Robert Pfaller: Lohnend und lebenswert ist das Leben dann, wenn es Momente enthält, in denen wir nicht nur dem Überleben dienen müssen. Es lohnt sich, wenn wir das Gefühl haben, das Leben ist jetzt für uns da – zum Beispiel, wenn wir ausgelassen tanzen, erregt Ball spielen, einen schnurrenden Kater streicheln oder gelassen spazieren gehen.
Ihr Essay „Wofür es sich zu leben lohnt“, der vor rund zehn Jahren erschienen ist, wurde vielfach als Plädoyer für mehr Maßlosigkeit rezipiert. Wo stehen wir hier heute?
Genaugenommen habe ich, dem griechischen Philosophen Epikur folgend, nur geschrieben, dass man sich nicht maßlos mäßigen soll. Denn das ist ja wieder ein Exzess! Ich fürchte aber, genau das tun wir derzeit immer noch. Es hat sich nichts geändert.
Warum fällt es uns so schwer, ein bisschen unvernünftig zu sein?
Weil alles, was große Lust bereitet, regelmäßig ein ungutes Element an sich hat, das Überwindung erfordert: Trinken macht Kopfweh; Partys verwüsten die Wohnung; Sex ist unappetitlich und produziert soziale Verwerfungen; und selbst harmlosere Betätigungen wie Lesen oder Flanieren erfordern immer noch die großzügige Bereitschaft, Zeit zu verschwenden.
Einerseits heißt es, wir leben in einer hedonistischen Spaßgesellschaft, andererseits ist Verzicht – sei es auf das Schnitzel, das Bier oder Sex – en vogue. Wie geht das zusammen?
Eben weil der sogenannte Hedonismus den Leuten die Fähigkeit raubt, ihre Komfortzonen zu verlassen und sich dem Unguten der lustvollen Dinge auszusetzen.
Wie erklären Sie sich die neue Lust an der Reduktion? Kann sie uns glücklicher machen – wie z. B. die Ausmistexpertin Marie Kondo mit ihrer „Magic Cleaning“-Methode verspricht?
Alles, was eigentlich selbstverständlich sein müsste, wie das Wegwerfen oder das Nichtkaufen kommt den Leuten als Fähigkeit offenbar zunehmend abhanden und wird ihnen dann als Ware wieder angeboten. So bezahlen ja manche auch viel Geld, damit man ihnen im Kloster das Handy wegnimmt, und andere belegen Kurse für Masturbation. Vielleicht könnte man ihnen sogar noch teuer anbieten, ohne „Magic Cleaning“ auskommen zu lernen.
Wem nützt es, wenn wir uns immer weiter einschränken?
Wir werden furchtsam und neidisch. Wir werden unfähig, uns mit anderen zu solidarisieren, und während wir uns über lächerliche Kleinigkeiten aufregen, lassen wir uns die größten Zumutungen gefallen.
Sie plädieren dafür, eine risikoreiche Existenz in Würde einem risikoarmen Leben vorzuziehen, in dem man entwürdigenden Handlungen ausgesetzt wird. Warum fasziniert die risikoreiche Existenz des Rennfahrers Jochen Rindt noch 50 Jahre nach seinem Tod?
Nicht nur Rennfahrer hatten damals enormen Glamour, sondern auch Rockmusiker, Filmdiven und sogar Philosophen. Selten kam es auf sämtlichen Gebieten der Kultur der Moderne zu solchen Spitzenleistungen wie in den Jahren um 1970. Bei der charmanten Ausnahmeerscheinung Rindt kommt sicherlich hinzu, dass viele davon träumten, ein solches Leben zu haben, während die meisten von ihnen zugleich froh waren, es nicht leben zu müssen. Heute dagegen möchten wohl nur wenige den faden Stress der jetzigen Rennfahrer teilen, und andererseits sind sie auch nicht allzu froh, ein anderes Leben zu haben.
Sie sagen, es gibt eine Besessenheit, alles für die Gesundheit zu tun. Warum ist ein gesundes Leben nicht zwingend ein gutes?
Wenn man die bloße Erhaltung des Lebens vor die Frage nach dem Lohnenden des Lebens stellt, hat man schon verloren. Wer nicht bereit ist, ab und zu die engen Grenzen des Haushaltens mit Geld, Schlaf, Nüchternheit, Eigennutz etc. zu überschreiten, wird kein glückliches Leben führen können. Epikur sagt, der Weise wird nicht das größte Brot wählen, sondern das süßeste. Allerdings scheint mir die Erfahrung zu zeigen, dass diejenigen, die glücklich leben, letztlich paradoxerweise mit all ihren Lastern oft auch ganz gesund leben. Während die immer auf Gesundheit Bedachten oft verhärmt und früh sterben.
In Ihrem neuen Buch „Die blitzenden Waffen“ schreiben Sie, dass uns Rituale, Formen und Zeremonien abhandenkommen. Wozu brauchen wir sie?
Das Feiern ist eine Methode, mit der man ungute Dinge in großartige verwandeln kann. Champagner zum Beispiel ist im Alltag irgendwie seltsam; aber wenn jemand Geburtstag hat, dann muss man anstoßen, und dann ist er grandios. Was wir alleine verabscheuen, können wir in Gesellschaft genießen. Die Geselligkeit ist darum eine Voraussetzung für die Erfahrung von Glück. Und das Zelebrieren selbst kleiner, unscheinbarer Dinge wie zum Beispiel das Austauschen von Gedanken beim „Theetrinken“, das Bertolt Brecht liebte, macht die Menschen großzügig und solidarisch.
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