Erst spielt sie mit dem Hausmeister im Keller des Waisenhauses, in dem sie aufwächst, dann gedanklich auf dem Plafond ihres Schlafzimmers – und schließlich bei den ganz großen Turnieren in Moskau und Paris. Die Netflix-Mini-Serie „Das Damengambit“ über den Siegeszug des (fiktiven) Wunderkindes Beth Harmon in der männerdominierten Schachwelt der Sechzigerjahre begeistert die Zuseher. Und sie lässt das Interesse am jahrhundertealten, oft als verstaubt geltenden, Strategiespiel wieder aufflammen.
Laut einem Bericht von CNN schossen die eBay-Suchanfragen nach „Schach-Sets“ in der Woche nach dem Serienstart im Oktober um 273 Prozent in die Höhe, die Zahl der online gespielten Partien hatte sich während des Lockdowns im Frühjahr bereits von elf auf 17 Millionen erhöht, meldete der internationale Schachverband FIDE. Man hoffe nun, dass die ebenso coole wie glamouröse Serien-Protagonistin noch mehr junge Menschen zum Schach bringt – vor allem Mädchen.
Fluch des Vorurteils
Denn die sind im Profi-Schach auch heute noch stark unterrepräsentiert: Die Ungarin Judit Polgár, die sich weigerte, an reinen Frauenturnieren teilzunehmen und 2014 zurücktrat, war die einzige Frau, die es bisher unter die Top Ten der Weltrangliste schaffte. Derzeit muss man bis Platz 87 scrollen, um auf den ersten weiblichen Namen zu stoßen. In Österreich sind an die drei Prozent der Spitzenspieler Frauen.
Für das Geschlechter-Ungleichgewicht gibt es verschiedene, oft skurrile Erklärungsansätze, die von manch männlichem Profi sogar befeuert wurden: Hartnäckig hält sich etwa die These, dass Männergehirne besser im logischen und strategischen Denken seien. Ein Klischee mit Folgen, weiß Dagmar Jenner, Leiterin des Frauenschachklubs „Frau Schach“, der Frauen das Spiel in lockerem Kaffeehaus-Rahmen schmackhaft machen möchte: „Viele Frauen haben diese Vorurteile selbst internalisiert und trauen sich das Schachspielen nicht zu. Bei der jüngeren Generation ist das anders – die lässt sich nichts sagen und hat ein tolles Selbstvertrauen. Die Zukunft ist weiblich, keine Frage“, ist Jenner optimistisch.
Eine dieser Spielerinnen ist Denise Trippold, 22, Psychologiestudentin und Teil des österreichischen Frauen-Nationalkaders. In gemischten Turnieren hat sie „oft genug“ gegen Männer gewonnen. Woran liegt die statistische Abgeschlagenheit der Damen? „Ich persönlich habe die Erfahrung gemacht, dass sich Schachspielerinnen eher von ihren Emotionen leiten lassen – das kann sich negativ auf das Spiel auswirken“, sagt die Niederösterreicherin. Sie selbst habe im Mentaltraining gelernt, selbstbewusster zu sein und am Brett schneller Entscheidungen zu treffen. „Schach hat eine starke psychologische Komponente.“
Lieb und brav sein
Um an die Spitze zu kommen, brauche es Geduld, Hartnäckigkeit und einen starken Siegeswillen. „Wie im Sommer beim Frauen- und Mädchenschachkongress in Salzburg besprochen wurde, ist vielleicht einer der Unterschiede, dass Frauen Niederlagen besser wegstecken, eher ein Remis akzeptieren und weniger aufs unbedingte Gewinnen fixiert sind“, sagt Jenner. Das Testosteronlevel könnte eine biologische Erklärung sein, relevanter ist die soziologische: „Frauen und Mädchen werden eher zum Konsens und zur Konfliktvermeidung konditioniert als Buben. Für Mädchen lautete das oberste Ziel jahrzehntelang, lieb und brav zu sein und keine Scherereien zu machen“, so die Hobby-Schachspielerin und hauptberufliche Dolmetscherin.
Jenner ist zuversichtlich, dass die Männerdomäne künftig noch weiblicher wird – auch mithilfe der Serie (die sie selbst noch nicht gesehen hat). Ihre Frauenschachgruppe, die sich normalerweise alle zwei Wochen im Café Schopenhauer trifft, erfreut sich regen Zuspruchs, vor dem Lockdown hätte der Ableger in Bregenz starten sollen. Der Ruf des nerdigen Altherrenspiels ist dann hoffentlich bald endgültig passé.
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