Willkommen auf dem Ball der Bälle, in der Nacht der Nächte. Ganze zwei Schließtage sind eingeplant, bevor morgen der Wiener Opernball 2020 über die Bühne gehen kann, der insgesamt 64. nach dem Zweiten Weltkrieg. Ein Ausnahmezustand für den bedeutendsten Kulturtempel von Österreich.
Langwierige, mehr als 30 Stunden andauernde Umbauten sind notwendig, um diese Show zelebrieren zu können. Für die erwarteten 5.150 Ballgäste, vom Bundespräsidenten und politischer wie wirtschaftlicher Prominenz abwärts, werden 171 Blumenarrangements und 480 Blumengestecke verteilt – im Ballsaal, den Logen sowie auf dem Tanzparkett.
Logistisch auch dies eine Meisterleistung: Für die Anlieferung von Deko-Elementen, Gläsern, Bestecken und Diversem – unter anderem 1.000 Sektkühler! – sind 80 Tiefladertransporte eingeplant. Damit auch rechtzeitig alles am richtigen Ort steht, sorgen 500 Fach- und Hilfskräfte.
Hier wird Geschichte getanzt
Aber was bedeuten schon Zahlen, wenn hier Geschichte geschrieben wird.
Erstmals singen auf dem Opernball neben professionellen Musikern auch Amateure, nämlich die 144 Paare des Jungdamen- und Jungherren-Komitees. Ein großer Schritt für diesen kleinen, aber fixen Bestandteil des Opernballs – der Auftritt der Debütantenpaare –, selbst wenn sich die große Schar der Novizen auch nur mit einem klitzekleinen Wort artikuliert – „la“. Hier aber bitte in der extralangen Version. Also: „lalalalalaaaa ...“
(Kleiner audiovisueller Exkurs zur Bauern-Polka unter Lorin Maazel)
...und Wechselschritt
Etwa 100 adrett gekleidete Paare haben schon Aufstellung im Gustav-Mahler-Saal in einer oberen Etage der Wiener Staatsoper genommen. Es ist Sonntagnachmittag, die zweite, insgesamt drei Stunden lange Probe der Debütanten aus Wien, Niederösterreich und dem Burgenland steht auf dem Programm. Die Gäste aus dem Ausland sind erst bei der dritten Probe an der Reihe.
„Achtung! Eins und zwo und drei und vier, fünf, sechs, sieben, acht“, gibt Tanzlehrerin Maria Santner von einem Podest aus lautstark das Tempo zur Bauern-Polka von Johann Strauß (Sohn) vor. „Wechselschritt und Wechselschritt“, stimmt ihr Bruder Christoph Santner alsbald in den Chor ein. Es kommt Bewegung in die Menge. Absätze klackern, Röcke rauschen, nicht immer im Gleichklang, immerhin ist das hier eine Probe und noch nicht die Show des Abends.
Was als Erstes auffällt: Die zwischen 17 und höchstens 24 Jahre zählenden jungen Damen und Herren üben jetzt schon die dritte Stunde die nicht einfache Choreografie, proben Übergänge und wagen sich sogar an die riskante Hebefigur – und sie alle sind guter Laune!
Millionen Zuseher
"Unsere Tanzlehrerin ist so ansteckend positiv“, wird Debütant Peter nach der Probe loben. Stimmt, und wie! Mit ihrer unkomplizierten und supersympathischen Art nehmen die aus Wels stammenden Santners dem Opernball überhaupt den Nimbus der steifen, streng festlichen Veranstaltung. Nicht zu vergessen, der Schmäh, der hier läuft. Etwa so. „Langer Rücken, langer Hals, Schultern gerade, Kopf nach oben, Beine schließen“, schmettert Maria Santner ins Mikrofon.
Und Bruder Christoph sekundiert: „Aufhören zu atmen.“
Im Vorjahr haben die ehemaligen Staatsmeister in den Standardtänzen und Wiener Walzer-Weltmeister erstmals die Eröffnungschoreografie des bekanntesten Ballereignisses des Jahres gestaltet. Damals war die Hebefigur die Neuerung. Nun eben das Mitsingen.
Maria Santner ahnt schon, dass diese Neuerung ihre Tücke haben kann. „Wer sich nicht sicher ist, bitte nicht mitsingen“, lässt die Tanzlehrerin unmissverständlich fallen. Kein Problem für Antonia und Gregor aus Hietzing. Erstens wurde Antonia das Singen als Tochter von Tenor und Staatsopern-Ensemblemitglied Benedikt Kobel quasi in die Wiege gelegt. Zweitens bemüht sich auch ihr gleichfalls 17-jähriger Tanzpartner, dass sie bei dieser Premiere nicht patzen.
Mehr als drei Millionen Menschen werden via TV zuschauen, macht euch das nervös? Kurz nach der Probe meint Gregor routiniert: „Der Adrenalinspiegel lag schon beim Vortanzen über 100 Prozent.“
Halleluja, perfekt!
Bevor die Debütanten zur Probe antanzen durften, mussten sie schon eine Hürde überstehen: das Vortanzen. Lauren: „Eine ganz neue Erfahrung für mich. Das hat mir sehr gut gefallen.“
Vermutlich, weil auch sie unter den Augen der Opernball-Organisatorin Maria Großbauer grünes Licht für einen denkwürdigen Auftritt bekam. Schön, dass der frische Wind, den die Nachfolgerin von Desirée Treichl-Stürgkh dem Opernball angedeihen ließ, in jeder Ecke des großen Probesaals zu spüren ist.
„Achtung, ein Durchlauf noch!“, fordert Christoph Santner unsere Aufmerksamkeit. „Megawichtig!“, bläut er den Debütanten ein: „Wechselschritt funktioniert nicht nur seitlich! Linkes Bein, rechtes Bein, linkes Bein, schließen, schließen.“ Weil (fast) alle Paare eine gute Figur machen, gibt es ein ehrlich gemeintes „Wow! Halleluja, perfekt!“ als Kompliment.
„Die haben einen richtig guten Draht zu den Jungen“, lobt Eva Bucek von der Wiener Staatsoper die Tanzschule.
Zum Abschluss aber redet Santner ihnen wieder ins Gewissen. „Wenn wir uns wiedersehen, muss jeder wissen, was ein Wechselschritt ist. Das ist ganz wichtig. Denn ohne dem können wir keine Polka tanzen.“ In diesem Fall eine ganz besondere Polka. Von dieser gibt es sogar Einspielungen durch Carlos Kleiber, Nikolaus Harnoncourt und Lorin Maazel.
Dresscode gefragt
Bei den Proben geht es eher locker zu, auch was die Garderobe betrifft. Dunkler Anzug mit weißem Hemd sowie Krawatte für ihn und dunkler Rock mit weißer Bluse für sie sind ausreichend. In der Ballnacht schaut das ganz anders aus. Da ist ein strenger Dresscode gefragt. Herren: schwarzer Frack und weiße Weste, Damen: weißes Ballkleid, weiße Handschuhe bis zum Ellenbogen und natürlich das Krönchen.
Dieser Style prägt seit jeher den Stil der Eröffnungszeremonie. Eine Tradition, an der auch die Debütanten nicht rütteln würden. „Das macht doch den Glanz des Opernballs aus“, meinen sie unisono. Und Peter weiß: „Das ist der einzige Ball, zu dem man ausschließlich im Frack Zutritt hat. Das ist ein Markenzeichen, das man unbedingt beibehalten sollte."
Daran wird sich auch jenes Paar halten, das erst diesen Samstag zu den Proben stoßen wird. Auftritt Sophie Grau und Iris Klopfer. Die Medizinstudentin und die angehende Musikstudentin aus Baden-Württemberg sind die ersten Frauen, die den Opernball als gleichgeschlechtliches Paar eröffnen.
Mit Frack und Ballkleid
Dabei klingt es fast nach Ironie, dass ausgerechnet eine Frau Grau dafür sorgt, dass die traditionelle Veranstaltung eine Spur bunter wird. Sophie, eine Sängerin, wird jedenfalls Frack tragen, ihre Schulfreundin Iris ein weißes Ballkleid.
„Der Dresscode hat auch einen Sinn, um das schwarz-weiße Bild auf der Bühne zu wahren. Das verstehen wir“, ließ Sophie Grau das deutsche Magazin Gentlemen's Quarterly wissen. Sie jedenfalls werde bei dem Ball einfach „ihre männliche Seite ausleben“.
Auch wer von beiden führt, war ein Thema. Die Entscheidung fiel ziemlich salomonisch. Bei den im Fernsehen übertragenen Tänzen führt Frack-Trägerin Sophie. Den Rest des Abends möchten sich die Freundinnen, die kein Liebespaar sind, abwechseln. „Wir sind beide führfähig.“
Und was gibt’s nach der Mitternachtsquadrille? Sacherwürstel beim Bitzinger hinter der Oper? Möglich. Lauren weiß vorher noch einen anderen Fixpunkt: „Der Flash Mob in der Opern-Disco.“
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