Domorganist Konstantin Reymaier: Ein Mann zieht alle Register
Es ist nicht so, dass man sich als Domorganist wie Freddie Mercury im Wembley Stadion fühlt. Aber ein bisschen eine Aufregung schwingt bei einem Auftritt immer mit. Besonders vor einem großen, wie der Weihe der neuen Wiener Domorgel vergangenen Sonntag. Oder der ersten CD-Aufnahme mit dieser „Königin der Instrumente“ in diesem denkwürdigen Sommer.
Domorganist Konstantin Reymaier ist mit einer Körpergröße von fast zwei Metern wie geschaffen für die Bespielung des erneuerten, größten Musikinstruments Österreichs.
Angesichts dieser Herausforderung aber fühlte er sich kurz ganz klein. „In der Nacht davor bin ich mehrmals aufgewacht“, erzählt er von seiner Nacht der Nächte. Nein, eigentlich waren es gleich vier Nächte, in denen er der jahrhundertealten Kirchenmusik von Johann Sebastian Bach, Edward Elgar und anderen Komponisten mit der neuen Orgel und der hypermodernen Aufnahmetechnik von Dolby Atmos beikam.
Der Spieltisch
„Hier ist mein Spieltisch“, umkreist sein Arm die fünf Manuale des zentralen Instruments im Wiener Stephansdom. „Und dort oben, etwa 60 Meter entfernt, stehen die Orgelpfeifen“, spricht er die Ausnahmesituation an, die sich für einen Kirchenorganisten an diesem Ort darstellt.
Die Klangwelle wogt
Wenn der Domorganist die berühmten Anfangsakkorde von Bachs „Toccata und Fuge in d-Moll“ anschlägt, wogen die Klangwellen mit einer kleinen Verzögerung durch das riesige Kirchenschiff.
„Hunderttausend Kubikmeter Luft sind das“, veranschaulicht Konstantin Reymaier die Dimensionen, mit denen er es hier zu tun hat. Dem lässt sich nur beikommen, wenn man als Musiker nicht nur mit den Ohren hört, „sondern auch mit den Fingern“.
Wie soll das denn gehen? Na, mit viel Gefühl natürlich.
Und mit viel Schwung. Man braucht nur dem Organisten bei der Arbeit über die Schultern zu schauen, dann spürt man, wie anders das Spiel mit einer so gewaltigen Orgel ist, als mit einem Klavier. Und wie viel Energie, Einfühlung und Aufwand es erfordert.
5 Manuale, Dutzende Tasten
Nicht nur die fünf Manuale und die Dutzenden Tasten auf beiden Seiten verlangen volle Aufmerksamkeit, auch die vielen Pedale am Boden machen klar, dass besondere, beinahe schon artistische Präzisionsarbeit gefragt ist. „Wir spielen mit Händen und Füßen“, so der Musiker und Komponist, der zugleich auch das Priesteramt inne hat.
Hier aber, im geistlichen wie auch geografischen Zentrum Wiens muss sich Konstantin Reymaier mit einer höheren Gewalt der anderen Art herumschlagen – mit der Physik.
Der Strom breitet sich mit Lichtgeschwindigkeit aus, der Ton aber setzt sich wesentlich langsamer fort“, erklärt der Mann, für den - wie für Künstler - Schwarz zur Berufsbekleidung zählt.
Spielt er solo, ist diese Differenz leicht auszutricksen. Eine gewisse Herausforderung hingegen sei ein Konzert mit Chor, wie es vergangenen Sonntag auf dem Programm stand: die feierliche Einweihung der neuen Riesenorgel.
„Star Wars“ auf der Domorgel
„Eigentlich war dieses Ereignis für Ostern geplant“, sagt Reymaier, „aber dann kam die Pandemie dazwischen.“ Eine Zeit der Stille, die der Domorganist perfekt nutzte, um mit der „Deutschen Grammophon“ einen renommierten Musikverleger davon zu überzeugen, dass es wieder Zeit für eine richtig gute Orgel-CD sei.
Auf dem nun in aller Welt erhältlichen Doppel-Album „Konstantin Reymaier. The New Organ at St. Stephen’s Cathedral, Vienna“ finden sich Werke von einschlägig bekannten Orgelkomponisten wie Johann Sebastian Bach und Sigfrid Karg-Elert neben dem Hauptthema des Science-Fiction-Epos „Star Wars“. Sogar die Scherzo-artige „Parade der Ewoks“ hat sich hier niedergeschlagen.
Ein kluger Schachzug, um auf diese Weise neue Kreise in die Kirche zu locken? „Wenn Orgelmusik und Orgelkonzerte den Stephansdom für eine neue Hörerschaft attraktiv machen, hat die Kirche sicher nichts dagegen“, antwortet der Mann, der hier alle Register zieht, salomonisch.
Mehr als Musik
Die Aufnahmen dafür gingen jedenfalls fast Rockstar-mäßig über die Bühne: während der Nachtstunden von 23 Uhr bis drei, vier Uhr in der Früh. Zu den acht im Raum verstreuten Mikrofonen wurden zehn weitere platziert. Auf Tontechniker Martin Macheiner wartete dann eine hochgradig herausfordernde Aufgabe: „Ich musste ständig darauf gefasst sein, dass Nachteulen beim Stephansplatz vorbeischwärmen und vielleicht ans Tor klopfen.“ Aber, Gott sei Dank, alles lief perfekt.
Eine Orgel ist nicht nur ein Musikinstrument, sie ist auch ein Baukunstwerk. Wer also demnächst beim Stephansdom vorbeikommt, sollte unbedingt reinschauen und dieses Wunderwerk betrachten: den Spieltisch in der Mitte des Kirchenschiffs und die vielen glänzenden Orgelpfeifen im Hintergrund auf der Empore.
Sicher taucht dann auch die Frage auf, wer wohl Erfinder dieses Wunderwerks sei. Ein musisch versierter Abgesandter des Papstes? Oder ein Komponist von Kirchenliedern, der höher hinauswollte?
Die Antwort ist überraschend erdig: Es war mit Ktesibios aus Alexandria (3. Jhdt. v. Chr.) kein Kirchenmann, sondern ein Ingenieur, der sich einen Namen auch als Erfinder von Wasserspielen und Feuerwehrspritzen gemacht hat.
Direkt stimmig, ruft man sich in Erinnerung, dass die alte Orgel beim großen Brand des Stephansdoms im Jahr 1945 ein Raub der Flammen geworden war.
Wer hier auf den Geschmack kommt, kann sich auch folgende Termine vormerken: Am 16., 18., 23. sowie 26. Oktober werden auf der neuen Riesenorgel namhafte Musiker wie Thomas Trotter (London), Wolfgang Kreuzhuber (Linz), Daniel Beckmann (Mainz) sowie Jean-Baptiste Dupont (Bordeaux) konzertieren.
Und überhaupt gilt: Ausschau halten nach der phänomenalen, im Herzen Wiens eingespielten Orgel-CD.
Konstantin Reymaier, „The New Organ at St. Stephen’s Cathedral“ (Dt. Grammophon), CD + Blu-ray Disc in Dolby Atmos, erhältlich im gut sortierten Buch- und Musikhandel
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