Volksheld

Volksheld
Nazar ist Österreichs größter Popstar seit Falco. Und im virtuellen Duett mit diesem dominiert der 30-jährige Rapper derzeit die Charts. Mit der freizeit besuchte der gebürtige Perser seine Wiener Lieblingsgrätzel, sprach über Wut und Gelassenheit, Gefängnis und Erfolg. Und versuchte nebenbei, ein altes Handy zu reparieren.

Stadtbummel mit einem Star. Und dass Nazar tatsächlich einer ist, bemerken wir spätestens, als wir am Naschmarkt aus seinem mattschwarzen, überraschend unprätenziösen Auto steigen. „'tschuldigung“, kommt ein Pärchen in den Dreißigern freudestrahlend auf uns zu, „wir wollen nicht lästig sein, aber dürften wir ein Foto mit Ihnen machen?“ Nazar bleibt locker. „Klar“, sagt er, „was ist denn euer Lieblingssong?“ – „Der mit Falco, ,Zeit und Raum’!!“, sagt der Mann und lächelt schüchtern. „Meine Frau ist ein Riesen-Fan. Aber ich find’ die Nummer auch wirklich stark.“ Die beiden sind alles andere als typische Rap-Hörer. Wir sind hier nicht in der Hood, sondern in Bobo-Land. Keine Kids, die abhängen, sondern Sakkoträger in Begleitung, die sich zwischen Wein & Co und dem Türken ihres Vertrauens durchgustieren. Trotzdem müssen wir alle paar Meter stehen bleiben. Nazar schreibt Autogramme, lächelt freundlich auf gefühlten 159 Selfies. „In Favoriten wär's noch viel ärger. Da hätten wir gar keine Ruh’. Hier kennen sie mich zwar auch, aber die wenigsten sprechen mich an. Contenance und so, du weißt schon“, sagt er. Ist das der Grund, warum er sich auf keinen Fall im 10. Bezirk mit uns treffen wollte? „Ja. Auch. Aber hauptsächlich hab’ ich echt genug von den Klischees. Der Kanake in seinem Ghetto, am besten noch vor einem möglichst abgefuckten Hintergrund, immer wieder, ich kann's einfach nicht mehr ab.“

Nazar ist in Favoriten aufgewachsen. Bei den Kids aus seinem Hieb ist er schon ein Star, seit er vor sechs Jahren seine erste CD aufgenommen hat. „Versteh’ mich nicht falsch, ich liebe Favoriten, ich möcht’ nie wegziehen von dort. Ich kenn’ jeden, jeder kennt mich, keine Döner-Bude, in der ich nicht schon war. Mir geht nur das Image auf die Nerven, das immer wieder bedient wird: Das Ghetto-Kid in Favoriten. Das heißt ja irgendwie auch: Bleib, wo du hingehörst.“ – „Hey Nazar, großartig!“, ein grauhaariger Fan im Trenchcoat schüttelt ihm die Hand. Im Gehen erklärt der Silberfuchs: „Der erste Österreicher seit Jahrzehnten, der's auf Platz zwei der deutschen Album-Charts geschafft hat! Ein Guter.“ Wir sitzen inzwischen im Schanigarten eines kleinen Cafés. Vor der wahrscheinlich einzigen Graffiti-Wand, die der Naschmarkt noch zu bieten hat. Fotograf Gilbert hat sich das so gewünscht. „Eh klar“, sagt Nazar und zwinkert, während er sich Extra-Zucker für seinen Latte bestellt. Die Kellnerin strahlt vor Glück, als sie noch einmal kommen darf. „Danke sehr“, sagt der Rapper und grinst sie an. Ihre Wangen glühen. Wie wurde er vom angry young man zum Volkshelden? „Angry young man, hm?“, fragt er zurück. „Aber stimmt schon, wo ich herkomm’, war viel Stress. Auf der Straße und so. Wut, Aggression, da gab’s schnell mal Ärger. Und lass dir nicht einreden, das hätte nur mit uns Kanaken zu tun, das wär’ unser Ding. Wir waren schön durchmischt, das ist einfach eine Sachen des sozialen Milieus. Keine Kohle, keine Perspektive, und die Helden, die du hast, suchst du dir in amerikanischen Actionfilmen. Da ist nichts mit reflektieren und diskutieren ...“ Nazar schüttelt nachdenklich den Kopf. „Ein paar meiner Kumpels haben's geschafft, ein paar sind gestorben.“ Und sein Ventil war die Musik? „Ja schon, aber ganz so einfach lief's nicht. Der Knackpunkt war, als ich für etwas, das ich nicht getan hab’, in Untersuchungshaft saß. Mir drohten bis zu zehn Jahre Haft. Da fällst du in ein schwarzes Loch. Meine erste CD war heraußen, meine Videos laufen auf MTV – und ich sitz’ im Knast! Dabei bin ich vorher mit einigem davongekommen, was echt übel war. Ich denk’ mir also: Böses Karma kommt zu dir zurück. Wenn ich da heil rauskomm’, krempel ich mein Leben um. Hass bringt dich nicht weiter – nur gute Arbeit.“ Nazar kam raus, die Hauptanklagepunkte wurden fallen gelassen. Nazars Raps wurden persönlicher, ein wenig introvertierter – der Erfolg stieg von CD zu CD. Bis jetzt die aktuelle Scheibe „Camouflage“ alle Rekorde bricht. Gänseblümchentexte schreibt er natürlich trotzdem nicht. Das würde auch nicht passen ...

Arbeitet er heute auch selbst mit Jugendlichen? „Mit den Kids arbeiten? Klar, ist gut, mach’ ich auch. Das ist nur so eine Sache. Wenn ich in die Jugendzentren geh’, und dort gegen Gewalt predige und dass man sich Perspektiven suchen und schaffen muss und so, dann sitzen alle da und warten nur auf das Selfie, das sie nach der Stunde mit mir schießen dürfen. Was ich sag’, geht in einem Ohr rein und beim anderen wieder raus ... Das funktioniert also nicht so einfach. Der beste Ansatzpunkt ist über das, was du machst, was du kannst. In meinem Fall die Musik. Wenn ich aber jetzt anfange, gegen Gewalt zu rappen, dann hören sie halt nicht mehr zu, weil dann bin ich für sie nur mehr einer von ,denen', den Lehrern, Politikern, Sozialarbeitern, die immer das Gleiche sagen. Der einzige Weg ist es, in den Songs Gewalt als Problemlösung zu ignorieren.“ Der Popstar schaut auf die Uhr. „Hey, genug gequasselt. Ich wollte dir Wien zeigen. Wir müssen weiter.“ Wo geht's hin? „Innenstadt natürlich, was denkst du denn?“ Der sensible Künstler muss mir mein Erstaunen angesehen haben. „Was is’, Alter? Der erste Bezirk, das war immer unser Traumziel, schon als Teenager, wenn wir abends ausgebüchst und rumgezogen sind. Wenn du da sitzt, in einem schicken Café, in einem Restaurant oder Club – das hat Stil. Das hat wahrscheinlich damit zu tun, wie wir aufgewachsen sind, mit dieser Sehnsucht nach dem, was für uns so weit weg war. Du kommst aus einer anderen Welt. Du hättest das problemlos haben können, aber bist wahrscheinlich lieber in Alternativkneipen und Hipster-Locations abgehangen – is’ ja auch kein Problem. Wien hat für alle was zu bieten. Ne coole Stadt eben. Viele Producer und Musikerkollegen wollten mich überreden, nach Berlin zu ziehen. Und Berlin ist auch geil – aber ich möcht’ nicht weg aus Wien.“

Eine halbe Stunde später stehen wir vor dem Stephansdom. „Herrlich“, sagt Nazar. „Und gleich dort drüben gibt's wirklich top Uhren und Schmuck.“ Er zeigt aufs Haas-Haus. „Echt cooler Bau übrigens“, fügt er hinzu. „Dein Handy ist übrigens krass zerkratzt. Kannst überhaupt noch was sehen auf dem Display? Komm mal mit, wenn dir wer helfen kann, dann die hier.“ Vor meinem Steinzeit-Smartphone muss allerdings sogar Nazars Lieblingshandybedarfsgeschäft in der Jasomirgottstraße w.o. geben. „Kann doch nicht sein – ist doch ein Markenteil!“, sagt der Rapper. „Ja, aber richtig alt“, sagt der Experte. „Haste vielleicht ein neues Glas für meinen Kumpel?“ – „Können wir machen, dauert aber zwei Tage.“ Nazar nimmt mich an der Schulter: „Lass dir das machen, wenn du das Teil mal zwei Tage nicht brauchst.“ Ich versprech’s ihm. Wir gehen weiter, Yamamoto, Givenchy – der Star weiß, was ihm gefällt. „Wollen wir noch zu Amicis? Die beste Boutique in der Gegend. Oder lieber gleich was essen?“ Im Zweifelsfall entscheiden wir uns fürs Essen. „Da hab ich genau das Richtige für uns“, freut er sich. Wir landen im „Nacha’s“ am Petersplatz. Russischer Glamour, Weltstadt-Flair, feine Küche. „Würdest du sagen, dass du oberflächlich bist?“, frag’ ich ihn, während wir grandiose Burger und zartes Beef Tartare mit Wasabikaviar in uns hineinschaufeln. „Du meinst wegen der ganzen Style-Sache und so? Schau, ich bin Perser – wir mögen Stil. Und wenn du lange Zeit gar nichts gehabt hast, dann bekommen Dinge, die außer deiner Reichweite sind, einen noch größeren Wert. Du willst sie unbedingt, weil du glaubst, dass du dann endlich dazugehörst. Irgendwann erkennst du dann, dass der Wert von Dingen nicht mit ihrem Preis zusammenhängt... Trotzdem geb’ ich heut’ auch noch zu viel Geld aus, wenn ich etwas unbedingt will, so ganz werd’ ich das wohl nie los. Aber zumindest tu’ ich’s nicht mehr, um irgendwem was zu beweisen.“

♦ Name: Ardalan Afshar, geboren 1984 in Teheran, Vater im Golfkrieg gefallen. 1987 flüchtete seine Mutter mit ihm und seinem Bruder nach Österreich

♦ Mit 22 begann seine Karriere als Rapper. Schon ein Jahr später wurden seine Songs über’s Internet bekannt.

♦ 2012 erste Top-Ten-Platzierung in den deutschen Charts, 2013 und 2014 gewann er je einen Amadeus Award;

♦ Er liebt Bobby Womack und Kanye West, ist Fan des Chelsea FC, fliegt aber auch schon mal für ein Wochenende nach Madrid, um Real live zu sehen;

♦ Seine CD „Camouflage“ ist Nummer 1 in Österreich und Nummer 2 in D. Am 13. 2. 2015 spielt er in der Wiener Arena.

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