Roberta Rio: Topophilia ist ein griechisches Wort und bedeutet die Liebe zu Orten. In der Vergangenheit wurde es verwendet, um die emotionale Beziehung zwischen Orten und Menschen zu beschreiben. Der Topophilia-Effekt geht darüber hinaus. Es ist ein Sammelbegriff für die Wirkungen, die Orte auf Menschen haben; auf ganz unterschiedlichen Ebenen – die berufliche, die gesundheitliche, aber auch die emotionale.
Wie sind Sie auf dieses Thema gestoßen?
Durch meine persönliche Lebensgeschichte. Einige Jahre nach meiner Promotion zur Historikerin erkrankte meine Mutter schwer. Wir waren orientierungslos. In dieser Situation fiel mir ein, dass der berühmteste Arzt des Altertums, Hippokrates, empfahl, bei chronischen Krankheiten den Wohnort zu wechseln. Die Wirkung von Orten auf ihr Leben war vielen Menschen in allen Epochen bewusst. Die Römer prägten dafür den Begriff „Genius Loci“, der Geist des Ortes. Unsere Vorfahren haben etwas wahrgenommen, ohne messbare Parameter dafür zu haben.
Zum Beispiel?
Viele Völker nahmen an, dass dort, wo sich die Katze hinlegt, ein schlechter Platz für den Menschen sein könnte. Die Etrusker ließen für ihre Besiedelungsstrategie Schafe auf Flächen weiden und untersuchten nach einer gewissen Zeit die Leber, die sogenannte Leberschau. Wenn die Leber beschädigt war, galt der Ort als ungeeignet, um dort zu leben.
Und heute?
Nach der Aufklärung verschwand dieses Bewusstsein. Wir sollten mehr Demut vor dem Alten haben, auch vor diesem Volkswissen. Ich möchte, dass wir es wiederentdecken und Naturwissenschafter dazu einladen, interdisziplinäre Arbeiten rund um dieses Thema zu starten.
Welche faszinierenden Fallbeispiele sind Ihnen bereits untergekommen?
Eine Kundin hat mich beauftragt, die Geschichte des Hauses zu recherchieren, in dem sie mit ihrem Mann lebte. Seit sie dort wohnten, war die Beziehung von Streit geprägt. Ich habe herausgefunden, dass dort ein Gerichtshof war. Die Menschen sind Hunderte Jahre mit ihren Streitangelegenheiten dorthin gekommen. Einige gehen zur Paarberatung, andere eben zu einer Historikerin.
Grenzt es nicht an Esoterik, Eheprobleme darauf zurückzuführen?
Ich bin Historikerin, mit Esoterik hat meine Arbeit nichts zu tun. Ich beschäftige mich mit Geschichte und Statistiken. Auf der Suche nach sich wiederholenden Mustern forsche ich in Archiven, die nur zum Teil frei zugänglich sind. Natürlich spreche ich auch mit den Menschen vor Ort. So entsteht ein statistisches Datenmaterial, das ich an meine Kunden liefere. Was die Menschen damit machen, ist ihre Angelegenheit.
Was gilt es zu beachten, wenn man in ein neues Haus oder eine neue Wohnung zieht?
Auf den ersten Eindruck vertrauen. Wir wissen sofort, ob ein Ort gut oder schlecht für uns ist. Wobei kein Ort per se gut oder schlecht ist. Wir können ihn nur gut oder schlecht nutzen. Unsere Vorfahren haben zum Beispiel die Grundstücke für Friedhöfe ganz bewusst gewählt. Sie sind nicht zum Wohnen geeignet.
Info: Roberta Rio: „Der Topophilia Effekt: Wie Orte auf uns wirken“. edition a. 272 Seiten. 22 Euro
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