Stein der Weisen
Bunt, rechteckig, acht kleine Noppen an der Oberseite und drei Hohlräume an der Unterseite. So sieht er aus, der Stein der Weisen – der klassische Lego-Stein. Für sich alleine ist das nicht viel. Aber steckt man zwei dieser Klötze zusammen, ahnt man, dass sich hier was Großes tut, mehr noch: Dass sich hier ein großes Reich der Fantasie auftut. Nur sechs Steine ergeben so viele Kombinationen, dass auch Mathematikern der Kopf raucht. Von Hunderttausenden, gar Millionen Möglichkeiten ist die Rede. Apropos Millionen: Im vergangenen Jahr ist der Umsatz der Lego-Gruppe um 15 Prozent auf umgerechnet 3,8 Milliarden Euro gewachsen. Michael Kehlet, Herr der Steine in Deutschland, der Schweiz und Österreich, reicht noch eine beeindruckende Zahl nach: „Mehr als 85 Millionen Kinder auf der ganzen Welt hatten im Vorjahr ihr Lego-Spielerlebnis.“ Dabei ist das dänische Unternehmen längst den Kinderzimmern entwachsen. Mit der Reihe „Mindstorms“ hat der noch vor Mattel („Barbie“) größte Spielwarenhersteller der Welt schon vor Jahren die Zukunft für sich entdeckt. Dabei handelt es sich um einen Computer, um den herum sich Motoren, Sensoren und vor allem Legosteine stecken lassen. So wie die Plastikklötze wird auch die Software dazu montiert – Module, die beliebig aneinander passen. Zusammen ergibt das einen programmierbaren Roboter, der für die Kids aus ihrem Kinderzimmer im Handumdrehen ein Mini-Labor mit Hightech-Anspruch macht – sehr erwachsen. Wie man sich überhaupt davon verabschieden muss, in den Klötzen nur Kinderkram zu sehen. In England, erzählt Michael Kehlet, der 37-jährige dänische Chef der deutschsprachigen Lego-Welt, hat ein erwachsener Fan „sogar ein richtiges Haus aus Lego-Steinen gebaut“.
Ja ja, die Fans. Ohne sie wäre der vor mehr als 80 Jahren gegründete Betrieb nur eine Firma mit Geschichte und Tradition. Die Leidenschaft von Abermillionen von Fans weitweit macht das nach wie vor familiengeführte Unternehmen aus Billund jedoch zu einer Ausnahmeerscheinung – die zuletzt sogar Hollywood im Sturm nahm. „The LEGO Movie“ kam 2014 in die Kinos und war weitweit bei Kindern und Erwachsenen einer der Hits des Jahres. Allein in den USA hat das überraschend konsumkritische und durchaus anspruchsvolle Filmabenteuer über 250 Millionen Dollar eingespielt, weltweit immerhin das Doppelte. Der ins Ohr gehende Filmsong „Hier ist alles super“ war für einen Oscar nominiert, bei der Oscar-Gala wurden Lego-Oscars verteilt und für eine Milliarde TV-Zuseher in die Kameras gehalten, kurz: Hollywood ist derzeit Lego-verrückt. Nur logisch, dass bereits fieberhaft an einer Fortsetzung des Bauklötzchen-Films gearbeitet wird – sie soll im Jahr 2018 ins Kino kommen.
Aber auch sonst wird der Kult um die Steine immer bizarrer, seit sich Lego die Lizenzrechte für Kino-Erfolge wie „Batman“ oder „Star Wars“ gesichert hat. Anfang April dieses Jahres wurde ein Familienvater aus Österreich dabei ertappt, wie er im Legoland im bayerischen Günzburg 120 Lego-Figuren stehlen wollte. Noch absurder: Eine Gerda aus Kiel bietet auf ebay eine Vitrine voller 19-Zoll-Lego-Figuren an – um 49.999 Euro! Vielleicht mit Ausnahme von Apple wird derzeit keiner Marke eine so kultische Verehrung entgegengebracht wie Lego. Das spürt man auch bei jenen einstigen Garagenbastlern, die zu den Pionieren von Silicon Valley wurden. Von Google-Mitbegründer Larry Page etwa heißt es, dass er einmal einen voll funktionstauglichen Tintenstrahldrucker aus Lego–Steinen gebaut haben soll. Und es ist auch kein Zufall, dass in der WG der Nerds aus „The Big Bang Theory“ im Hintergrund regelmäßig das Modell eines DNA-Stranges aus verschiedenfarbigen Lego-Steinen zu sehen ist.
Mit Lego scheint alles möglich. Und fast alle lieben Lego. Auf YouTube kursieren über eine Million Clips, in denen die irrsten Lego-Kreationen, Bastelanleitungen oder mehr oder minder amateurhaft animierte Lego-Trickfilme zu sehen sind.
Dabei sah die Zukunft der bunten Spielklötze vor 20 Jahren gar nicht rosig aus. Eine ganze Armada an Videogames und Spielkonsolen buhlte am hart umkämpften Spielzeugmarkt um die Aufmerksamkeit der Kids, Kreativspielzeug galt als total uncool. Im Jahr 2000 krönte das US-Wirtschaftsmagazin Fortune den Bauklotz zwar zum „Spielzeug des Jahrhunderts“, drei Jahre danach verbuchte die Lego-Gruppe aber den größten Verlust ihrer Geschichte. Das Management entschloss sich zu handeln: Lego verkaufte die Mehrheitsanteile der kapital- und personalintensiven Legoland-Freizeitparks und begann in Baukästen zu investieren, mit denen die Kids jene Fantasiewelten nachstellen konnten, die ihnen Hollywood und diverse Superheldencomics vorexerzierten. Und Bingo! Die Mischung aus vorgefertigten Themenwelten und der Möglichkeit, diese selbt kreativ gestalten zu können, schlug ein – bis heute. Der weltweite Erfolg treibt bunte Blüten. Und so wurde im dänischen Billund, dem Ursprungsort von Lego, vergangenes Jahr der Grundstein für ein „Lego House“ gelegt, in dem Fans jeden Alters ab 2016 Geschichte und Möglichkeiten des Lego-Bauens in einem 12.000 Quadratmeter großen Erlebniscenter entdecken sollen. Na dann: Spiel gut – LEg GOdt!
Seit Lego mit Hollywood kooperiert, gilt die Spielwarenfirma als „stärkste Marke der Welt“. Der Lego-Spielfilm war nicht zuletzt durch den Song „Hier ist alles super!“ ein Mega-Erfolg und hat weltweit bisher knapp eine halbe Milliarde Dollar eingespielt. Der für einen Oscar nominierte, nervige Ohrwurm ging bei der diesjährigen Verleihung zwar leer aus, die fetzige Performance ist dennoch ein Internet-Hit.
Das uns am nächsten gelegene Legoland befindet sich seit 2002 im bayerischen Günzburg. Herzstück ist wie bei allen verwandten Themen-Freizeitparks das „Miniland“ mit maßstabgetreuen Nachbauten berühmter Städte, Landschaften oder Wahrzeichen – in diesem Fall natürlich mit einem Lego-Modell von Schloss Neuschwanstein (rechts).
Daneben gibt es ein „Land der Piraten“, einen Safari-Park und ein Legoland-Feriendorf mit der Möglichkeit, auch direkt dort zu übernachten. Ältestes Legoland ist jenes in der Lego-Stadt Billund. Es besteht seit 1968. Das Legoland in Windsor war der zweite Vergnügungspark von Lego, er wurde 1996 eröffnet.
Am 25. April ist die Verleihung der begehrten KURIER-ROMY. Die hat eine aus Lego nachbauen lassen. Vorbild war der Lego-Oscar. Aber: „Gegen die ROMY ist der Oscar wenig raffiniert“, streut der Wiener Lego-Bauer Robert Staringer dem KURIER–Preis Rosen. „Wer die ROMY gestaltet hat, muss Kurven lieben.“ Der Bastler, der sonst Busse, U-Bahnen und die Tramways der Wiener Linien nachbaut, brauchte exakt 198 Teile, um die Schönheit in Lego-Gelb authentisch hinzukriegen. DANKE!
Dem Ingeniör ist nichts zu schwör: Robert Staringer mit Lego-und Original-ROMY
Der Tischlermeister Ole Kirk Christiansen (Bild unten mit seinen Söhnen) gründete 1932 in der dänischen Stadt Billund eine Tischlerei für Holzspielzeug. Der Name LEGO ergibt sich aus den dänischen Wörtern „LEg“ und „GOdt“ (dt. „spiel gut“). Das erste LEGO-Logo (u. r.) zeigt noch nicht den berühmten Kunststoffstein, denn der wurde erst 1958 von seinem Sohn Godtfred Kirk Christiansen zum Patent eingereicht. Seit 1963 werden die Steine aus kratzfestem Kunststoff hergestellt.
Der LEGO-Chef
Michael Kehlet ist Chef von LEGO Deutschland, Österreich und der Schweiz. Sein Credo: „Wir wollen die Baumeister von morgen inspirieren und fördern.“ In dem bunten Plastikstein sieht er mehr als nur ein Spielzeug: „Er ist zugleich Inspiration, Kreativitäts-Auslöser, er weckt und unterstützt Neugier, Fantasie und die Vorstellungskraft. Zudem fordert und fördert er systemische Kreativität.“
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