Michael von Assisi

Michael von Assisi
Ein Entwicklungsroman.Vom hübschen, selbstverliebten Snob aus bestem Haus zum Tierschutz-Unternehmer mit 23 Höfen, Marke „Aiderbichl“. Michael Aufhauser. Sein Credo: „Im Umgang mit Tieren spiegelt sich das Niveau jeder Kultur.“
Von Ro Raftl

Er hat Humor, von der Sorte, die Selbstironie mit Schlagfertigkeit verknüpft, er hat erstklassige Manieren, ansehnlich Geld und: einen inneren Auftrag. Die Buchkapitel ausgewählter Kolumnen aus der Münchner tz übertitelt Michael Aufhauser so: 1. Würde, 2. Wahrhaftigkeit, 3. Integrität, 4. Humanität, 5. Erbarmen, 6. Liebe. Ganz schöne Brocken zu stemmen, hinterfragt man sich bedingungslos ehrlich zu jedem Punkt.

Aufhausers gscheite, witzig zugespitzte Betrachtungen kreisen um zeitgeistige Aufgeblasenheit, Oberflächlichkeit, Lieblosigkeit, Lebens- und Weltzerstörung, primär um Tierschutz, aber auch um Menschenschutz. Seines Messers Schneide, erklärt er, der Mentor dieser schriftlichen Arbeiten, sei der Wiener Kulturpublizist Helmut Schödel. Fabelhaft. Schad fast, dass das Buch „Umdenken mit Herz“ heißt und auf dem Cover nebst Autor mit Esel noch ein putziges Bildchen seiner Tierfarm trägt. Wer kein Aiderbichler ist, kein Pferd, keine Kuh, keinen Hund, keine Katz oder zumindest Goldfisch besitzt, würde spontan eher nicht danach greifen.

Die Gemüter scheiden sich am Pathos, mit dem bunte Blätter die Odyssee des blinden Schweinchens Sarah nach Aiderbichl erzählen, unter dem selbst die coole Story der cleveren Kuh Yvonne, die vorm Fleischer davonlief und sich in den Wäldern versteckte, bevor sie Aiderbichler Experten einfangen konnten, verödet. „Hollywood“, sagt der Tierschutz-Unternehmer, der Produzent von ,König der Löwen’ plane, Yvonnes Geschichte zu verfilmen. Trotzdem: Sollten verhungernde Kinder, Familien unter der Armutsgrenze, Folteropfer, Migranten, sterbende Alte ohne Angehörige nicht ein wenig mehr aufrühren als picksüß verzuckerte „Weihnachten auf Gut Aiderbichl“ im TV? Der 61-jährige Charmeur schreibt es und wiederholt’s mit warm getönter Stimme: „Unsere Humanität beweist sich am Umgang mit allen Schwächeren, Kindern, Alten, Kranken, Behinderten – und natürlich mit Tieren. Im Umgang mit ihnen spiegelt sich das Niveau jeder Kultur. Was ihnen droht, droht uns.“ Dem ist nicht zu widersprechen. Umsomehr, als sich der kultivierte Sohn aus gutem Haus – die Mutter war Textilunternehmerin, der Vater Offizier beim Grenzschutz – auf die Brust klopft: „Bis 35 bin ich nur um mich selbst und mein eigenes Wohlbefinden gekreist.“ Oft und oft wurde die Geschichte seiner Erleuchtung erzählt. Sagen wir mal nur, dass er Mozart liebt. Und geben wir zu, dass zwei Stunden bei den Schimpansen von Gänserndorf das Getriebensein im Stadtleben wegwischen, Termine in Luft auflösen, entspannen, belustigen, rühren.

Martha mit den melancholisch wissenden Augen, die still in einer Ecke meditiert, bis sich die Tür zum Freigehege öffnet, wo sie an der frischen Luft zu wachsen scheint. Pünktchen, die Künstlerin, die Teppichflechten schlingt und ihren Schlafplatz dekoriert. Der pubertierende Adonis David, den Oberpflegerin Renate Foidl als Neugeborenen mit der Hand aufgezogen hat; der provoziert und flirtet, aber aufpassen muss, damit ihm Moritz, der Boss, keine überzieht, wenn er sich zu forsch an die Damen ranmacht. „David holt sich ab und zu einen runter, schämt sich oft und errötet dann“, erzählt Pflegerin Bettina. Seit elf Jahren arbeitet, lebt, fühlt sie mit den Gänserndorfer Schimpansen wie eine Mama, Schwester, Tante, kann ihre Stimmungen, Laute, Wehwehchen deuten. „Das sind meine Enkelkinder“, lacht die Mutter der 27-Jährigen manchmal seufzend. Doch Bettina begründet ihr Hingabe ohne Pathos: „Wenn die Schimpansen Medizin brauchen, rufen wir sie an den Käfigrand und sie halten Arm oder Hintern für die Spritze hin. Darauf sind sie trainiert. Das Abholen der Spritze war ihr einziger Kontakt mit Lebewesen, seit sie mehr als dreißig Jahre als Laboraffen in enge Einzelkäfige gesperrt waren.“ Seit 2009, seit sie Aiderbichler sind, werden sie aufgepäppelt und haben’s so gut, wie es ein Schimpanse außerhalb seines afrikanischen Tropenwaldes nur haben kann.

Marthas Blick, der alles Elend der Welt gespiegelt hat, traf Michael Aufhauser mitten ins Herz, so dass er sich trotz gerungener Hände seines Geschäftsführers Dieter Ehrengruber in das kostenintensive Abenteuer Gänserndorf stürzte. Nicht blindwütig natürlich, unter Prüfung aller Unterstützungsmöglichkeiten. Er beherrscht seinen Job. Deshalb gibt es gemeinnützige Stiftungen in Österreich, Deutschland und der Schweiz, abgesehen von den Verwaltungs-GmbHs der drei großen Aiderbichl-Güter Henndorf bei Salzburg, Iffeldorf nahe München und Deggendorf im Niederbayerischen, die ihre Kosten selber tragen. Mit Hilfe von Patenschaften, Oster- und Weihnachtsmärkten, Geburtstagsfeiern für Kinder im Biggy-Club, Verkauf von Aiderbichl-Devotionalien wie DVDs, Stofftieren, Taschen, Poloshirts und mehr. Bisweilen wacht der Unternehmer dennoch mitten in der Nacht auf und denkt daran, dass er täglich 22.000 Euro aufstellen muss: Für mittlerweile 23 Güter, in denen Hunde, Katzen, Pferde, Ziegen, Schweine frei herumlaufen, wie sie’s von Natur aus gewohnt sind. Wenn auch manche Rennpferde still abgeschlossen ihr Gnadenheu fressen – dermaßen traumatisiert, dass sie Menschen nicht mehr ertragen.

Michael Aufhauser genießt kommunikativ frischen Spargel, trockenen Weißwein, raffinierte Desserts. Wenn ihn Visionen von einer besseren Welt überwältigen, begütigt sein Bruder: „Mucky kommt auch noch“. Womit sich die erste Tierrettungs-Aktion des siebenjährigen Michael erzählt: Gern plauderte er mit den Bäuerinnen, die damals die Kühe aufs Feld trieben und strickend bewachten. Als er hörte, dass „Mucky“ geschlachtet wird, bettelte er um das Leben der Kuh, bis die Bäuerin versprach, sie ihm zu schicken. Mutter und Bruder räumten zwar die Garage aus – doch Mucky kam niemals dort an.

Daraus folgerte lange nichts. Michael wurde Schauspieler und hatte Erfolg in netten Schwiegersohnrollen, weil er vertrauenserweckend sauberlieb aussah. Fühlte sich aber außerstande, vorgegebene Texte zu deklamieren. Begann als Fremdenführer, Münchens Schönheiten anzupreisen, und ging viel mit dem als trinkfesten Exzentriker bekannten Johannes von Thurn & Taxis um: „Herrlich, wir fuhren in der Sechshunderter-Limousine zum Flughafen und mieteten uns einen 4CV, um durch Frankreich zu gurken.“ Doch als Playboy Michael Touristen in der Pinakothek das Weiberfleisch auf Bildern Alter Meister in glühendsten Farben beschrieb, klopfte ihm eine amerikanische Tourismusmanagerin auf die Schulter und bot ihm 100.000 Dollar, falls er in Boston anheuern wolle. Er wollte, stieg zum Vicepresident des Unternehmens auf, durchpflügte die Welt. In Lima sah er Unmengen Kinder nächtens auf Pappkartons in den Straßen schlafen – und zum ersten Mal klickte etwas in ihm.

Er begann „zu sehen“, zu hinterfragen. An der spanischen Costa del Sol kam er einem Hundefänger auf die Spur, verfolgte dessen Auto bis zu einer Hundevergasungsanstalt im Nowhere. Geld schafft viel, also stand der Macher im Maßanzug im Nu mit vierzig Hunden auf der Landstraße, alleine, denn seine Sekretärin saß beim Friseur. Es gelang ihm, alle privat unterzubringen, in Folge 200 Hunde nach Deutschland zu vermitteln. Dabei half ihm Irene, die mehr als 30 Jahre ältere feinfühlig schöne Erbin Irene Florence Albert. Sie war ihm Anfang der 1980er-Jahre bei einem Dinner begegnet. Beide fühlten sich vom ersten Gespräch an verstanden: „Ich hab ihr einen Swimmingpool mit so breiter Rampe im flachen Wasser gebaut, dass sie nie ins Tiefe musste. Ohne Worte. Hab nur gespürt, dass sie Angst vor tiefem Wasser hat.“ Fünf Jahre vor ihrem Tod haben sie geheiratet, einig in dem Gedanken, dass Tiere beschützt werden müssen. Und mehr: „Selbst wenn wir Tiere vor uns Menschen schützen könnten, hätten wir nichts erreicht. Wir haben erst etwas erreicht, wenn wir Tiere nicht mehr vor Menschen schützen müssen. Dann haben wir etwas verändert: Uns!“

Er sagt, er habe Gelassenheit gelernt: Gäbe Wichtigeres als Rotweinflecken am weißen Teppich, wenn sein stürmischer Hund Benny ein volles Glas umwirft. Nur noch selten schleichen arrogante Untertöne in seine Stimme. Seit er sich nach einer durchsoffenen Nacht in New York in den Spiegel geschaut hat und entschied, von nun an auf sich selber und seine Würde zu achten. Seine menschliche Würde.

Blingblang. Mit Hans Clarin, Eliette von Karajan, Uschi Glas & Co ließ sich schon Staat machen, 2000, in der ersten Pension für abgehalftertes, gequältes und verstoßenes Getier in Henndorf, dem Ur-Aiderbichl. Ursprünglich als Stall für Aufhausers Turnierpferde gedacht, wurde es alsbald mit Schampus, Musik und Pipapo als „Anderes und Größeres“ der Klatschpresse und den Seitenblicken anvertraut. Leichte Übung für einen PR-geschulten Touristikexperten. Seither ging’s bergauf. Nicht nur Glitzerpromis wie Alt-James-Bond Roger Moore rennen Aufhauser das Scheunentor ein, auch vermögende ältere Damen schenken seiner Idee Bauerngüter und Schlösschen. Mit dem Sonnenhof, auf dem Renate Thyssen-Henne und ihre Tochter, die frühere Begum Khan, herrenlose Hunde retten und traumatisierte Kinder therapieren, ist er bestens vernetzt. Viele an Geldmangel leidende, untereinander zerstrittene Tierschutzorganisationen neiden ihm seine Paradiese, zischen ihm Eitelkeit und Gewinnstreben nach.

Der „Tierdiplomat“ (so BR-alpha-TV) lässt sich davon nicht beirren. Sein Hausmagazin „Leben lieben. Neues von Gut Aiderbichl“ kündet drei Mal jährlich von tierischen Schicksalen, die dank Aiderbichl ein gutes Ende nehmen: Aufhauser kauft Viehhändlern parasitenbefallene Esel ab, Bauern ausgemergelt isolierte Kühe, schützt 20 behördenkonfiszierte Huskys vor dem Tod, Ziegen und Ponys, egal, ob sie „Hufrehe“ haben oder in einem Wanderzirkus malträtiert werden. Prangert tierquälerische Praktiken zwischen Ungarn und China an, Gänsestopfen, Bärenpfählen. Legitim, ihm den noblen (wenn auch nicht völlig neuen) Schluss-Satz zu gönnen: „Erst, wenn der Egoismus ausgeschaltet ist, beginnt man richtig zu leben.“

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