Musik? Lieber live!

Musik? Lieber live!
Früher war alles besser. Es gab eine überschaubare Zahl an Stars, von denen kaufte man Platten oder CDs. Heute weiß kaum noch jemand, was CDs überhaupt sind. Aber: Die Krise der Tonträger-Industrie ist auch eine Chance für die Musik.

Live-Spielen – das galt lange Zeit vor allem als Schule für Bands. Die Tretmühle, das Work-out für den zukünftigen Star, die Arena der Wahrheit. Schweiß, fliegende Bierbecher, ein Publikum zwischen latent aggressiver Lethargie und unkontrollierbarem Rausch. So überhaupt ein nennenswertes Publikum vorhanden ist. Die Beatles, heißt es, waren nur so gut, weil sie jahrelang durch halbleere Clubs und Pubs getingelt sind, um dann regelmäßig die Kids in St. Pauli zum Tanzen zu bringen. Bruce Springsteen, Pearl Jam, Bob Dylan – man hört ihnen heute noch jede Meile an, die sie „on the Road“ verbracht haben.

Die Bühne gehörte dazu, um bekannt zu werden und zu lernen. Für Stars waren Livekonzerte entweder eine lästige Pflicht, ein Promotion-Tool, um die aktuelle Platte zu bewerben – oder, im Bestfall, eine Leidenschaft, die man nicht aufgeben will. Als Akt per se waren sie nebensächlich.

Heute sieht die Sache anders aus: Für alle Musiker, die nicht von „altem Geld“, also Tantiemen aus längst vergangenen Zeiten, leben, sind Livekonzerte überlebenswichtig. Denn auch wenn das Musik-Streaming sagenhafte Zuwächse verbucht, im Vorjahr waren es 41,1 Prozent, machen die Einnahmen nicht einmal zwei Drittel des Betrags aus dem Jahr 1999 aus. Und wie in fast allen Geschäftsmodellen gilt: Der, der die tatsächliche Arbeit macht, egal ob er schraubt, zimmert, wischt, stapelt oder Songs komponiert und aufnimmt, sieht von diesen Einnahmen den geringsten Teil. Die grundsätzlichen Mechanismen, die zu dieser Situation führen, an dieser Stelle in Frage zu stellen, ist müßig, sie werden sich bis auf Weiteres nicht ändern.

Es wird also so viel live gespielt, wie kaum jemals zuvor. Und vergleicht man die Bedingungen etwa mit den 90ern, der angeblich großen Zeit des musikalischen Aufbruchs, gibt es heute auch tatsächlich eine viel größere Zahl an Venues und Festivals, an Gelegenheiten für Bands und Musiker aller Genres und Professionalitätsstufen und Bekanntheitsgrade, um ihre Musik direkt vors Publikum zu bringen. Zumindest für die Fans ist das unglaublich lässig. Und für die Musiker?

So bitter es für sie ist, kaum finanzielle Wertschöpfung für ihre Aufnahmen zu erhalten, so fantastisch ist vor allem für die Jungen, die Möglichkeit, die Menschen mit ihren Songs direkt zu erreichen. Zu spüren, wie ihre Musik wirkt, ankommt. Energie zu tanken, wenn sie das Publikum fesseln können. Genau das ist es, was die wirklich Großen groß gemacht hat.

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