Durch ihren Job habe sie in den vergangenen Monaten oft Momente der Hoffnungslosigkeit erlebt. „Mein Glaube hat sich durch die Pandemie definitiv verändert. Er gibt mir Hoffnung, es ist etwas, woran ich festhalten kann.“ Die Atmosphäre sei heuer aber ganz anders als sonst: „Früher hat man sich oft bei Verwandten zum Iftar (Mahl nach Sonnenuntergang) getroffen und das waren wirklich schöne Momente, die jetzt natürlich fehlen. Ich erinnere mich wirklich gerne an die Ramadan-Zeit meiner Kindheit, da es immer so friedlich war. Dazu kommt, dass wir nicht so einfach nach Bosnien zu unserer Familie fahren können.“
Nie alleine gefühlt
Ähnlich empfindet es die Linzerin Hanna Begić, die in Wien Literatur studiert. Das Miteinander beim Fastenbrechen fehlt ihr dieses Jahr sehr, denn „im Ramadan hat man sich nie alleine gefühlt“: "Man betet und kocht zusammen und träumt von irgendwelchen Speisen, die man seit Jahren nicht gegessen hat, aber einem plötzlich einfallen, während man etwas lethargisch am Sofa hängt vorm Iftar." Vieles davon wurde heuer ins Virtuelle verlegt.
Die 22-Jährige fastet seit ihrem siebenten Lebensjahr, damals durchaus aus einem spielerischen Antrieb. „Ich habe mich mit meinen Cousinen und Cousins gemessen, wer mehr Tage am Stück fasten kann oder wer am meisten gute Taten an den Tag bringen wird. Erst später habe ich dann auch den spirituellen Wert vom Ramadan so richtig wahrgenommen. Es geht nicht nur darum, dass man dem Körper für eine bestimmte Zeit am Tag Nahrung entzieht, sondern läuft weitaus darüber hinaus. “
Achtsamkeit und innere Einkehr spielen für junge Muslime eine große Rolle im Fastenmonat. Begić, die nebenbei für das Lifestyle-Magazin Qamar schreibt, spricht von einem Selbstcheck: „Man reflektiert, wie man sich bzw. seinen Körper im Vorjahr behandelt hat und wie man mit seinen Mitmenschen umgegangen ist. Es geht für mich darum, einen Gang runterzuschalten, mich mit mir selbst zu beschäftigen, und wie ich mich als Person etablieren möchte.“
Vorurteile wie „das kann ja nicht gesund sein“ hören sie regelmäßig – „ich habe das Gefühl, dass wir uns jedes Jahr aufs Neue rechtfertigen müssen“, sagt Mujagić. „Dabei gibt es inzwischen viele Diäten, die wahrscheinlich ungesünder sind. Das hinterfragt aber kaum jemand.“
Eine der Regeln des Ramadan besagt, dass man sich in dieser Zeit besonders um Bedürftige kümmern soll. Hanna Begić half bei der Essensausgabe in einem Notquartier. "Vor allem durch die coronabedingte Arbeitslosigkeit werden immer mehr Menschen armutsgefährdet. Man darf diese Menschen einfach nicht vergessen."
Emir Avdic, Student der Elektrotechnik, engagiert sich ehrenamtlich beim Projekt „Fasten, Teilen, Helfen“. Der Verzicht, sagt der 24-Jährige, stärke seine Empathie gegenüber jenen, die nicht im Überfluss leben. Sein Wecker läutet während des Ramadan um vier Uhr früh, rechtzeitig vor Sonnenaufgang stärkt er sich mit einem Snack und Wasser für den Fasttag. Dann legt er sich noch einmal nieder und steht gegen acht Uhr auf. Das Homeoffice kommt ihm heuer entgegen: „So kann ich etwas länger liegen bleiben“, sagt er lachend.
Satt, aber nicht matt
Das Fastenbrechen in großem Kreis mit gemeinsamem Essen, Beten und Philosophieren zählt zu seinen schönsten Kindheitserinnerungen. Dieses Jahr bricht er das Fasten alleine oder bei seinen Eltern, die vor Jahren aus Bosnien nach Österreich gekommen sind. „Ich achte darauf, satt, aber nicht matt zu werden. Man tendiert dazu, sich zu überessen, was den Magen unnötig belastet.“
Auch für ihn hat der Verzicht in erster Linie eine spirituelle Komponente, die er nicht missen möchte. „Bis jetzt brachte jeder Ramadan neue Erkenntnisse. Für mich ist es einfach eine gute Möglichkeit, mich, meine Ansichten und Gefühle weiterzuentwickeln.“
Kommentare