Matthias Lanzinger über Optimismus
Herr Lanzinger, wie geht es Ihnen, wenn Sie an die "Paralympics" in Sotschi denken?
Matthias Lanzinger: Wir hatten letztes Jahr schon das Weltcupfinale in Sotschi. Deshalb weiß ich, was mich erwartet. Nur das Wetter hat leider nicht mitgespielt.
Das kann dieses Jahr ganz anders sein.
Na ja, wir können es wieder so erwischen. Uns wurde gesagt, dass das Wetter um diese Jahreszeit schlecht sein kann.
Aber ich nehme an, Sie sind für alle Eventualitäten gerüstet.
Das ist richtig. Vom Wetter lasse ich mich sicher nicht unterkriegen.
Sie haben sich schon von ganz anderen Dingen nicht unterkriegen lassen. Nach Ihrem Unfall hatte man als Außenstehender das Gefühl, dass Sie den Verlust Ihres Beines relativ rasch verkraftet haben. Warum waren Sie so stark?
Bei meinem Unfall war mir ganz sicher der Leistungssport sehr hilfreich. Seit meiner Jugend war ich darauf trainiert, Ziele zu erreichen und Rückschläge zu verkraften. Es gab also in dieser Situation für mich nur eines: Mir sofort neue Ziele zu stecken und daran zu arbeiten.
Viele Menschen scheitern an weniger dramatischen Dingen. War es wirklich so einfach?
Natürlich hätte ich hadern können, aber das hätte mein Bein nicht zurückgebracht. Es ist vielleicht meine beste Gabe, Dinge, die ich nicht ändern kann, anzunehmen. Als mir meine Frau im Krankenhaus von der Amputation erzählt hat, haben sich meine ersten Gedanken darum gedreht, was ich ohne Bein machen kann. Mir war klar, dass meine Karriere und mein voriges Leben vorbei waren.
Haben Sie eigentlich noch Schmerzen?
Mein Bein ist durch den Leistungssport sicher nicht besser geworden. Ich habe leider immer wieder Entzündungen am Stumpf, was mich am regelmäßigen Training hindert. Und die Schmerzen erinnern mich auch tagtäglich an den Unfall. Aber man lernt, damit zu leben.
Vom Talent her war ich nie einer, von dem man gesagt hat: "Der wird es bis ganz nach oben schaffen." Dafür war ich immer ein harter Arbeiter.
Trotzdem sind Sie im Behindertensport sehr erfolgreich und amtierender Weltmeister in der Super-Kombi. Darf man überhaupt Behindertensport sagen oder ist das politisch inkorrekt?
Ja sicher. Unsere Mannschaft heißt auch Austria Ski Team Behindertensport. Es heißt nicht mehr Versehrtensport wie früher, obwohl das noch viele sagen. Es scheint so, als wäre das Wort ‚behindert‘ noch immer negativ besetzt. Aber wir sind nun einmal körperlich behindert.
Sie sind als Weltmeister im Behindertensport viel erfolgreicher als früher. Wie soll ich das jetzt formulieren ...
Sie meinen, im Nichtbehindertensport hätte ich es quasi nicht so weit gebracht.
Das weiß man natürlich nicht. Vielleicht.
Ich habe vor dem Weltcup auf allen Ebenen, egal ob Jugend-, Junioren- oder Europacup, alles gewonnen, was es zu gewinnen gab. Aber immer sehr, sehr spät. Meist im letzten Jahr, in dem ich in einer Klasse zugelassen war. Meinen Unfall hatte ich mit 27 Jahren. Für mich war aber klar, dass ich mit 30 Jahren im Weltcup ganz vorne mitfahren kann. Der Gesamtweltcup war kein Thema, aber im Riesentorlauf und Super G war das mein Plan. Es hätte so sein können, aber wir werden es nie erfahren. Jetzt möchte ich mir meinen sportlichen Jugendtraum eben bei den "Paralympics" erfüllen.
Gibt es eine Erklärung dafür, dass Sie auf Ihre Erfolge länger warten mussten?
Vom Talent her war ich sicher nie einer, von dem man gesagt hat: "Der wird es bis ganz nach oben schaffen." Ich hatte auch körperlich nie die optimalen Voraussetzungen für einen Skifahrer. Dafür war ich immer ein harter Arbeiter, der in jeder einzelnen Trainingseinheit 100 Prozent gegeben hat. So habe ich mich in kleinen Schritten im Weltcup hinaufgearbeitet.
Woher kommt Ihre Bereitschaft, sich voll reinzuhauen?
Das hat man einfach, wenn man Sport betreibt. Zuerst matcht man sich mit Freunden und will ein bisschen besser sein als sie, dann kommt man in verschiedene Kader und das Spiel geht von vorne los. Ich wollte in Gruppen immer der Beste sein. Diese Einstellung hat mich dann auch zu meinen Zielen gebracht – nicht nur im Sport. Wenn etwas zäh hergegangen ist, habe ich es durchgezogen.
Hat Ihre Frau Sie nach Ihrem schweren Sturz in Kvitfjell am 2. März 2008 nie in Ihrem Ehrgeiz gebremst?
Als ich gesagt habe, dass ich wieder fahren möchte, war sie sicher nicht begeistert. Mein Wiedereinstieg war aber keine Entscheidung von heute auf morgen, sondern es ist bis dahin viel Zeit vergangen. Mein Frau hat in dieser Phase bemerkt, dass mein Wunsch nicht von außen gesteuert war. Damals haben ja viele gesagt: "Der macht sicher wieder was." Er kam von Herzen, weshalb sie auch heute zu 100 Prozent hinter mir steht.
"Das Wichtigste ist sicher, dass ich die perfekte
Frau gefunden habe."
Ihr Optimismus ist bemerkenswert. Angeeignet oder mit der Muttermilch aufgesogen?
Aufgewachsen bin ich in ganz normalen Verhältnissen. Aber was das positive Denken betrifft, habe ich sicher am meisten von meiner Frau profitiert. Sie ist der positivste Mensch, den ich kenne. Ich habe von ihr gelernt, dass etwas, was von außen als Leistung oder Erfolg definiert ist, für einen selbst nicht wichtig ist. Deshalb habe ich mich auch nie zu sehr über den Sport definiert und es hat mir nach dem Unfall nicht die Lebensgrundlage weggerissen. Ich bin ja trotzdem derselbe Mensch und auch mein Umfeld ist das Gleiche. Wichtiger als die sportlichen Erfolge ist mir meine Familie. Ich bin mit meiner Frau seit 15 Jahren glücklich, wir haben eine Tochter und unser Heim. Für mich ist das der perfekte Erfolg. Das Sportliche ist das Tüpfelchen auf dem i.
Ich kenne kaum Paare, die nach 15 Jahren noch glücklich sind. Verraten Sie uns Ihr Liebesgeheimnis?
Das Wichtigste ist sicher, dass ich die perfekte Frau gefunden habe. Aber was unsere Beziehung ausmacht, ist der gegenseitige Respekt und das Vertrauen. Ich habe meine Frau noch keinen einzigen Tag als selbstverständlich angesehen. Immer, wenn ich neben ihr einschlafen kann, bin ich extrem dankbar. Mir ist jeden Tag bewusst, dass sie ein starker, unabhängiger Mensch ist. Sie bräuchte mich eigentlich nicht. Ich versuche ihr das Gefühl zu geben, dass sie das Wichtigste für mich ist.
Das klingt großartig. Haben Sie eigentlich einen Bruder?
Nein leider, damit kann ich nicht dienen. Dafür zwei Schwestern, die auch sehr gut Ski gefahren sind und mit denen ich früher immer auf der Piste unterwegs war.
Und Ihre Eltern? Waren die begeisterte Skifahrer?
Ich bin familiär nicht vorbelastet. Mein Vater ist leider schon verstorben. Er war Handwerker und hat sein ganzes Leben alles mit den Händen gemacht. Er war von meiner Idee, Skifahrer zu werden, nicht begeistert. "Das ist kein g’scheiter Beruf", hat er immer gesagt. Vielleicht wollte ich ihm deshalb um so mehr beweisen, dass ich es damit zu etwas bringen kann.
Kann man mit dem Behindertensport überhaupt Geld verdienen?
Hier gilt dasselbe wie für den Nichtbehindertenbereich. Wir haben kein Preisgeld, aber ich habe seit Jahren treue Sponsoren, die mich schon in meiner ersten Karriere begleitet und auch in der Zeit dazwischen unterstützt haben. Deshalb bin ich in der glücklichen Lage, vom Behindertensport leben zu können.
Wären Sie enttäuscht, wenn Sie aus Sotschi keine Medaille nach Hause bringen?
Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Der Weg, bis nach Sotschi zu kommen, war schon etwas Schönes und Unglaubliches. Der Sport bietet ja mehr als Siege oder Erfolge. Ich habe in der Zeit gelernt, wieder an meine körperlichen Grenzen zu gehen. Das prägt dich auch für andere Bereiche im Leben.
Aber schön wäre eine Goldene schon.
In Sotschi muss man das ausblenden. Es geht nicht um Ergebnis-, sondern Leistungsdenken. Ich muss mich gut fühlen und optimal vorbereitet sein. Dann habe ich genug Selbstvertrauen, um eine entsprechende Leistung zu bringen. So kann auch Gold rausschauen.
Angenommen, es käme die gute Fee.
Jetzt bin ich gespannt, was das für eine Frage wird.
Und sie würde Ihnen anbieten, Ihr altes Leben zurückzubekommen: Würden Sie Ja sagen?
Ich bin mittlerweile in der glücklichen Lage, mein Leben zu lieben, wie es ist. Auch wenn ich nicht froh bin, dass ich den Unfall gehabt habe. Ich sehe die Folgen davon ja jeden Tag und das ist nicht allzu lustig. Aber wenn die Fee sagt, dass ich mein Leben so weiter leben darf wie jetzt, wäre ich schon sehr, sehr glücklich.
Info: Das Interview mit Matthias Lanzinger fand vor seiner Abreise nach Sotschi statt. Heute kämpft er bei der Abfahrt das erste Mal um Edelmetall.
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