Afrikas wildes Herz

Gefährlich ist's, den Leu zu wecken: Löwen setzen ihre Zähne mit bis zu 1768 Newton pro Quadratzentimeter ein.
Vor sechs Jahren eröffnete die österreichische Tierschutzorganisation "Vier Pfoten" in Südafrika den "Lionsrock". Ein Refugium für gequälte Raubkatzen aus aller Welt. Heute ist die Anlage auch ein eindrucksvolles Urlaubsziel. Für tierliebende Touristen aus aller Welt.

Der Skywalk glüht sanft in der späten Nachmittagssonne. Gut sechs Meter hoch führt er über das Löwenland. Es dauert eine Weile, bis man die Scheu verliert, sich ans rostrote Geländer zu lehnen. Unten wartet das Rudel. Es ist Fütterungszeit, die Tiere wissen das. Mehr und mehr kommen angetrottet, manche legen sich auf den Rücken, strecken alle Viere von sich und schmusen wie die Kätzchen in der Sheba-Werbung. 150-Kilo-Kätzchen ...

Ein Vergleich, den Hildegard Pirker, Leiterin der Tierschutzabteilung in "Lionsrock", dem südafrikanischen Refugium für Großkatzen, natürlich nicht so gerne hört. "Auch wenn kaum einer auch nur annähernd artgerecht gehalten wurde, bevor er zu uns kam – es bleiben wilde Tiere. Mit den Bedürfnissen und Instinkten von Wildtieren." Klar, aber sie sehen schon verdammt süß aus. Von hier oben. Vorsichtshalber verzichte ich dann doch darauf, mich über das Geländer zu lehnen, um besser sehen zu können. Man muss es ja nicht übertreiben. Hildegard Pirker hat schon die Löwen im Gänserndorfer Zoo betreut. Als sie von der Tierschutzorganisation "4 Pfoten" in einer spektakulären Rettungsaktion – die berichtete – aus dem bankrotten Safaripark gerettet wurden, zog sie mit ihren Schützlingen nach Südafrika. Bei den "Vier Pfoten" war man froh, dass die Expertin beim Aufbau des ehrgeizigen Projekts half. Heute ist Pirker verantwortlich für 81 Löwen, 14 Tiger, zwei Leoparden, einen Gepard, drei Hyänen, drei Servals, zwei Karakals und Wildhunde.

Die dramatisch schöne Landschaft der Umgebung bettelt geradezu danach, erwandert zu werden.

Tief unter uns wuchten die Tierpfleger ordentliche Rinderteile von der Ladefläche eines wettergegerbten Pick-ups. Auf der anderen Seite des Zauns schnurren die Kätzchen. Ist es nicht merkwürdig, Raubtiere um die halbe Welt zu fliegen, um sie dann in Afrika erst wieder einzusperren? Denn wirklich frei sind sie ja hier auch nicht … "Wie frei kann ein Tier sein, das sein Leben in Gefangenschaft verbracht hat? Oft unter mehr als erbärmlichen Umständen", sagt Hildegard Pirker. Die Löwenfamilie um den Gänserndorfer Pascha "Neo" durfte inzwischen in den Speisebereich, der Pick-up mit den Pflegern ist draußen, das Tor fest verschlossen. Hoffentlich. Die Tischmanieren von "Neo" und seinen Mädels sind erstaunlich gesittet, es gibt keine Streitereien, jedes Tier liegt mit seinem eigenen Gustostück gemütlich in einem Eck und lässt es sich schmecken. Warum sie die Tiere nicht mit lebenden Antilopen oder Gnus füttere, werde sie immer wieder gefragt, erzählt Pirker. "Das ist eine vereinfachte Vorstellung des Begriffs ,artgerecht’". Artgerecht für wen? Die Löwen, die in ihrem ganzen Leben noch nie eine Beute selbst gerissen haben? Oder das Gnu, dem im Löwengehege, so groß es auch ist, jede Möglichkeit auf dauerhafte Flucht genommen wird – und dem noch dazu der Schutz der eigenen Herde fehlt. DAS ist Tierquälerei." Und an eine echte Auswilderung sei ohnehin nicht zu denken. Dazu fehlen den in Gefangenschaft geborenen Löwen die Fähigkeiten ihrer wilden Brüder. In ein Rudel aufgenommen zu werden, wäre für sie unmöglich. "Mit den Löwen wurde ja schon alles Erdenkliche falsch gemacht. Da lässt sich vieles nicht mehr so einfach umkehren", sagt Hildegard Pirker. "Umso mehr haben wir eine Verantwortung gegenüber diesen Tieren. Das hab ich mir nicht ausgesucht …"

"Neo" und die anderen sind inzwischen satt und schlecken sich die Pfötchen. Tierpfleger John wartet vor seinem offenen Geländewagen darauf, uns zur Lodge zurückzufahren. Er arbeitet seit fünf Jahren am Lionsrock, kam kurz nachdem die Anlage eröffnet worden war. Tagelang fuhr er damals von seiner kilometerweit entfernten Hütte zur Lodge, stand jeden Tag pünktlich um 6 Uhr Früh auf der Matte, bis er den Job endlich hatte. In Simbabwe hat John Zoologie studiert, aber wie so viele junge Männer in seiner Heimat keine Arbeit gefunden. Und wie so viele versuchte er sein Glück in Südafrika. "Der umgekehrte Weg des Königs Mzilikazi", sag ich, während John uns an Sträußen, die die Herausforderung zu einem kleinen Wettrennen mit dem Jeep gerne annehmen, an grasenden Gnus und Antilopenherden, die uns stoisch ihre Zielscheibenpopos zeigen, vorbeifährt. "Ja, wenn man so will", sagt er und lächelt in den Rückspiegel, "für viele Menschen in Simbabwe ist Südafrika so etwas wie das gelobte Land." Nach einer kurzen Pause: "Es gibt nicht viele Europäer, die sich für afrikanische Geschichte interessieren …"

Der Lionsrock liegt in der Provinz Free State im Herzen Südafrikas. Dem Herzland der Buren. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kamen die ersten hierher, um der Oberhoheit der Briten zu entgehen. Und trafen auf Mzilikazi, der selbst mit einigen Männern aus dem weit östlich gelegenen Zulu-Königreich geflohen war. Der schottische Afrikaforscher David Livingstone nannte ihn später einen der größten Staatsmänner und militärischen Genies, die er je getroffen habe. Doch im Kontakt mit den Buren war es gerade sein militärischer Erfolg, der die Niederlage einläutete. Mzilikazi hatte die Region erobert und praktisch alle ansässigen Stämme, Sotho und Koranna, vertrieben. Den neuen, besser ausgerüsteten Eindringlingen hatte er mit seiner relativ kleinen eigenen Streitmacht wenig entgegenzusetzen. Mzilikazi floh nach Norden und gründete ein Königreich im heutigen Simbabwe. Die Buren kamen in ein über weite Strecken entvölkertes Land. Vielleicht hält sich in einigen alteingesessenen Familien der Mythos von ihnen als den "ersten Menschen Südafrikas" deshalb so hartnäckig.

Hier lässt es sich gut leben. Nicht nur als Tourist, auch als königliches Paar, als Dauergast sozusagen. Die 81 Löwen leben in 26 Rudeln zusammen, es gibt "familiäre" Strukturen und starke emotionale Bindungen. Ganz wie im "richtigen Leben"...

Das Misstrauen zwischen den Bevölkerungsgruppen sitzt noch immer tief, vor allem in den weiten ländlichen Gebieten Free States. Wo die riesigen Ranches weißer Rinder-Barone von meterhohen Stacheldrahtzäunen und bewaffneten Guards geschützt werden, während gleich auf der anderen Straßenseite ein Sotho-Bauer in einer Wellblechhütte lebt und seine Familie von einer Kuh und einem mickrigen Gemüsegarten ernähren muss. Kaum etwas zu spüren ist davon hingegen in Clarens, einem kleinen, malerischen Städtchen in der Nähe, wo englisch- und holländischstämmige Südafrikaner, Sotho, Ndebele, Zulu, Amerikaner und Australier Haus an Haus ihre kleinen Kunstgewerbeläden, Bars und Souvenir-Shops betreiben. Und natürlich in der Lionsrock Lodge selbst. Hier führt Küchenchef Stanley Mutsikamahwe ein strenges, aber gütiges Regime über seine Mitarbeiter aus dem arabischen Raum, Indien und Südafrika. Und kocht dabei verdammt gut. Nur der Vorliebe einiger Europäer für – möglichst nur zart gedünstetes – Gemüse kann er wenig abgewinnen. "Sie müssen mehr Fleisch essen", sagt er mit besorgtem Blick auf diättechnisch geformte norddeutsche Oberarme. Ich persönlich find’s ganz okay, wenn’s zu superzartem Braten in Rotweinsauce als Beilage Blätterteigtäschchen gibt – in denen sich eine scharfe Fleischfülle versteckt …

An der Bar der Lodge, beim zweiten Glas "Springboki", einem verwegenen Mix aus Pfefferminzlikör und Amarula, erzählt eine englische Touristin von ihrem Ausflug auf eine "Breeding Farm". Man kann dort für Eintritt Löwenbabys streicheln und, wenn man sich traut, mit halbwüchsigen Exemplaren spielen. Was sie erst an diesem Abend erfährt: Die Löwen werden dort zum Abschuss gezüchtet. Haben sie erst eine Mähne – die meisten Tiere sind männlich, das bringt mehr Geld – werden sie betäubt, in ein gut überschaubares Frei-Areal gekarrt, und, kaum sind sie wieder aufgewacht, von einem mutigen Touristen erschossen. Bis zu 50.000 Euro werden für so eine Gelegenheit von "Jägern" bezahlt. Die Touristin ist entsetzt. "Aber ich hab doch mit einer australischen Volontärin gesprochen, die die Babys aufzieht. Die zahlt sogar dafür, diesen Job machen zu dürfen, weil sie glaubt, damit den Löwenbestand zu retten", sagt sie verzweifelt. Ja, das ist vielleicht sogar das besonders perfide an diesem Business.

Als ich am nächsten Tag nach einer Wanderung über die malerischen Hügel mit John über die Angelegenheit spreche, schüttelt er traurig den Kopf. "Das ist nicht gut, es sind unsere Tiere, afrikanische Tiere. Und endlich fangen wir an, auf sie stolz zu sein. Wir müssen sie besser beschützen." Ist das seine wichtigste Aufgabe, hier in Lionsrock? "Ja", sagt er "dafür bin ich hier." John macht eine Pause, zwinkert kurz: "Und um die Zäune zu kontrollieren, die uns von ihnen trennen."

Schön zu wissen, dass er seinen Job ernst nimmt, wenn man abends durch die sternenklare Nacht zu seinem schnuckeligen Bungalow-Zimmer geht, während knapp 100 Löwen ringsum den Mond begrüßen. So lässt sich der Sound of Africa richtig genießen. Es ist ein beinahe magisches Erlebnis.

Was macht ein Tiger in Afrika? Er lässt sich’s gut gehen. Nach Jahren der Gefangenschaft in der nackten Betonzelle eines Privat-Zoos hat er sich das auch redlich verdient.

LIONSROCK

Im November 2007 kamen die ersten Löwen nach "Lionsrock" – aus dem ehemaligen Safaripark in Gänserndorf. Derzeit leben 107 Raubtiere auf 52 Hektar. Darunter 81 Löwen, 14 Tiger, 2 Leoparden und 3 Hyänen. Die Gesamtfläche der Anlage beträgt 1.250 Hektar. Auf dem Freigelände findet man Zebras, Gnus, Bless-, Ried- und Springböcke, Impalas, Ducker, Wasserböcke, Strauße u.v.m.Für Touristen stehen 55 Betten zur Verfügung, von Selbstversorger-Chalets bis zu hübschen Bungalow-Zimmern. (www.lionsrock.org)

ANREISE

Mit dem Flugzeug von Wien nach Johannesburg. Flüge von Lufthansa, Turkish, Emirates u.a. Inklusive Zwischenstopp (Frankfurt / Istanbul / Dubai) etwa 18 Stunden Flug, ab ca. 650 Euro. Von Johannesburg mit dem Auto (Abholservice!) Richtung Bethlehem bzw. Lionsrock. Fahrtzeit ungefähr 3 Stunden.

AKTIVITÄTEN

Neben der Beobachtung der Raubkatzen werden "Game Drives" übers Gelände angeboten, die einem die Gelegenheit geben, Gnu-Herden, Antilopen, Springböcke und andere afrikanische Klassiker zu sehen. Außerdem: Geführte Touren mit dem Quad.Geführte Hiking-Trails.Bird Watching.Swimming Pool.

IN DER NÄHE:

Bethlehem: Mit 80.000 Einwohnern die größte Stadt der Gegend. Einkaufsmöglichkeiten. Viele Wildvögel am Ufer des Jordans. Im Mai/Juni findet jedes Jahr das "National Hot Air Balloon Championship" statt.

Clarens: Freundliche kleine Künstlerstadt mit vielen Läden, Souveniergeschäften und hübschen Bars/Restaurants. (www.clarens.co.za)

Golden Gate National Park: Dramatisch schöne Landschaft, fantastische Gesteinsformationen. Die "Big Five" (Elefant, Löwe, Rhinozeros, Leopard, Kaffernbüffel) sind hier nicht zu finden, aber eine reiche Auswahl an Herdentieren und Vögeln (Adler, Bartgeier, Kranich). (www.sanparks.co.za)

LESOTHO

Das "Königreich im Himmel". Gegründet vom legendären Sotho-König Moshoeshoe, dem es gelang, sein Land gegen die vordringenden Buren zu verteidigen. Nach seinem Tod wurde das Land zur britischen Kronkolonie, war aber nie Teil Südafrikas. Seit 1966 wieder unabhängig. www.accuweather.com

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