Wo die wahren Optimisten wohnen
Es ist jetzt nicht so, dass ihr das neue Leben mit dem Virus keine Sorgen bereiten würde. Immerhin hatten sich in ihrem Heim, das Barbara genannt und von der Caritas in Wien-Erlaa geführt wird, im vergangenen Sommer dramatisch viele Mitbewohner infiziert. Doch hat Waltraud Lahner in ihren bald 91 Jahren ausreichend viel erlebt, um sich nicht mehr als nötig vor Covid-19 zu fürchten.
Eine Naturschönheit
Als Mädchen ist die gebürtige Atzgersdorferin um ihr Leben gerannt, 15 Minuten lang, zu einem Weinkeller in Mauer, um sich dort vor den Fliegerangriffen im Zweiten Weltkrieg zu schützen. Als junge Frau hat sie sich vor russischen Soldaten verschanzt. „Denn es wird den Herrschaften wohl hoffentlich nicht entgangen sein“, schäkert die betagte Heimbewohnerin mit den beiden Herrschaften vom KURIER, „dass ich eine echte Naturschönheit bin“.
Die Schöne von Erlaa ist in der Tat eine Naturgewalt. Doch es gibt noch mehr gut gelaunte, selbstbewusste, lebenslustige Menschen auf der Station mit dem schönen Namen „Taube“.
Zum Beispiel die gelernte Damenschneiderin Gudrun Meinhardt, die sich gerne an ihre Kindheit und Jugend in der Oberlausitz im Osten Deutschlands erinnert: „Das war wohl die schönste Zeit meines Lebens“, erklärt die im Jahr 1941 Geborene. „Die Landschaft dort ist schön, und die Menschen haben zusammengehalten.“
Man musste die beiden Damen nicht zwei Mal fragen, als vor dem Jahreswechsel der erste Corona-Impfstoff frei Haus geliefert wurde. „Selbstverständlich habe ich mich impfen lassen“, erklärt Frau Lahner. „Ich habe den Stich nicht einmal gespürt“, fügt Frau Meinhardt hinzu. Diese Impfung werde nicht nur sie selbst, sondern auch andere Menschen nachhaltig schützen. Nicht zuletzt auch das Pflegepersonal.
Apropos, die Mitarbeiter im Haus Barbara werden von den beiden Bewohnerinnen in den höchsten Tönen gelobt: „Was die in den vergangenen Monaten für uns alles getan haben, ist außergewöhnlich.“
Näher zusammengerückt
Ein Extralob erhält Stationsleiterin Violetta Walecek, die seit 25 Jahren als diplomierte Krankenschwester im Einsatz ist. Die Angesprochene meint: „Wir haben 31 Bewohner auf unserer Station. Die mussten schon nach dem ersten Lockdown auf viel verzichten, vor allem auf die Besuche ihrer Angehörigen. Da war es klar, dass wir sie umso mehr bei Laune halten müssen.“
In der Krise sei durchaus Bemerkenswertes gelungen: „Trotz des geforderten Abstands sind wir alle noch viel näher zusammengerückt.“
Ein Leben ohne Masken
Sie erhebt ihr Glas auf die Pflegekräfte, dann erklärt Gudrun Meinhardt: „Ich würde den Menschen in diesem Land wünschen, auch so respektvoll miteinander umzugehen wie wir das hier tun.“ Erst dadurch entstünde der positive Geist, der notwendig wäre, um das Virus endgültig in die Knie zu zwingen.
Mitbewohnerin Waltraud Lahner hofft, „nach einem Jahr, das wir ehrlich gesagt verloren haben, noch einmal ein Leben ohne Abstandsregeln und Maskenpflicht führen zu dürfen“. Sie hat gleich mehrere Menschen in ihrer Familie verloren, nicht aber ihren Optimismus: „Ich liebe das Leben, irgendwie werden wir das schon schaffen.“
Einen Rat für die Politik hat die ältere Dame, die sich selbst „zum Inventar dieses Hauses“ zählt, auch: „Man appelliert noch immer an das Verantwortungsbewusstsein jedes einzelnen. Doch müsste man inzwischen wissen, dass die Bevölkerung kein Hirn hat.“ Deshalb müssten wir uns noch länger gedulden.
Stefani Maric, die ebenfalls mit großer Leidenschaft auf der Station „Taube“ tätig ist, zeigt sich tief beeindruckt vom ungebrochenen Lebenswillen vieler Patienten: „Es ist bewundernswert, wie viel Hoffnung sie weiterhin aufbringen. Die lassen sich trotz der erforderlichen Einschränkungen auf der Station nicht so leicht unterkriegen.“
Selbst aus der hochdramatischen Coronakrise im Haus am Erlaaer Platz sei man am Ende gestärkt hervorgegangen. Ist Heimleiter Claudiu Suditu überzeugt: „Wir haben daraus unsere Lehren gezogen. Wir sind optimistisch, dass wir das Virus mit der neuen Teststrategie dauerhaft in den Griff bekommen können.“
Fürchtet euch nicht!
Die Schöne von Erlaa, Lady Lahner, freut sich jedenfalls auf das, was derzeit noch nach Zukunftsmusik klingt. Ein wenig von ihrer Gelassenheit und ihrem Optimismus täte eventuell auch jüngeren Semestern gut: „Ach, was soll mir schon viel passieren“, erklärt sie zum Abschied demütig. „Ich habe durch den Krieg früh meinen Vater verloren. Aber ich hatte trotz allem ein gutes Leben, mit einer glücklichen Familie, Kindern und Enkelkindern. Ich darf also heute zufrieden sein. Daher muss ich mich heute auch nicht vor dem fürchten, was noch auf mich wartet.“
Altersverteilung: Österreich wird älter, wie die Daten der Statistik Austria belegen: Im Jahr 2021 ist die Anzahl der Menschen aus der Generation 65+ erstmals größer jene der Unter-20-Jährigen. Alle Prognosen gehen davon aus, dass diese Entwicklung weiter anhält.
Altenpflege: Durch den deutlichen Anstieg älterer Menschen kommt das Sozial- und Gesundheitsnetz weiter unter Druck. Es steigt der Bedarf an ausgebildeten Pflegekräften weiter an. Im Sozialministerium arbeitet man an konkreten Konzepten, um den Pflegeberuf deutlich attraktiver zu gestalten. Ohne eine leichter zugängliche Ausbildung, ein höheres Einkommen und damit direkt einhergehend ein höheres Image wird diese Initiative allerdings kaum gelingen. Abseits von Corona besteht diesbezüglich bereits ein dringender Handlungsbedarf.
Altersschwach: In der Coronakrise hat sich klar gezeigt, dass das Virus vor allem betagte Menschen angreift. Viele Patienten haben nicht nur mit ernsten Beschwerden wenige Tage nach ihrer Infektion hart zu kämpfen, sondern sind auch während der Rehabilitation über Wochen geschwächt, gar nicht wenige sterben.
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