"Ich denke laut"

"Ich denke laut"
Der Erfinder des Kottan-Kults feiert seinen 70. Geburtstag. Ein Gespräch mit dem Regisseur Peter Patzak über Jimi Hendrix, Martin Scorsese und seinen Vater – einen Kriminalbeamten.

freizeit: Sie feiern demnächst Ihren 70. Geburtstag, in die österreichische Fernseh- und Kulturgeschichte sind Sie aber schon längst eingegangen – nicht nur mit Ihren „Kottan“-Filmen. Wollten Sie schon als Kind Filmregisseur werden?

Peter Patzak: Ich denke, ich wollte einfach selbst etwas herstellen. Am liebsten mit Bleistift und Papier, später mit Ölfarben und dann mit einer Kamera. Um mir die Materialien zu leisten, habe ich am Nussberg Weinwurzeln gesammelt. Aus denen gestaltete ich wundersame Lampenfüße, verkabelt, mit Lampen versehen und beschirmt. Das mache ich heute noch gerne aus „Findlingen“.

Wann hatten Sie dann Ihre erste Filmkamera in der Hand?

Mit dreizehn, vierzehn Jahren. Ich habe sie in der Truhe meines Vaters gefunden. Es war eine Pathé-Baby für 9,5-mm-Filme, mit der Perforation auf der Filmmitte. Nur gab es dazu keine Filme mehr. Ich wählte den Kamerastandort, stellte die Belichtung ein, legte den Ausschnitt fest, vollzog die Kamerabewegung und legte auch den Schnitt in der Kamera fest. Ich drehte Filme im Kopf, Abenteuerfilme mit den Hauptdarstellern Licht und Schatten. Es waren die schönsten Momente meiner Kindheit.

Ihr Vater war selbst Polizist. Hat er eigentlich geahnt, was da in Ihnen schlummert?

Mein Vater hat das ganze 20. Jahrhundert durchlebt. Er wurde 99,9 Jahre alt. Kein Historiker konnte so plastisch über die erste Hälfte dieses Jahrhunderts erzählen. Er war Maschinenkonstrukteur, Mathematiker, Zeichner und Verfasser von Stimmungsgedichten. Nach zwei Wirtschaftskrisen und zwei Weltkriegen landete er in der russisch besetzten Brigittenau bei der Kripo. Er war eher Sozialhelfer als Polizist. Ein großer Mediator. Er ist zu Straftätern gegangen, nachdem er sie ausgeforscht hatte, nicht um sie zu verhaften, sondern um mit ihnen und ihren Familien zu reden. Am nächsten Tag haben die sich freiwillig gestellt. Mein Vater hat eine Reduzierung der Strafe beantragt. Er war stolz, dass keiner von diesen Tätern rückfällig geworden ist.

... und „Kottan“, wie fand er ihn?

Den „Kottan“ hat er sich mit einem feinen Lächeln angesehen. Irgendwann fragte er: „Habe ich euch das alles erzählt?“ : Von „Kottan“ drehten Sie bis Anfang der 1980er-Jahre neunzehn TV-Filme und vor vier Jahren auch einen Kinofilm. Insgesamt spielten drei Schauspieler diese Rolle.

Wer war für Sie der beste?

Sagen wir so: Peter Vogel war ein genialer Schauspieler, ein getriebener, er hat sich in der Arbeit verbrannt. Franz Buchrieser war entspannt. Er hat eine unangepasste, lässige Figur eingebracht. Unsere Zusammenarbeit mit Franz war für viele im Team ganz einfach erotisch. Lukas Resetarits stand unter Strom. Und er konnte in seiner Zu- und Abneigung diesen Strom spürbar machen.

Sie haben schon als junger Regisseur mit großen Stars gedreht, mit Rita Tushingham etwa in dem Thriller „Situation“ (1972), Paula Wessely spielte eine Supermarktkassiererin in „Glückssache“ (1977), ein paar Jahre später arbeiteten Sie mit Elliott Gould. Welche Stars beeindruckten Sie besonders?

Genau diese. Das sind Namen der Filmgeschichte, die ohne Allüren dastehen. Langweilig und mühsam sind die, die Ihr Ego wie eine Hasenpfote in der Hose vor sich hertragen und eh’ nicht wissen, in welchem Film sie gerade sind. Paula Wessely war eine ganz neue Erfahrung. Es lief viel über die Sprache. Ich habe Ausschnitte am Schneidetisch gesammelt. Immer wieder angehört. Was der Strich von Kokoschka ist, ist bei ihr die Melodie der Sprache.

Mit wem hätten Sie gerne einmal zusammengearbeitet?

Als Assistent von Don Siegel bei dem Thriller „Der große Coup“ mit Walter Matthau. Das hätte sogar funktionieren können. Oder im Schneideraum von Hal Ashby bei „Das letzte Kommando“ mit Jack Nicholson, hätte auch stattfinden können. Als Coffee Boy bei Jean Pierre Melville, da bestand keine Aussicht. Als Bleistiftspitzer bei dem Schriftsteller Hunter S. Thompson. Keine Chance.

Sie waren schon Ende der 1960er-Jahre in New York und haben dort auch Jimi Hendrix gesehen...

... mit Janis Joplin als Vorgruppe. Das war in einem kleinen, verrauchten Kellerlokal im Village. Es war laut, es war wild, es war gesteckt voll und es war völlig anders als alles, was ich bis zu diesem Zeitpunkt gehört und gesehen habe.

Wow! Einmal erwähnten Sie, dass Axl Rose, der Sänger der Rockband Guns ’n’ Roses, neben Ihnen am Pissoir gestanden sei. Wären Sie gerne Rockstar statt Filmemacher geworden?

Ich bin erstaunt, was aus einer engen Kammer am Friedrich-Engels-Platz erarbeitet und erobert wurde. Erst das Marchfeldkino, dann das Atelier von Rudolf Hausner, erste Ausstellungen in der Schweiz, New York, Film und Malerei. Ich wäre für einen Rockstar ungeeignet. Schon in der Einsamkeit des Ateliers bin ich angespannt und aufgewühlt. Da ist aber niemand. Danke, dass es so ist.

Ihr Sohn Fabian malt, der Ältere, Serge, ist Filmemacher in New York. Und jetzt hat auch Ihre Frau Eve zu zeichnen begonnen ...

Die Armen haben alle keine Chance gehabt, was Richtiges zu machen. Als wir uns einmal alte Fotos aus dem Atelier angeschaut haben, meinte Fabian: „Wie kann man nicht Künstler werden, wenn man so aufwächst ...“

Das Österreichische Filmmuseum zeigt derzeit ein Tribute für Martin Scorsese. In seinem Film „Die Zeit nach Mitternacht“ gibt es eine Szene, in der Sie am Telefon verlangt werden. Wie kam es dazu?

Wir waren 1980 als Filmdozenten in Beijing und Schanghai eingeladen. Scorsese mochte „Kassbach“ und „Die letzte Runde“ sehr. Er war in einer Krise und wollte mit „After Hours“ wieder kleiner und freier anfangen. Ich sollte einen zwielichtigen Barkeeper spielen. Freude. Dann kam eine Verpflichtung dazwischen. Zumindest hat er nach mir gerufen. Für ein Projekt von mir hat er sich als künstlerischer Partner definiert. Wir haben nahezu ein Jahr daran gearbeitet. Es wurde zwei Mal vom Österreichischen Filminstitut abgelehnt. Für die geklonte Version aus einer anderen Werkstatt gab es dann Mittel.

Sie malen, schreiben, führen Regie im Film und auch am Theater. Gibt es ein Talent, von dem niemand weiß?

Ich kann Lorbeer, Rosen, Glyzinien, Rosmarin und Weinreben schneiden. Ich kann dabei laut denken und gehe Niemandem auf die Nerven.

Der Filmemmacher ist ein echtes Nachkriegskind. Geboren wurde Peter Patzak am 2. Jänner 1945 in Wien, im Arbeiterbezirk Brigittenau. Nach der Schule studierte er Psychologie, Kunstgeschichte und Malerei und hatte seine erste Ausstellung unter der Patronanz von Albert Paris Gütersloh, dem geistigen Vater der Wiener Schule des Phantastischen Realismus. Mitte der 60er-Jahre wurde Patzak zu der „Films of Art“- Show nach New York eingeladen. Von 1968 bis 1970 entstanden dort einige Kurzfilme. Von 1976 bis 1983 arbeitete er mit Autor Helmut Zenker an den Abenteuern des Major Adolf Kottan. Das Filmarchiv feiert den Regisseur schon jetzt, mit: „Kottan ermittelt – Folge 2: Der Geburtstag“ und „Die Weltmaschine“: 13.12., 20 h, METRO Kinokulturhaus.

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