Wenn Paare ein Kind bekommen, rückt Zweisamkeit in den Hintergrund – wie man sich seinen Körper achtsam zurückerobert, beschreibt eine junge Mutter in einem persönlichen Buch.
Drei Jahre. So lange dauerte es, bis Tina Molin nach der Geburt ihrer Tochter wieder Lust auf Sex verspürte. Die Entbindung hatte körperliche wie seelische Spuren hinterlassen, die ständige Beanspruchung durch das Baby und die Überforderung als Jung-Mama taten ihr Übriges. „Am Abend, wenn mein Mann nach Hause kam, wollte ich meinen Körper nur noch für mich haben“, erzählt die 47-jährige Wienerin, die mit ihrer Familie in Berlin lebt.
Obwohl ihr Mann lange Verständnis zeigte, begann die Flaute im Bett die Beziehung zu belasten. „Wir konnten nicht mehr über Sex reden, ohne uns gegenseitig an die Gurgel zu gehen. Nach zwei Jahren habe ich in seinen Augen gesehen, dass er die Hoffnung aufgibt, dass ich jemals als Geliebte zurückkehre. Da wusste ich, ich muss etwas ändern.“
Tabuthema
Wie sie mit Mitte vierzig ihre Sexualität – und schließlich auch sich selbst – neu entdeckte, erzählt Molin in einem neuen Buch, das gerade die Bestsellerlisten erobert und einen Nerv unter Jungeltern trifft. Auch die neue Netflix-Serie „Sex/Life“, die seit dieser Woche auf der Streamingplattform abrufbar ist, handelt von einer sexuell frustrierten jungen Hausfrau und Mutter, die ihre erotischen Träume in ein Tagebuch notiert (siehe unten).
„Ich weiß von Freundinnen, dass Unlust ein Riesen-Thema ist – es wird nur öffentlich ganz wenig darüber gesprochen“, sagt Molin. „Mit Mitte 40 sind wir in der High-Speed-Phase des Lebens, machen Karriere, sind in Führungspositionen, haben Kinder. Das alles unter den Hut zu kriegen, ist einfach viel.“ Das belegt eine aktuelle Umfrage des Magazins Eltern: Während 37 Prozent vor der Schwangerschaft öfter als zweimal in der Woche miteinander schliefen, hatten 39 Prozent ein halbes Jahr nach der Geburt nur noch zweimal pro Monat Sex. 6 Prozent meldeten eine totale Sex-Flaute, seit sie Eltern sind. Deutlich mehr Mütter als Väter nannten Stress als Grund dafür.
Beginn einer Reise
„Wenn der Sex ausbleibt, ist das ein erstes Anzeichen für eine Überlastung“, weiß Molin, die als Society-Reporterin viele Jahre im Berliner Nachtleben unterwegs war, heute. Als ihre achtjährige Tochter drei und somit aus dem Gröbsten heraus war, begann sie, ihren erotischen Horizont zu erweitern – alleine und mit Partner.
Vorplanen
Autorin Tina Molin rät Jung-Eltern, sich zum Sex zu verabreden und den Termin im Kalender einzutragen: „Wir gehen ja nicht mal mehr spontan grillen – warum sollte es bei Sex funktionieren?“
Blog für Frauen
Auf www.happyvagina.de bloggt Tina Molin über weibliche Sexualität, Achtsamkeit, Selbstliebe und vermeintliche Tabus. Auch die Baseball-Kappen mit der Aufschrift „Make Vagina Great Again“ sind hier erhältlich
Netflix-Serie
„Sex/Life“ wird dank heißer Szenen schon jetzt als neues „Shades of Grey“ gefeiert – im Fokus stehen die Fantasien einer zweifachen Mutter aus der Vorstadt. Acht Folgen sind auf Netflix abrufbar
Buchtipp
„Endlich wieder Lust auf Sex – Wie ich mit Mitte Vierzig mein Liebesleben neu entdeckte“ von Tina Molin ist im Goldmann Verlag erschienen. 240 Seiten, 10 Euro
„Wir haben einen Bondagekurs gemacht und waren im Swingerklub – das war ungefähr so sexy wie ein Schrebergarten“, berichtet sie lachend. Als echten „Gamechanger“ bezeichnet Molin hingegen ihre erste Tantramassage (langsame, von Therapeuten durchgeführte Massage auch im Intimbereich, Anm.). „Das hat alles verändert und für mich eine neue Welt eröffnet. Mir wurde klar, dass der Kaiserschnitt traumatisch war und ich dadurch keine Wahrnehmung mehr im Unterleib hatte. Der Orgasmus war eine spirituelle Erfahrung für mich.“
Männliche Sichtweise
Sexualität wird viel zu häufig durch die männliche Brille betrachtet, sagt sie. „Zu viele denken, dass Sex automatisch männlicher Sex ist: schnell und zielorientiert. Den wenigsten ist klar, was weibliche Sexualität ist – dass es dauert, bis der Motor warm gelaufen ist. Diese Zeit nehmen sich Frauen nicht. Wir fordern sie auch nicht ein.“
Durch die Feminismusbewegung, Blogs und Podcasts ändert sich diese Sichtweise zunehmend. Auch in der Netflix-Serie geben die Fantasien der Protagonistin den Ton an. Molin plädiert dafür, den Sex-Begriff weiter zu fassen – gerade für Jung-Eltern. „Unsere Vorstellung von Sex ist oft schon so überhöht, dass er gar nicht mehr stattfindet. Warum kann man nach einem anstrengenden Tag nicht einfach nackt nebeneinander einschlafen? Das schafft auch Intimität.“
Von den vielen „Werkzeugen“, die sie sich mit ihrem Mann angeeignet hat, hat nicht nur ihr Sexleben, sondern auch ihre Beziehung profitiert. „Seit es wieder läuft, sind wir als Paar entspannter. Man schüttet so viele Glückshormone aus, wenn man guten Sex hat.“
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