Ana Milva Gomes über Akzeptanz

Ana Milva Gomes über Akzeptanz
Miss Musical: Ana Milva Gomes ist gebürtige Holländerin und hat schon in vielen Produktionen die Hauptrolle gespielt. Im Hit "Mamma Mia!" am Raimund Theater ist sie die erste schwarze "Donna" der Welt. Ein Gespräch über Hautfarbe, Sprachbarrieren und die Kunst, in der Ferne die Heimat zu spüren

freizeit: Frau Gomes, mein erstes Interview mit einem Musical-Star...

Ana Milva Gomes: Musicalstar, ich finde es komisch, das von sich selber zu sagen.

Ich sag es für Sie. Mögen Sie das nicht?

Nein, ja doch, nein, ja. Es ist irgendwie eigenartig. Was heißt denn Musicalstar? Dass ich viele Musicals und ein paar Hauptrollen gespielt habe? Das stimmt natürlich, aber ich sehe das entspannt.

Trotzdem: Sie spielen die Hauptrolle im neuen Musical-Hit "Mamma Mia" in Wien. Wie haben Sie reagiert, als Sie die Zusage bekommen haben?

Ich dachte mir nur: ‚Wirklich?‘ Ich konnte es einfach nicht glauben, weil es bis jetzt noch nie eine schwarze "Donna" gegeben hat. Ich fand es toll, dass meine Hautfarbe dieses Mal kein Thema war. Schwarze Kollegen aus dem Business meinten, dass sich in dieser Hinsicht gerade etwas verändert. Das beflügelt meine Fantasie.

Lassen Sie hören.

Ich denke mir: Vielleicht wird es einmal die Elisabeth? Warum denn nicht? Ach was, das ist nur Spaß, aber es ist wirklich schön zu sehen, dass alles offener wird. Ich habe schon oft für Filmrollen oder Serien vorgesprochen. Als Schwarze bekommst du immer dieselben Rollen. Die Immigrantin oder die Frau ohne Pass, die nicht sehr gut Deutsch spricht.

Sie sind gebürtige Holländerin. Ist man dort wirklich so viel offener als in Deutschland oder in Österreich?

Holland ist Multikulti, was man auch am Fernsehprogramm bemerkt. Ich bin mit vielen verschiedenen Hautfarben aufgewachsen. In der Serie "Sesamstraße" gab es eine schwarze Frau aus dem Surinam. Holland war einmal eine der bedeutendsten Kolonialmächte der Welt. Deshalb leben dort auch viele Menschen von den Antillen, Curaçao oder den Kapverden.

Sie haben ja kapverdische Wurzeln.

Ja, meine Eltern stammen von den Kapverden. Sie haben einander in Italien kennengelernt und sind dann gemeinsam nach Rotterdam gezogen, wo mein Vater einen Job bekommen hat.

Haben Ihre Eltern auch schon etwas Künstlerisches gemacht?

Meine Eltern waren keine Künstler, aber Musik war immer ein wichtiger Teil unserer Kultur. Es hat damit angefangen, dass ich mich als Kind zum Tanzen immer auf Papas Füße gestellt habe. Und meine Mutter hatte durch ihre Zeit in Italien eine Vorliebe für das Fernsehballett auf "Rai Uno". Sie hat mir, während sie den Tänzern zugesehen hat, die Haare geflochten. Eine starke Erinnerung. Allerdings habe ich auch nicht vergessen, dass das Fernsehballett nur aus weißen Mädchen bestand.

Wie fanden Sie schließlich den Mut, selbst ins Show-Business einzusteigen?

In Holland gab es das Showballett von Lucia Marthas. Dort habe ich zum ersten Mal auch schwarze Tänzerinnen gesehen. Da dachte ich mir: ‚Ah, es ist also möglich, als schwarze Frau im Fernsehen zu sein und zu tanzen.‘ Ich habe dann auch in Lucia Marthas’ Show-Akademie studiert. So hat alles angefangen.

Und wie sind Sie dann überhaupt in den deutschsprachigen Raum gekommen?

Ich hatte nach der Schule drei Job-Angebote. Eines in "König der Löwen" in Holland, dann gab es eine Rolle für "Mamma Mia!" und eine für das Musical "Aida". Ich war so ein Fan von "Aida", dass ich das Engagement auch angenommen hätte, wenn es in Japan gewesen wäre. Gelandet bin ich dann in Essen, wo ich fünf Jahre geblieben bin.

Sie haben Ihre Heimat also von einem Tag auf den anderen verlassen.

Ich wollte auf der Bühne stehen, wo auch immer, und bin gegangen, ohne nachzudenken. Jetzt, zehn Jahre später, sage ich mir oft: ‚Wow, wie verrückt war das eigentlich?‘ Ich glaube, es war Naivität. Das hat man nur, wenn man jung ist. Ich habe meine Familie verlassen und konnte nicht mal die Sprache. Das ist die Passion, die ich für meinen Job habe.

Es gibt Menschen, die der Meinung sind, dass Heimat überall sein kann. Wie stehen Sie dazu?

Absolut. Was ich gelernt habe ist, bestimmte Sachen immer bei mir zu haben. Als ich einmal drei Jahre auf Tour war, hatte ich zehn Koffer mit dabei. in einem waren nur CDs und DVDs mit meiner Lieblingsmusik und meinen Lieblingsserien von "Friends" bis "Will & Grace". Englische und holländische Bücher hatte ich auch dabei und Fotos von der Familie für die Garderobe und meine Wohnung. Das brauchst du immer. Kennen Sie ,Rituals’?

Nein, noch nie gehört.

Das gibt es hier in Österreich nicht, was ich sehr schade finde. Das ist so eine Art Duschgel. Die haben aber auch Kerzen und andere Sachen. Jedes Mal, wenn ich in Holland oder Deutschland bin, kaufe ich für 200 Euro dort ein.

Was verbinden Sie damit?

Ich habe lange in Hamburg gelebt, da hatte ich die Kerzen immer bei mir zuhause. Es ist der Geruch, der mich daran erinnert. Ein Kissen habe ich auch immer mit. Wenn ich diese Sachen bei mir habe, fühle ich mich daheim.

2011 sind Sie dann mit Kerzen und Kissen in Wien gelandet.

Genau. Ich hatte für "Sister Act" vorgesungen und dachte: ‚Schön, ein Jahr in Wien, warum nicht?‘ Es war genauso wie in Deutschland damals. Mein Aufenthalt war für ein Jahr geplant. Und zehn Jahre später war ich immer noch dort. In Wien bin ich nun schon seit zwei Jahren und habe mich in die Stadt verliebt.

Uneingeschränkt?

Was ich vielleicht ein bisschen vermisse, ist das Multikulturelle, obwohl das immer besser wird. Wenn ich in Wien auf der Straße gehe und eine schwarze Frau sehe, möchte ich fast immer "Hallo" sagen. Man sieht selten schwarze Menschen hier. Jedes Mal, wenn ich einem begegne, starren wir uns an und es scheint, als würden wir uns beide denken: "Kenne ich sie?" Das ist wirklich bescheuert.

Ich hätte nicht gedacht, dass das noch so ein großes Thema ist.

Als ich mit "Aida" im Süden Deutschlands auf Tour war, habe ich das gespürt. In Hamburg war es besser, weil dort die Bevölkerung gemischt ist. Aber in München haben mich auf der Straße Fremde immer wieder mit "Hallo Schwester" angesprochen. Mein damaliger Freund, ein Österreicher, sagte: "Kennst du den oder die?" Ich kannte natürlich niemanden. Sie wollten einfach "Hi" sagen und ihre Verbundenheit ausdrücken. Viele Afrikaner machen das.

Würden Sie sich wünschen, dass das eines Tages nicht mehr notwendig ist?

Das wäre schön, aber es ist Utopia – noch.

Was haben Sie gefühlt, als Lupita Nyong'o heuer den Oscar gewonnen hat?

Ich habe mir gedacht: ‚Wow, was für ein Riesen-Vorbild’. Da bin ich einfach stolz. Für mich ist es jetzt auch wichtig, die "Donna" gut zu spielen. Meine Kollegen meinten auch: "Represent!" Ich spüre ein bisschen Druck. Ich stehe für all die schwarzen Mädls auf der Bühne und muss gute Arbeit leisten.

Kommt es bei der Akzeptanz der Hautfarbe nicht auf die eigene Persönlichkeit an? Ich denke da an David Alaba, der so selbstverständlich damit umgeht, dass sich bei ihm keiner fragt, welche Hautfarbe er hat.

Das stimmt. Es hängt aber auch davon ab, wie andere Leute auf dich zugehen. Es gab doch den Minister, der David Alaba auf Englisch gefragt hat: "How do you do?"

Das war der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter.

Mir passiert auch oft, dass mich jemand auf Englisch anspricht. Und wenn ich dann auf Deutsch antworte, sind die Leute baff und begeistert.

Sie sprechen perfekt Deutsch. Wie war das, als Sie 2001 nach Essen kamen?

Ich kannte nur den Satz "Wo ist das Postamt?" und das Wort "Sonderangebot". Das Schulsystem in Holland ist ein wenig anders als hier. In der zweiten Klasse hätte ich Deutsch als Fremdsprache wählen können, habe es aber nicht gemacht. Es war mir viel zu kompliziert. Der, die das, denen, dessen, wessen. Wahnsinn! Lustig war, dass ich fünf Jahre später doch alles lernen musste, um in einem deutschsprachigen Land zu leben.

Wie lange haben Sie dann gebraucht, um die Sprache zu lernen?

Für meine erste Rolle in "Aida" musste ich bei Null anfangen. Ich hatte einen Sprachcoach und wusste anfangs nicht einmal wie man ein ‚tz‘ im Deutschen ausspricht oder einen Satz betont. Anfangs habe ich da sehr viele Fehler gemacht, aber ich hatte immer nette Kollegen, die mich unterstützt haben – und das Glück, dass Deutsche und Österreicher den holländischen Akzent niedlich finden. Erst nach zwei Jahren war ich dann sprachlich endlich so weit, dass ich eine Erstbesetzung bekommen habe.

Apropos Besetzung: Was machen Sie eigentlich in der letzten halben Stunde vor einem Auftritt?

Mein Make-up. Ich kann nicht dasitzen und mich schminken lassen. Dabei fühle ich mich wie bei einem Spa-Treatment und könnte anschließend ein Nickerchen machen. Das geht nicht.

Sie könnten dabei von der nächsten großen Rolle träumen.

Und dann verschlafe ich womöglich die Vorstellung. Lieber nicht. Ich bin privilegiert, habe einen Job und genieße es. I like to live now. That’s it!

Info: Seit 19. März ist Ana Milva Gomes am Raimund Theater im Musical "Mamma Mia!" als Donna zu sehen.

www.vbw.at

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