Marcel Koller über Mentalität
freizeit: Herr Koller, heute wollte ich ganz besonders pünktlich sein. Sind Sie da so genau, wie man es von den Schweizern behauptet?
Marcel Koller: Ich versuche schon immer pünktlich zu sein. Das ist ja auch eine Respektsache und ein Akt der Höflichkeit. Und im Fußball geht es ohnehin nicht anders. Es wäre mühsam, wenn ein Team immer auf einen warten müsste.
Über Österreicher sagt man oft, dass sie es gerne gemütlich angehen. Haben Sie damit als Trainer der Nationalmannschaft schon Bekanntschaft gemacht?
Vielleicht ab und zu. Wir haben aber im Nationalteam Legionäre, die in Deutschland spielen. Dort reicht Talent alleine nicht. Die Konkurrenz ist größer und das Tempo höher. Da hat Gemütlichkeit keinen Platz, und das merken die Spieler auch. Trotzdem ist es schwierig, seine Mentalität zu ändern. Aber eigentlich muss man sich nur fragen: „Gebe ich mich mit 80 Prozent meiner Leistung zufrieden oder gebe ich hundert Prozent?“ Für Zweiteres muss man eben etwas tun.
Sehen Sie sich als Trainer für fehlende Motivation zuständig?
Ich bin sicher nicht der Kasperl, der rumläuft und motiviert. Wenn ich das Wort Motivieren schon höre, krieg ich einen Koller. Viele Spieler sind 20 Jahre alt, verdienen gutes Geld und können sich alles leisten. Dann soll sich da noch ein über 50-Jähriger hinstellen und ihnen gut zureden. Es ist doch das Schönste, wenn man das Hobby zum Beruf machen kann. Klar müssen wir die ein oder andere Stellschraube anbringen. Aber wenn einer keine Lust hat, soll er zu Hause bleiben.
Über Marko Arnautovic haben Sie aber auch schon einmal gesagt, dass er nur 70 Prozent gibt. Hier sind Sie doch auch bereit, zu motivieren.
Aus meiner Sicht hat er mehr Potenzial, und das versuchen wir abzurufen.
Wie funktioniert das Abrufen von vorhandenem Potenzial?
Ich versuche den Spieler heiß zu machen, und sage: „Das reicht noch nicht, mach mehr! Du hast es in dir!“ Das mache ich natürlich bei keinem, der das Potenzial dazu nicht in sich hat. Aber wenn ich erkenne, dass einer die Fähigkeit hat, versuche ich sie herauszukitzeln. Meine Aufgabe als Trainer ist es auch, aus den Spielern die beste Leistung herauszuholen. Aber mich als Motivator hinzustellen, den Kasperl zu machen und zu sagen: „Jetzt lauft einmal“, das tu ich sicher nicht.
Sie selbst waren 17 Jahre als Profi aktiv. Wissen Sie, welcher berühmte Österreicher bei Ihrem Stammverein „Grasshopper Zürich“ gespielt hat?
Ja. Kurt Jara.
Nein, ich meinte richtig berühmt.
Buh, da muss ich passen.
Der Schauspieler Maximilian Schell. Er hat 1952 dann aber ins darstellende Fach gewechselt.
Der hat da gespielt? Das wusste ich nicht. Als Schauspieler kenne ich ihn aber.
Wie sieht es mit Ihren Wien-Kenntnissen aus? Sie sind seit eindreiviertel Jahren in Österreich. Haben Sie die Stadt schon ausreichend entdeckt?
Meiner Frau und mir gefällt es hier sehr gut. Ich habe für die Schweizer, die nach Wien gekommen sind, um mich zu besuchen, auch schon den Fremdenführer gespielt. Wir wohnen in der Innenstadt, was perfekt ist, weil wir alles zu Fuß machen können. Es könnte aber sicher noch mehr sein. Das ein oder andere Museum ist noch offen. Und die Stelze im Schweizerhaus habe ich auch noch nicht gegessen. Aber zumindest bin ich schon dort gewesen.
Liegt Ihnen der „Wiener Schmäh“?
Ich kann gut damit umgehen. Es kommt immer drauf an, wer einen Schmäh macht. Grundsätzlich glaube ich aber, dass sich Österreicher und Schweizer nicht sehr stark voneinander unterscheiden. Natürlich gibt es Dinge, die mich anfangs gestört haben – auch bei den Spielern. Damit meine ich im Speziellen das Raunzen. Es wurde hier gerade anfangs oft gemeckert. Einmal passte dies nicht, dann wieder das. Das liegt mir nicht. Deshalb versuche ich das Gute zu sehen und eine Leistung dahinter zu setzen.
Als Sie nach Österreich gekommen sind, hieß es: „Was brauchen wir den Schweizer? Das kann ein Österreicher auch.“ Mittlerweile hat man Sie aber lieb gewonnen. Wie geht es Ihnen mit dem Wechselbad der Gefühle?
Hinter dem Lob steckt auch was. Ich bin nicht wie Phönix aus der Asche aufgestiegen. Wir haben durch unsere Leistungen etwas bewegt. Natürlich wurde am Anfang geraunzt oder ein Experte hat einmal gemeckert. Aber das hat ja oft andere Hintergründe. Mich hat das nie gestört, weil ich weiß, wie ich arbeite und was ich vielleicht auch bewegen kann. Das Selbstvertrauen ist da und man sieht ja auch, dass sich das auf das Team überträgt.
Gilt das auch nach der Niederlage im Griechenland-Match?
Die Bäume wachsen nicht in den Himmel. Wir können nicht davon ausgehen, dass wir bei jedem Spiel Punkte mitnehmen, nur weil wir gegen Schweden gewonnen haben. Ich hoffe aber, dass die Niederlage heilsam war und die Spieler merken, dass sie noch mehr ackern müssen.
Wie wichtig ist die mentale Stärke nach Niederlagen?
Sehr wichtig. Mitunter haben wir einen eigenen Sportpsychologen im Betreuerstab. Bei uns beginnt ja alles im Kopf. Alles fängt mit dem Gedanken an, sich nach vorne zu bewegen. Und ich habe ja auch in meiner eigenen Karriere gesehen, wie wichtig das Mentale ist.
Sprechen Sie Ihre zahlreichen Verletzungen an?
Ja. Ich hatte in meiner Karriere acht Operationen und sehr viele Verletzungen. Es waren auch sehr deftige dabei, nach denen ich monatelang ausgefallen bin. Der Physio hilft dir natürlich, aber wenn du den Willen nicht hast, zurückzukommen, kannst du es vergessen.
Welche Stärken zeichnen Sie noch aus?
Mir war es von Anfang an wichtig, dass die Leute wegen uns ins Stadion gehen. Es ist leicht, das Happel-Stadion zu füllen, wenn man attraktive Gegner wie Deutschland, Brasilien oder Frankreich hat. Bei kleineren Gegnern wird es schon schwieriger. Es hat sich aber mittlerweile gezeigt, dass die Leute wegen uns, also dem Nationalteam, kommen.
Sie benutzen das Wort „uns“. Ist es für einen Schweizer überhaupt möglich, sich ehrlich über einen Sieg der Österreicher zu freuen?
Natürlich bin ich Schweizer, aber wir sind ja auch Nachbarn. Es ist auch klar, dass Trainer sein ein Job ist. Aber wenn ich sehe, wie die Spieler gewisse Dinge umsetzen, sind das meine Jungs. Da spielt es keine Rolle, woher ich komme. Wir verfolgen ein gemeinsames Ziel.
Ihre Tochter spielt auch Fußball. Würden Sie sie ins Nationalteam aufnehmen?
Ich akzeptiere, dass sie beim Frauenfußball dabei ist. Aber rein von der Dynamik, der Kraft und der Schnelligkeit her, sind Frauen- und Männerfußball nicht miteinander vergleichbar.
Bei den Topmannschaften wie Deutschland sieht man aber immer wieder auch einige sehr gute Aktionen. Schauen Sie sich ab und zu ein Damenmatch im Fernsehen an?
Ab und zu schon. Regelmäßig nicht, weil ich ja sonst auch ständig Fußball schaue.
Das ist ein Problem in vielen Beziehungen. Der Mann schaut am Wochenende Fußball, der Frau ist fad. Was raten Sie?
Einen zweiten Fernseher kaufen. Oder sich dafür interessieren. Aber das ist ein schwieriges Thema. Das gebe ich zu.
Vielleicht könnte man die Frau mit Schweizer Schokolade beschwichtigen. Essen Sie viel davon?
Es ist nicht so, dass ich jede Woche eine Schweizer Schokolade brauche, aber bei uns im Kühlschrank gibt es immer eine.
Können Sie eine Sorte empfehlen?
Ragusa zum Beispiel. Das sind so Stängel mit Haselnüssen drinnen. Und man muss dafür auch nicht extra in die Schweiz fahren. Es gibt sie auch beim „Meinl am Graben.“
Wann waren Sie zuletzt in der Schweiz?
Vor einigen Wochen erst. Ich habe dort Urlaub gemacht.
Und wohin geht es nächstes Jahr? Rio?
Ehrlich gesagt, hoffe ich, dass es kein Urlaub ist, wenn ich 2014 dorthin reisen sollte. Die WM in Brasilien ist natürlich unser Ziel. Bis dahin müssen wir aber noch zumindest vier sehr wichtige Spiele absolvieren.
Info: Das nächste WM-Qualifikationsspiel Deutschland gegen Österreich findet am 6. September 2013 in München statt.
Kommentare