Tierische Einzelgänger: Welche Arten lieber alleine leben

Tiger gehen gerne allein durchs Leben.
Pfingstmontag 1828: In Nürnberg taucht ein völlig verwahrloster Jüngling auf. Mit den 50 Worten, die er kennt, stammelt der „rätselhafte Findling“ über sein Leben, das er bis dahin bei Wasser und Brot in einem dunklen Verlies verbracht hätte. Obwohl schon damals Zweifel am Schicksal des 16-Jährigen aufkommen, gilt Kasper Hauser doch seither als Paradebeispiel für das soziale Wesen des Menschen. Fehlt der Kontakt zu anderen, können Entwicklungs- und Verhaltensstörungen entstehen.
Während sich Österreich aktuell über die Aufhebung der Corona bedingten Selbstisolation freut, bleiben andere Spezies freiwillig auf Distanz zu Ihresgleichen. Ob Feldhamster oder Schwarze Witwe, Kuckuck oder Meeresschildkröte – Einzelgänger sind im Reich der wilden Tiere keineswegs Außenseiter.
Wenig Sozialkontakte
„Die Lebensform muss einen Vorteil haben, sonst wäre sie ausgestorben“, sagt Biologe Andreas Hantschk. Der Pädagoge im Naturhistorischen Museum Wien zeigt auf, dass die Konzepte von Nähe bzw. Abstand „nicht Schwarz-Weiß, sondern komplex sind“. Unterschiedliche Verhältnisse bestehen selbst bei naher Verwandtschaft; mitunter hängt der Beziehungsstatus von Geschlecht, Alter und Umwelt ab.
Innerfamiliäre Gegensätze
„Es gibt in der Natur zahlreiche Gegensatzpaare“, sagt Hantschk und bringt innerfamiliäre Beispiele: Bei den Großkatzen gilt allein der Löwe als Gesellschaftstiger. Jaguar, Leopard & Co. suchen nur zwecks Fortpflanzung nach Artgenossen. Unter den Schleichkatzen ist der Mungo ein ausgesprochener Solist; beim Fressen gibt es keine Freunde. Erdmännchen dagegen geben sich überaus gesellig. Gemeinsam lassen sich Angreifer besser abwehren.
Allein in der Luft bzw. unter Wasser
In der Luft wiederum fliegen u.a. Saatkrähen lieber gemeinsam. Vor allem die gefiederten Junggesellen schließen sich zu Gangs zusammen; man kann von einander lernen. Kolkraben stattdessen sind – außerhalb der Brutzeit – als Singles unterwegs. Unter Wasser tummeln sich Delfine von Natur aus in Schulen, als Team sind sie auch bei der Jagd erfolgreicher. Blauwale, die Unmengen an Plankton zum Sattwerden brauchen, tauchen meist einsam ab.
Fleischfresser ohne Gesellschaft
„Es ist auffällig, dass Tiere mit einem großen Aktionsradius eher Einzelgänger sind“, fasst Hantschk zusammen. Darüber hinaus schlagen sich Fleischfresser gerne einzeln durch, während Pflanzenfresser häufig in der Herde futtern.
Dichte Wälder machen einsam
Neben den Nahrungsvorlieben beeinflusst der Lebensraum die sozialen Umgangsformen. Auf weiten Ebenen rücken Tiere oft zusammen – siehe Gnus –, im Dickicht läuft es ohne Rücksicht auf Begleiter besser – vergleiche Waldelefant. Die Brutpflege dagegen eignet sich nicht für Verallgemeinerungen: So ziehen etwa Buntbarsche ihren Nachwuchs liebevoll auf, Forellen schwimmen ohne Nachschau davon.
Lieber ohne Artgenossen
Nicht zuletzt praktizieren Primaten Beziehungen aller Art. Hantschk: „Bei den Bonobos führen die Frauen die Gruppe, bei den Schimpansen die Männchen. Bei den Gorillas regiert der Silberrücken den Clan. Der Orang-Utan ist ein klassischer Einzelgänger.“
Rückschlüsse auf den Homo sapiens lässt das affige Verhalten nicht zu. Der unglückliche Kasper Hauser jedenfalls, der innerhalb kürzester Zeit fehlerfrei sprechen lernte, starb 1833. Ob er erstochen wurde oder sich selbst das Leben nahm, ist bis heute ungeklärt.
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