Malta: kleine Insel, große Rätsel
Vergiss Marco Polo, Lonely Planet oder Google, der vertrauenswürdigste Reisebegleiter ist immer noch aus Fleisch und Blut. So wie Rosaria. Man braucht die Malteserin nur zu fragen, wo sich die nächstgelegene Haltestelle des Hop-on-Hop-off-Busses befindet, schon weiß man, wo man zwischendurch am besten Pause vom Sightseeing macht. „In Marsaxlokk müsst ihr unbedingt aussteigen“, sagt die resolute Rezeptionistin des Hotel Argento in St. Julians. Gut, daraus macht nun wirklich kein einziger Guide ein
Geheimnis, aber den besten Fang des Tages hätten wir in Marsaxlokk (sprich Marsa-schlock), dem fast unaussprechlichen Fischerdorf mit den kleinen bunten Booten, sicher übersehen.
„Haltet nach einem kleinen Restaurant namens Da Filippo Ausschau und fragt nach Luigi“, meint Rosaria. Gesagt, getan, der Tipp aus dem Hotel Argento war Gold wert. Statt einen Blick in die (nicht existierende) Speisekarte zu werfen, vertrauen wir dem Wort des Oberkellners. So geht Fisch, gedämpft und großartig. Wir strahlen mit Luigi um die Wette. Und bald auch Rosaria. Denn die hat jetzt einen Fisch im Da Filippo gut. So ist das im Süden Europas. Eine Hand hilft der anderen. Ist ja nichts Schlechtes. So kommen auch die zum Zug, die Reisefibeln keine Zeile wert sind.
Willkommen auf Malta, willkommen im südlichsten Land der EU.
Dass hier manche Uhren anders laufen, ist nicht zu übersehen. Ziemlich häufig sogar. Maltas Hauptstadt Valletta ist bekannt für seine 365 Gotteshäuser, für jeden Tag eines, und an beinah jedem dieser Hunderten Kirchtürme sind zumindest zwei Zifferblätter angebracht. Warum denn das? „Die Kirchen zeigen zwei verschiedene Uhrzeiten, damit der Teufel nicht weiß, wann nun der Gottesdienst stattfindet“, erklärt die Tonbandstimme im Hop-on-Hop-off-Bus.
Dieses Rätsel ist also im Eiltempo gelöst. Aber keine Angst, fad wird einem in Malta nie. Denn bei einer Inselrundfahrt stellen sich fast an jeder Ecke neue Fragen. Was heißt Ecke? Der (Links-)Verkehr ist zwar dicht, läuft jedoch ausgesprochen rund, da er nicht von Ampeln gestoppt, sondern durch Kreisverkehre geschleust wird. Vom oberen Deck des Doppelstockbusses aus betrachtet, hat das großen Unterhaltungswert. Ehrlich!
Auch nicht schwach, was das bleiche Pärchen auf der Sitzreihe hinter uns von sich gibt. „Moon of my life!“, flötet er. „My sun and stars!“, haucht sie. Richtig! Das kennen wir doch aus der ersten Staffel von „Game of Thrones“. Der Serienhit wurde großteils auf Malta und seiner kleinen Schwesterninsel
gedreht.
Seither verzeichnet der Archipel einen gut florierenden „GoT“-Tourismus. Das erklärt, warum viele der jungen Malta-Besucherinnen Zöpfchen wie Königstochter Daenerys Targaryen tragen.
Touristen im Steinzeit-Look bleiben uns hingegen erspart. Dabei gäbe es auch für diese genügend Sehenswürdigkeiten. Die gut 5000 Jahre alten Relikte der Tempel auf Malta und Gozo sind sogar älter als die ägyptischen Pyramiden. Und mit den quer über Malta verstreuten „cart ruts“ (Karrenrillen) gibt es Hinweise darauf, dass hier einst eine Hochkultur gelebt hat, die womöglich schon 2500 Jahre v. Chr. so etwas wie ein Rad verwendet hat.
Nach einer ersten kulturellen Blütezeit zwischen 3800 und 2500 v. Chr. blieb die Inselgruppe jedenfalls längere Zeit unbewohnt. Machte eine Hungersnot den Menschen der sogenannten maltesischen Tempelkultur den Garaus? Oder eine Seuche? Nach wie vor gibt die Geschichte der Inselwelt viele, große Rätsel auf. Eines aber ist sicher: Gelagert zwischen Afrika und Europa, waren Malta und Gozo Jahrtausende lang willkommene Beute für Piraten und Potentaten aller Arten.
Nach den Phöniziern kamen die Römer, dann die Byzantiner und Araber, bis die Normannen anno 1070 von Sizilien aus in Malta einfielen. Es folgten Staufer und Spanier, bis Ritter im Jahre 1530 eine gut 250 Jahre währende Herrschaft antraten.
Die wuchtigen Festungsmauern rund um Valletta, einst der Welt modernste, weil schon im Mittelalter am Reißbrett entstandene Stadt, sind Zeugnisse jener wilden Zeit, die auch Krimifreunden bekannt vorkommen dürfte. Stichworte
Humphrey Bogart und „Der Malteser Falke“.
Ja, richtig, vieles hier beflügelt die Fantasie. Wir blättern noch kurz im gleich drei Inseln landen? Wir begnügen uns, mit Bus und Fähre Gozo unsicher zu machen. Dauert nicht einmal eine Stunde, dann sitzen wir in der Inselhauptstadt Victoria im traumhaft nostalgischen Café Jubilee. Wer Appetit auf ein Sandwich verspürt, die mit Ziegenkäse sind die Besten.
Wenn wir wiederkommen, wollen wir auch bei der Blauen Grotte schnorcheln, versprochen. Anfang März war es noch zu kalt dafür. Sagt auch Kevin. Der ist Trompeter im Malteser Jugendorchester, fährt nebenbei Taxi und bringt uns frühmorgens zum Flughafen. „Aus Wien seid ihr? Schöne Stadt“, lobt er. „Letzten Herbst hatten wir einen Auftritt im Musikverein.“ Sagt’s und dreht den Rap-Song im Taxi-Radio zwei Spuren lauter. Ja, so sind sie, die Malteser. Rätselhaft.
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