Michael Sturminger: "Jedermann darf nie museal werden"

Michael Sturminger: "Jedermann darf nie museal werden"
Michael Sturminger inszeniert Jedermann heuer zum vierten Mal - und erfindet ihn jedes Mal neu. Ein Talk über 100 Jahre Spiel auf dem Domplatz.

Man kennt ihn lässig, ruhig und ohne Star-Allüren. Doch obwohl der sympathische Wiener seit vier Jahren Salzburgs DNA inszeniert, verleiht er jeder Aufführung eine neue Handschrift. In einem Telefon-Interview erklärt Michael Sturminger (57) der freizeit warum.

freizeit: Die Festspiele feiern heuer ihren 100. Geburtstag. Gibt es immer noch neue Herausforderungen bei der Inszenierung von Jedermann?

Michael Sturminger: Heuer ist eigentlich die wichtigste Neuigkeit, dass die Festspiele stattfinden. Die Pandemie ist eine Herausforderung, die ebenso  groß ist, wie die erste Aufführung nach dem Ersten Weltkrieg. Damals wurden fünf Vorstellungen gespielt, heuer ist es fast ähnlich. Wir dürfen die Festspiele abhalten, aber statt 270.000 Karten wird es nur 90.000 geben. Es wird ein perfektes Tracking geben. Man weiß genau, wer wo sitzen wird. Alle Schauspieler, Mitarbeiter sind überglücklich, dass sie endlich wieder arbeiten dürfen. Das ist wie ein Neuanfang für alle, eine ähnliche historische Situation wie vor 100 Jahren.
Wie hat sich „Jedermann“ verändert?

Jedermann darf nie museal werden. Er muss in der Zeit stattfinden, in der wir leben. Jeder Theaterabend soll anders sein als alle davor, jeder Abend etwas Neues bringen, so wie es noch nie war. Das Spielen im Moment ist das Wichtigste. Die Schauspieler dürfen die Freiheit haben, zu machen, was sie wollen in diesem Moment auf der Bühne. Um Freiheit zu entwickeln, braucht man Sicherheit in der Rolle, die gebe ich ihnen. Auf diese Weise erfinden sie  jeden Abend neu. Jährlich gibt es neue Ansätze, weil immer auch neue Schauspieler im Team sind.
Warum besetzten Sie die Buhlschaft neu? 

Caroline Peters kannte ich schon und wollte sie  deshalb besetzen, weil sie eine komplett neue Sicht auf die Buhlschaft eröffnet. Sie ist eine Frau, die eine ganz andere Farbe  hinein bringt, nämlich eine komödiantische. Und das ist wiederum eine neue Herausforderung für Tobias Moretti.
Und wie steht es mit dem Jedermann?

Als  ich  Jedermann 2017 übernahm, war  Moretti der Fixpunkt. Die Inszenierung ist rund um ihn gebaut und ich bin sehr glücklich darüber. Früher gab es eine andere Dynamik. Niki Ofczarek zum Beispiel, der einen emotionalen, starken, kraftvollen Jedermann verkörperte, unterschied sich  fundamental von seinem Vorgänger Peter Simonischek, der ein charmanter Ladies Man war. Dadurch wird das Stück geprägt. Bei jedem neuen Jedermann muss man das Stück neu denken.
Was ist  besonders daran, am Salzburger Domplatz zu inszenieren?

Allein die weltweite Aufmerksamkeit, was an diesem Platz stattfindet!   Es gibt jedes Jahr einen neuen Hype allein um das Kleid der Buhlschaft. So wie letztes Jahr, als Valery Tscheplanowa erstmals Hosen auf der Bühne trug. Das ist toll wegen der Aufmerksamkeit, die dadurch generiert wird. Und natürlich weiß auch jeder alles besser, aber der Jedermann  gehört den Menschen.
Sehen Sie eine Beziehung zwischen dem Domplatz und dem Inhalt des Stücks?

Der Domplatz hat eine immense geschichtliche Bedeutung und ist ein Kunstwerk per se.  Ein Bühnenbild für Menschheitsfragen, die immer bleiben werden. Deshalb bleibt das Hofmannsthal-Stück immer dort und aktuell, weil es  sich mit diesen Fragen beschäftigt.  Das Theater ist in Europa in der Kirche entstanden. Bildende Kunst, Musik, das Kino des Mittelalters waren die großen Sakralbauten, deren ungeheure Theatralik man noch heute spüren kann.  Die Zuschauer erleben gemeinsam, wie sich das Schicksal wie in einer griechischen Tragödie  entscheidet, und gemeinsam gefeiert wird. Schon deshalb muss die Inszenierung lebendig bleiben.
Welche Buhlschaft wünschen Sie sich denn für nächstes Jahr?

Ich bin absolut glücklich, dass wir heuer mit Caroline Peters zusammen arbeiten dürfen. Ich wünsche mir jetzt nur sie. Was nächstes Jahr sein wird, kann ich nicht sagen. Aber ich hoffe, dass wir  2021 in Salzburg Tosca mit Anna Netrebko aufführen werden, die heuer um ein Jahr verschoben werden musste.

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