine Art Massenbewegung des Bösen war, einen schlechten Ruf bekommen – und dann noch einmal durch den Kommunismus, der auch völlig ausgeartet ist. Jetzt kommen wir langsam drauf, dass eine Menschheit aus acht Milliarden Individualisten nicht funktioniert. Der Nummer-eins-Glücksfaktor, wie man aus der Forschung weiß,  ist soziale Nähe. Happiness is only real, when shared. Das ist ein Satz aus dem Film „Into the Wild“, der einer meiner Vorbilder für meinen Film war. Kennst du den?

Das Roadmovie, wo ein Student mit seinem „Magic Bus“ durch die USA reist.  Wo lebst du eigentlich in Berlin? In einer Wohnung oder einem Haus?

In einem Bus, in einem Wohnmobil.

Das aus deinem Film?

Genau. Ich kann im Bus einfach am besten schlafen.

Wo stellst du ihn ab?

Im Garten vor dem Haus. Ich hatte Schlafstörungen und habe irgendwann festgestellt, dass es im Wohnmobil besser geht. Ich fühle mich da irgendwie sicher, wie die Rückkehr in den Mutterbauch.  Zuerst bin ich mit dem Bus rausgefahren, um ihn irgendwo im Wald  abzustellen. Dann habe ich mir überlegt, dass ich  genausogut im eigenen Garten stehen kann und habe mir eine kleine  Datsche gemietet.  

Nach Wien bist du aber geflogen?

Das sind ja an die 700 Kilometer und der Bus fährt nur 80 km/h. Da hätte ich doch etwas länger Zeit gebraucht.  

Wo geht deine Reise nach „303“ hin?

Dann werde ich erst mal Drehbücher schreiben. Und wenn ich nochmal einen Film als Regisseur  mache, dann auf jeden Fall einen richtig lustigen, eine Komödie, das ist die Königsklasse.

Du hast doch mal gesagt, dass du keine Filme mehr machen möchtest, weil es zu wenig bewegende Themen  gibt.

Das empfand ich zu der Zeit auch so. Doch mittlerweile brennt ja die Hütte wieder. Der neue Nationalismus. Der Neandertaler ist wieder auf dem Vormarsch, mit dem Oberneandertaler in den USA an der Spitze. Das sind Themen mehr als genug.

 

KARRIERE MIT FETTEN JAHREN

Hans Weingartner, 41, wurde 1977 als eines von acht Kindern in Feldkirch in Vorarlberg geboren. Schon als Jugendlicher experimentierte er mit der Kamera, arbeitete aber nach der Matura zuerst als Kanu-Führer in Kanada und  Skilehrer in Österreich. Später studierte er Neurowissenschaften und schloss das Studium, ebenso wie die Kunsthochschule für Medien in Köln, ab. Zu Beginn seines Studiums wurde er bei einem Wettbewerb der Stadt Wien zum „Programmierer des Jahres“ gewählt, reiste mit dem Preisgeld in die USA und erwarb seine erste Kamera. Seinen Durchbruch feierte der Regisseur 2004 mit dem kapitalismuskritischen Film „Die fetten Jahre sind vorbei“. Weingartner lebt heute in einem Wohnmobil in  Berlin und hat soeben sein Roadmovie „303“ veröffentlicht.

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