Woher der rote Teppich kommt - und warum er so bedeutend ist

Topmodel Elsa Hosk posiert für Fotografen beim Filmfestival von Cannes, 2019
Mit den Oscars kehrte nach einer großteils virtuellen Award-Season eine Minimalversion des Red Carpet zurück.

Ganze Heerscharen von Stars, Assistenten und Begleitern tummeln sich normalerweise auf dem 300 Meter langen Teppich im Vorfeld der Oscar-Verleihung, hinter den Absperrungen klicken unzählige Kameras. Gestern bot sich ein anderes Bild. Nur Nominierte und Laudatoren durften den cayenneroten Stoff entlangschreiten, statt Gedränge gab es viel Abstand, keine Zuschauer und nur wenig Presse.

Obwohl die USA rasch impfen, standen die 93. Academy Awards im Zeichen der Pandemie. Die Freude, dass Hollywood nach einer Saison mit Zoom-Dankesreden und Roben-Schnappschüssen aus dem Privatgarten endlich wieder einen Red Carpet ausrollte, war dennoch groß. Damit kehrt ein Stück Glamour zurück, das seit den goldenen Zwanzigerjahren untrennbar mit dem Showgeschäft, aber auch mit Staatsempfängen, Adelshochzeiten, Bällen und Eröffnungen verbunden ist.

Wandelnde Werbefläche

„Der rote Teppich ist die letzte Bastion der klassischen, alten Prominenz“, erklärt der Kommunikationswissenschafter und Trendexperte Thomas Neubner den Status des purpurnen Stoffs, der heute nicht mehr Götter, sondern Stars von Normalsterblichen unterscheidet. „Die Akteure werden automatisch veredelt, wenn sie darauf stehen. Wenn es keinen Teppich gibt, fehlt dieses offizielle, edle Setting.“ Private Fotos aus dem Zuhause seien zwar persönlich und geben dem Prominenten (vom lateinischen Verb prominere, herausragen) die Möglichkeit, nahbarer zu wirken. „Dadurch wird aber auch alles etwas beliebiger.“

Woher der rote Teppich kommt - und warum er so bedeutend ist

Idina Menzel bei den Oscars, 2020

Bevor Stars auf Instagram bereitwillig Einblick in ihr Privatleben gaben, waren Red Carpets für Fans die einzige Möglichkeit, einen Blick auf Reich und Schön zu erhaschen. Und auf deren Outfits. Experten nennen das durchsichtige Glitzer-Ensemble, in dem Barbra Streisand 1969 den Oscar holte, als Wegbereiter für ein lukratives Geschäftsfeld: die Red-Carpet-Mode.

Heute beginnen Stylisten bereits Monate im Vorfeld mit der Auswahl möglicher Outfits, A-Lister wie Jennifer Lawrence (Dior) oder Emma Stone (Louis Vuitton) haben millionenschwere Verträge mit Designern und Juwelieren, deren Kreationen sie für einen bestimmten Zeitraum tragen müssen. Red-Carpet-Roben können für Designer und Träger große Karrieren einläuten: Das „Sicherheitsnadelkleid“, in dem Liz Hurley 1994 an der Seite von Hugh Grant eine Filmpremiere besuchte, machte die unbekannte Schauspielerin weltberühmt und bescherte Versace einen unbezahlbaren Werbeeffekt.

Woher der rote Teppich kommt - und warum er so bedeutend ist

Billy Porter mit Stylist auf dem Red Carpet der Oscar-Verleihung 2019

Drei Jahre später erhielt Nicole Kidman zwei Millionen Dollar, damit sie zu den Oscars gelbgrüne Couture von Galliano ausführte. Bis heute kommt keine Best-dressed-Liste ohne die Bilder aus.

2013 entspann sich um Anne Hathaway ein wahres Roben-Drama: Als die oscarnominierte Schauspielerin einen Tag vor der Verleihung erfuhr, dass Amanda Seyfried ein ähnliches Kleid wie ihre rote Valentino-Wahl tragen würde, entschied sie sich in letzter Minute um. Die blassrosa Prada-Robe saß suboptimal und veranlasste Hathaway letztendlich sogar zu einer öffentlichen Entschuldigung bei Valentino und ihren Fans.

Neue Akteure

Wie sehr Modeschöpfer von roten Teppichen profitieren, weiß auch der Wiener Couturier Juergen Christian Hoerl. Seit er Conchita für den Song Contest und Mirjam Weichselbraun für den Opernball einkleidete, ging es für den 46-Jährigen steil bergauf. „Der rote Teppich ist eine Bühne. Der Künstler braucht die Aufmerksamkeit genauso wie die Kleider, die er trägt“, sagt er zum KURIER. „Red-Carpet-Auftritte unterstreichen die Marken-Identität: Künstler und Designer finden sich automatisch, da die gemeinsame Außenwirkung und die Idee, für die man steht, Hand in Hand gehen.“

Woher der rote Teppich kommt - und warum er so bedeutend ist

Hilde Dalik in einer Robe von JC Hoerl bei der Romy-Verleihung 2018

"Erst durch den roten Teppich kommt wahrer Glamour in die Modewelt und somit war er auch dafür verantwortlich, dass zahlreiche Modelabels die Fühler Richtung Haute Couture ausgestreckt haben. Welchen Look eine bekannte Persönlichkeit vor den Blitzlichtern präsentiert, kann entscheidend für die Imagebildung der Prêt-à-Porter-Häuser sein", sagt Gloria Traxl, deren Agentur PR International Kunden wie Louis Vuitton und Anelia Peschev betreut. "Die Ausstattung von Prominenten für diese Anlässe ist daher eine wichtige Aufgabe für uns, um das Image von Fashion Labels zu stärken."

Die Generation Netflix könne mit dem Konzept des roten Teppich oft gar nichts mehr anfangen, beobachtet Neubner. "Sie haben kein Verständnis mehr von alter, klassischer Prominenz." Durch die neuen Medien hat sich die Bedeutung des Red Carpet verschoben. „In Deutschland tummelten sich plötzlich Tiktok-Stars auf dem roten Teppich. Die Fotografen wussten gar nicht mehr, wen sie da vor sich hatten.“

Doch je mehr selbstgemachte Internet-Stars es gibt, desto wichtiger könnte der gute alte, analoge Teppich werden. „Es kann ja nicht jeder eine bekannte Person sein, an der man sich orientiert. Wenn alle berühmt sind, braucht es erst recht eine Bühne, auf der man hervorstechen kann.“

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