"Hast du denn keine Angst?“ Keine Frage wurde Petra Ramsauer in den vergangenen zwanzig Jahren öfter gestellt: Als Reporterin in Syrien, Libyen, im Irak und anderen Krisenherden war die Gefahr, entführt zu werden oder bei einem Angriff zu sterben, allgegenwärtig.
Heute berichtet Ramsauer nicht mehr vor Ort, beschäftigt sich als freie Journalistin und angehende Psychotherapeutin aber nach wie vor mit Ängsten und Traumata. Im Interview mit dem KURIER erzählt die 51-Jährige, warum sie diese großen Risiken in Kauf genommen hat, wie ihr eine lebensbedrohliche Krankheit Mitte zwanzig half, mutiger zu werden – und welche Lehren wir alle aus der Corona-Angst ziehen können.
KURIER:In Ihrem Buch „Angst“ schreiben Sie, dass Sie immer ein ängstlicher Mensch waren. Dennoch sind Sie Krisenreporterin geworden – warum?
Petra Ramsauer: Angst hat zwei Dimensionen: Sie kann lähmen, aber auch motivieren. Bevor ich Auslandsreporterin wurde, bin ich sehr krank geworden. Ich hatte einen Tumor, konnte keine Kinder mehr bekommen. Die Ärzte haben mir gesagt: Das könnte sich nicht ausgehen. Da dachte ich mir, jetzt könnte ich das machen, was ich eigentlich immer machen wollte, nämlich als Reporterin aus Kriegsgebieten zu berichten. Wenn man eine lebensbedrohliche Krankheit überwunden hat, ist das so, als hätte man diese ganz große Wahnsinnsangst schon einmal erlebt. Die Todesangst bleibt immer irgendwo in einem, das Leben verändert sich dadurch.
Inwiefern hat sie Ihres verändert?
Mir wurde früh klar, dass Sterben zum Leben gehört – es ging mir eher darum, was man bis zum Sterben macht. Im Buch beschreibe ich diese Analogie: wie es sich anfühlt, das getan zu haben, was einem wichtig ist, auch wenn es mit Risiken verbunden ist. Es gibt dieses schöne Zitat von Curd Jürgens: Besser den Jahren Leben geben als dem Leben Jahre.
Hat sich die Todesangst, die Sie während Ihrer Krankheit empfunden haben, im Kriegsgebiet wiederholt?
Es ist eine völlig andere Angst, die man da erlebt. Ich war oft in lebensbedrohlichen Situationen, zum Beispiel bei der Eroberung von West-Mossul. Da war ich am Boden, Scharfschützen in Reichweite, Luftangriffe – alles gleichzeitig. Das ist eine eisige, atemlose Angst, eine Furcht, die einen überkommt. Das Gute an so einer Situation ist: Man kann etwas tun, man kann sich überlegen, woher kommen die Scharfschützen, wo kommt das Feuer herein usw. Das Schlimme an Angst ist Hilflosigkeit. Wenn man im Krankenhaus vor einem Befund sitzt, kann man in dem Moment überhaupt nichts tun. Daher habe ich die Angst damals auch als existenzbedrohender empfunden. Dieses Ausgeliefertsein spüren die Menschen jetzt in Ansätzen auch mit Covid-19.
Wie haben Sie es geschafft, die Angst in akuten Gefahrensituationen nicht gewinnen zu lassen?
Ich zähle zu diesen Menschen, die wahnsinnig ruhig werden, wenn es ernst wird. Ich spüre die Furcht, aber ich kann bis zum letzten Moment denken. Das ist der Zaubertrick im Umgang mit der Angst, egal, ob es sich um einen unangenehmen Termin oder etwas Großes handelt: Es genügt zu sagen, das ist jetzt die Angst, die mich überkommt – in dem Moment aktiviere ich den reflektiven Teil im Gehirn und der Fluchtmodus, das „Reptiliengehirn“ mit seinen Instinkten, wird ausgebootet. Wenn die Angst aber in Panik umschlägt, wird es gefährlich, denn dann übernimmt das Reptiliengehirn und man kann nicht mehr klar denken.
Was macht Ihnen persönlich momentan Angst?
Ich habe ganz normale Ängste, aktuell zum Beispiel in Bezug auf die Pflege meiner Eltern. Unabhängig von meiner Person: Was mir wirklich Angst macht, ist die Klimakrise. Als Journalistin beschreibt man ja oft extreme Szenarien – so ist es mir noch nie gegangen, dass diese Szenarien vor meinen Augen eintreten. Am Umgang mit Covid sieht man, wie schwer es uns fällt, uns an Krisen anzupassen. Das bereitet mir Sorgen, denn die Klimakrise wird uns noch viel mehr abverlangen.
Während der Pandemie wurde Angst zu einem bestimmenden Lebensgefühl, auch der Regierung wurde vorgeworfen, bewusst Ängste zu schüren. Ist das für Sie nachvollziehbar?
Ich habe mich dazu sehr vorsichtig geäußert, denn: Wo beginnt die Angstmache und wo endet die Warnung vor einer Krankheit, die teilweise dramatisch sein kann? Dass bald jeder einen kennen wird, der an Covid-19 gestorben ist, war zu dem Zeitpunkt eventuell nicht die richtige Ansage. Ob es stimmen wird, wissen wir erst am Ende der Pandemie. Ich denke, dass viele Menschen schon länger vage Zukunftsängste hatten, die durch Covid sichtbar und konkret geworden sind: Werden unsere Pensionen finanziert sein? Welche Jobs fallen durch die Digitalisierung weg, ist die Bildung unserer Kinder sicher? Es war, als würde man über Eis gehen, das schon leichte Brüche hat.
Petra Ramsauer
Nach ihrem Studium der Politikwissenschaften arbeitete die gebürtige Vöcklabruckerin für diverse Medien, u. a. für den KURIER mit Schwerpunkt Umwelt und Gesundheit. Ab 1999 berichtete sie für News aus Kriegs- und Krisengebieten im Nahen Osten, seit 2009 freiberuflich. Die 51-Jährige ist Autorin mehrerer Bücher, absolviert eine Ausbildung zur Psychotherapeutin und möchte sich auf die Behandlung von Traumata spezialisieren
Buchtipp
Ab 5. Oktober erhältlich: „Angst“ von Petra Ramsauer. Kremayr & Scheriau, 128 Seiten, 18 Euro
Was können wir aus dieser Zeit lernen – wie entkommen wir der Angstspirale?
Aus meiner Sicht bräuchten wir eine wohlmeinende Fehlerkultur. Unsere Identität ist darauf aufgebaut, dass wir immer besser werden, immer alles vorangeht – dann kam Covid und vieles war plötzlich nicht mehr möglich. Angst macht ja nicht in erster Linie, etwas nicht zu erreichen, sondern was man glaubt, erreichen zu müssen, um etwas wert zu sein. Ich habe immer geglaubt, die größte Angst ist die Todesangst, aber dann hat mir eine Psychologin gesagt, die größte Angst ist die, nicht geliebt zu werden. Wir haben uns als Gesellschaft in den Gedanken verstrickt, dass wir dafür etwas leisten müssen. Wenn man verinnerlicht, dass man wertvoll ist, wie man ist, ohne dafür etwas tun zu müssen – dann nimmt das schon eine große Portion Zukunftsangst.
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