Land am Strom
Urtümlich, still, magisch. Träge fließt die Donau Richtung südöstliches Meer, von den glitzernden Gneisbändern des Schwarzwalds über den Granit aus dem Bauch der Erde bis ins maßlose Schwemmland ihres Deltas. In ihrem Bett aus Schlamm, Kalksteinkäfern und Muscheln, Relikte aus einer anderen Zeit, einer anderen Welt. Seit Millionen Jahren gräbt sie sich tiefer und tiefer in die Vergangenheit der Erde, mündete im jungen Miozän (vor 7 Mio. Jahren) im Wiener Becken in den Pannon-See, bis der Weg weiter und weiter wurde, knapp 2.000 km sind es heute ins Donaudelta im Schwarzen Meer, dem letzten Rest des gigantischen Sees. Heute. Heute dürfen wir froh sein, dass sie zumindest auf einem kleinen Teil ihrer Reise durch Österreich noch so fließt, urtümlich, still, magisch: 38 km, zwischen der Wiener Lobau und der slowakischen Grenze – der Nationalpark Donau-Auen.
Vielleicht wundern wir uns ja jetzt, mit unserem Mehr an Wissen und Gesehenem, dass es eines derart massiven Protests bedurfte, damals vor beinahe 30 Jahren, eines wahren Volkszorns, ausgelöst durch Rodungsmaschinen und Polizeieinsatz, ehe dieses Idyll zum Sperrgebiet für jedwede wirtschaftlichen Interessen erklärt wurde. Aber auch das gehört zur Geschichte eines Staates: Veränderung, Krise, Lernprozess und durchaus auch einmal eine Kehrtwende, warum nicht, wenn's angebracht ist. Auch das ist eine Leistung, die ein Land, ein funktionierendes System auszeichnet.So gedeihen unter den tanzenden Wolken der Zuckmücken auch weiterhin Ampfer, Alant und Aronstab, dessen große Blätter eigentlich in den Regenwald zu gehören scheinen, die Pimpernuss, deren Samen von früheren Generationen als Glücksbringer geschätzt wurden, Thymian, und der ebenso aromatisch duftende kriechende Quendel, der violett geäderte Diptam, der einen beinahe exotischen Duft nach Zitrone und Zimt in die Aulandschaft bringt und seit Jahrhunderten als wirksames Mittel gegen Magen- und Darmbeschwerden gilt, Blutweiderich und die entzückend schöne aber giftige Einbeere. Während Rothirsch, Reh und Mink, der neben dem Mufflon vielleicht auffälligste Immigrant in der Gegend, ungestört durch den Urwald streifen und die bis zu zweieinhalb Meter hohen Breitblatt-Rohrkolben das Bild der Augewässer in Ufernähe prägen.
Der Fluss strömt gelassen einem südlichen Ziel zu, von dem seine Bewohner, Wels und Hundsfisch, Barsch und räuberischer Hecht, Karpfen und Krebs, für alle Zeit unberührt bleiben. Für sie zählt nur das Hier und Jetzt, das gleichmäßige Auf und Ab des Wasserstandes im Lauf der Jahreszeiten, der Schlamm, den er mit sich führt, die Nahrung, die er zur Verfügung stellt.
Auch menschliche Jäger und Sammler fanden hier vor Tausenden Jahren ein sommerliches Paradies vor, die Römer hassten und fürchteten den beinahe undurchdringlichen Urwald und den Morast des Herbstes und des Frühlings, der ihre High-Tech-Armee zum Stillstand brachte und bewegungslos den unsichtbaren, primitiven Feinden auslieferte. Napoleon saß mit seiner Grande Armee auf der umfluteten Insel Lobau und grübelte über seinen Misserfolg bei Aspern, ausgerechnet gegen die belächelten Österreicher, während dunkle Wolken über dem Fluss im kühlen Licht des Messingmondes wie Tinte zerliefen.
Das war alles lange, sehr lange, bevor es den ersten österreichischen Nationalfeiertag in seiner jetzigen Form gab. Der Tag, der sich wie kein anderer dazu eignet, sich die Schätze dieses Landes in Erinnerung zu rufen. Davor wurde die Ausrufung der ersten Republik am 12. November gefeiert, später dann der 1. Mai als „Gedenktag an die Proklamation der Verfassung 1934“. Dann gab es jahrelang wenig Grund zum Feiern. Den „neuen“ Nationalfeiertag gibt es seit 48 Jahren. Der Anlass? Es wird des 26. Oktober des Jahres 1955 gedacht. Nein, nicht des Abzugs der letzten Besatzungssoldaten, der war am Tag davor. Am 26. wurde vom Nationalrat die immerwährende österreichische Neutralität beschlossen und der „österreichische Wille erklärt, für alle Zukunft und unter allen Umständen seine Unabhängigkeit zu wahren“. Wie lange, auch die Frage muss erlaubt sein, ist „immerwährend“ in menschlichen Maßstäben?
Feiertage ändern ihr Gesicht, so wie Länder es tun. Und der Fluss es bereits getan hat, Tausende Male schon. Schneller die einen, langsamer die anderen. Wie der mächtige Strom. Wenn wir Menschen ihm nicht unseren kurzlebigen Willen aufzwingen. Aber hier im Nationalpark Donau-Auen darf er sein, wie er will. Gemütlich atmend, urtümlich, majestätisch.
Gehen wir hin, genießen wir ihn. Er lässt uns ahnen, was Zeit bedeutet.
Der Gründung im Jahr 1996 gingen massive Proteste der österreichischen Bevölkerung voran (1984: Besetzung der Hainburger Au). Fläche: 93 km²
Länge: 38 km, die breiteste Stelle misst etwa 4 km.
Besondere Attraktionen: eine der größten urtümlichen Aulandschaften Europas; Lebensraum für 30 Säugetier- und Vogel-Arten, u. a. See- und den äußerst seltenen Kaiser-Adler; außerdem: 8 Reptilien- und 13 Amphibien-Arten und mehr als 800 höhere Pflanzen.
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