Besuch bei einer Diva
Prädikat „nicht einfach“. Von Wien nach Mailand fliegt man kurzweilige neunzig Minuten. Bis man jedoch vor dem Wahrzeichen der lombardischen Metropole steht, dem Duomo di Santa Maria Nascente, vergeht noch einmal eine gefühlte Tagesreise. Das kann Wien besser. Merke: Für Touristen hält der Gastgeber der diesjährigen Weltausstellung ein paar Stolpersteine parat.
„Mailand ist eine Stadt, die man nur durchquert“, lässt etwa Giorgio Fontana, 34, der lokale Krimistar, einen Staatsanwalt Salvatori granteln. Na, so schlimm ist es auch wieder nicht. Eines stimmt aber auf jeden Fall: Die Heimat von Armani, Adriano Celentano (siehe auch Seite 34), Pirelli, Prada, des AC Milan und der Piccata Milanese biedert sich nicht an wie Florenz oder Venedig. Ja, Italiener selbst rümpfen die Nase über die wohlhabendste Region ihres Landes. Zu stressig hier, zu unfreundlich und überhaupt. Dabei verdient eines die uneingeschränkte Bewunderung: der stilsichere Geschmack der Mailänder Frauen.
Ob achtzigjährig mit feinen, weißen Handschuhen oder halb so alt mit High Heels – da riskiert man gerne einen zweiten Blick. Die Frauen zwischen den Navigli, den Kanälen im Süden, und dem Castello Sforzesco, dem mächtigen Stadtschloss im Norden, sind selbstbewusst, sehr modisch, nicht übertrieben exaltiert – aber durchaus durchtrieben. Und letzteres waren sie angeblich immer schon.
Früher, so die Saga der Stadt, sollten sie ihrer Fruchtbarkeit auf die Sprünge geholfen haben, indem sie dem Mosaik-Stier im ultimativen Shopping-Tempel der Stadt, der Galleria Vittorio Emanuele II, in die Weichteile traten. Inzwischen geht es jugendfreier zu. Denn längst soll dieses Ritual jedem Glück bringen, der sich an dieser Stelle drei Mal um die eigene Achse dreht. Der arme Stier! Das Tier weist an besagter heikler Passage längst ein Loch auf. Die 1,3-Millionen-Einwohner-Metropole ist quasi die Geburtsstadt jener gefährlich hohen Absätze, die direkt zum Ziel führen sollen. Briten sagen dazu treffend aber etwas uncharmant „Fuck-me Pumps“.
Wie auch immer, nicht nur entlang der neuerdings wieder befahrbaren Kanäle, der „Navigli“, trägt frau ohnehin besser Sneakers oder Sandalen. Zu zerklüftet erweist sich das Straßenpflaster. Molto importante, die nächste wichtige Erkenntnis vor Ort: Echte Mailänder flanieren lieber durchs romantische Navigli-Viertel und das nördlicher gelegene Künstlerviertel Brera, als rund um die Touristenzone „Goldenes Dreieck“ mit dem Mailänder Dom, der Scala und dem fashionablen Armani-Kaufhaus in der Via Alessandro Manzoni.
Besonders abends fühlt man sich an den Ufern der Kanäle an einen Urlaubsort an der Adria versetzt. Eine Trattoria reiht sich an die nächste, eine Bar folgt der anderen, Lachen, leises Lärmen, Musik, Cose Della Vita – das vermittelt ein richtig entspanntes Feriengefühl. Cin cin, möglichst bei einem Campari spritz oder einem Glas Aperol veneziano! Ob der Auslöser für diese kuschelige Atomsphäre die EXPO ist? Möglich, denn die Weltausstellung hat nicht nur einen Kreativitätsschub in der mittelalterlichen City sowie dem urbanen Neuland ausgelöst, sondern die Bewohner auch näher zusammenrücken lassen.
Gut, da gab es den einen lauten Proteststurm zum Auftakt der großen Show, aber schön langsam wachsen die alteingesessenen Mailänder und die Meinung zusammen, dass es sich bei der diesjährigen, bis Ende Oktober dauernden EXPO mit dem Motto „Den Planeten ernähren, Energie für das Leben“ um eine willkommene Gelegenheit handelt, sich neu zu erfinden.
Perfekte Flaniermeile: Bei den Kanälen Naviglio Grande und Naviglio Pavese, der neuen Ausgehzone, präsentiert sich das ursprüngliche, natürliche Milano. Sie sind durch ein Hafenbecken miteinander verbunden, existieren bereits seit dem Mittelalter und haben dem Mailand des 12. Jahrhunderts samt Nebenkanälen fast schon das Aussehen von Venedig verliehen.
Mailand galt bisher vorwiegend als die Stadt mit dem hohen, fast deutschen Arbeitsethos, die in hunderten Boutique-Schaufenstern ständig den Lockruf „Kauf mich!“ vor sich herträgt. Jetzt, mit der EXPO, zeigt sich die Stadt erstmals von der grünen Seite. Verlassene Werkshallen von Alfa Romeo und Pirelli wurden etwa in Parks umgewandelt. Aber erstmals umweltbewusst? Gerade bei den Kanälen Naviglio Grande und Naviglio Pavese, der neuen Partymeile, präsentiert sich das ursprüngliche, natürliche Milano.
Durch beide Wasserstraßen fließt es, sofern der Wettergott will, tiefgrün. Sie sind durch ein Hafenbecken miteinander verbunden, existieren bereits seit dem Mittelalter und haben dem Mailand des 12. Jahrhunderts samt Nebenkanälen fast schon das Aussehen von Venedig verliehen. Und das nicht nur, weil’s bellissima aussieht, sondern aus einem praktischen Grund. Anders wäre es unmöglich gewesen, die riesigen Marmorblöcke zum Bau des gigantischen Doms vom Lago Maggiore über weite Strecken bis in die Innenstadt zu schippern. Die Lastkähne sind zwar aus dem Stadtbild verschwunden. Die verschnörkelten Eisenbrücken aber, die sich da und dort über die mehr als 800 Jahre alten Kanäle wölben, sind noch da.
Und vor allem das riesige Kirchenhaus, dieses weiße, marmorne Wunder mitten in der Stadt, das einen über 330 Stufen auf eine Terrasse zu einem noch denkwürdigeren Ausblick führt. Bei klarer Sicht meint man, von den Alpen bis zum Meer alles im Visier zu haben, was Bella Italia ausmacht. Ein Muss für jeden Besucher. Touristen stehen daher vor dem Dom stets in zwei langen Schlangen an. Aber, Achtung! Dort, wo es rascher vorangeht, sollten sich nur die einreihen, die ihr Ticket bereits Online reserviert haben - sonst geht es wieder zurück zum Start.
Nicht minder gefragt ist es, einen Blick auf ein anderes Kunstwerk zu werfen: "Das letzte Abendmahl" von Leonardo da Vinci. Das zwischen 1494 und 1498 enstandene Wandgemälde befindet sich im Speisesaal des Dominikanerklosters der Kirche Santa Maria della Grazie beim Corso Magente und steht unter strenger klimatischer Quarantäne. Täglich dürfen die Herren von höchstens 1075 Besuchern betrachtet werden. Diese werden in penibel programmierten 43 und stets ausverkauften Durchgängen an dem Meisterwerk des Wissenschaftlers und Künstlers vorbeigeschleust.
Da macht es fast mehr Freude, die zahlreichen Arbeiten von anonymen Straßenkünstlern in der Altstadt, dem Centro storico, zu würdigen. Rollläden von Lebensmittelgeschäften, Hauswände und Mauern in der Altstadt erwecken den Eindruck einer Freiluftgalerie. Meilenweit entfernt von Graffiti und Kritzeleien. Manche scheinen sogar von den Werken von Leonardo da Vinci inspiriert.
Wenn man sich schon draußen aufhält, geht es in Mailand nicht, ohne in einem Straßencafé zu pausieren und ausgiebig die vorbeieilenden Menschen zu studieren. „People Watching“ ist in einer Mode-Metropole natürlich besonders lohnenswert. Und man braucht sich gerade hier nicht als Voyeur fühlen. So exzessiv-bunt wie auf den Laufstegen der Mailänder Modewochen geht es zwar nicht zu. Das heißt, nicht immer. Denn mit ein wenig Glück trifft man bei der Weekend-City-Tour sogar auf einen Paradiesvogel wie Donatella Versace. Der Lieblingsplatz der exzentrischen Blondine, die nach dem Tod ihres Bruders Gianni 1997 die kreative Führung des Mailänder Modehauses übernommen hat, ist jedenfalls ein echter Geheimtipp: das „Museo 900“.
Ganz zentral und doch versteckt liegt das Museo del Novecento genau gegenüber vom Dom und entführt einen sofort in eine andere Welt, sobald man es betritt. Die elliptische Rampe im Inneren erinnert an das Guggenheim Museum in New York. Mit zwei gravierenden Unterschieden: Vom obersten Stockwerk hat man einen wunderbaren Blick auf den Dom mit seinen tausenden Figuren auf dem Dach. Und natürlich gibt es ganz oben auch eine Bar. Und eben dort, so hat man das Gefühl, werden die Mailänder Aperitifs noch raffinierter gemixt als zu ebener Erd’.
P.S. Wobei „Aperitivo“ in Mailand nicht heißt, dass man hier Alkoholisches trinkt. Unter diesem Slogan werden um wenig Geld zahlreiche kleine Köstlichkeiten als Appetizer gereicht werden. Buon Appetito!
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