Alltagspoet Andreas Rainer: "Wiener Schmäh ist eine Gratwanderung"

Andreas Rainer hört der Stadt zu: "Ich persönlich mag das Unfreundlichsein nicht, aber humoristisch eignet es sich gut".
Andreas Rainer ist der Kopf hinter dem Social-Media-Projekt "Wiener Alltagspoeten".

Na, wie hats Ihnen geschmeckt? – Danke, es woar grauslich.

Wer je mit offenen Ohren durch die Hauptstadt spaziert ist, weiß, dass solche Dialoge mehr sind als ein Klischee. Vor drei Jahren begann der freie Journalist Andreas Rainer, seine Beobachtungen aus dem Wiener Alltagsleben – darunter eingangs erwähntes Zitat – aufzuschreiben und in den sozialen Medien zu posten. Heute bringt sein Projekt (www.wieneralltagspoeten.at) mehr als 90.000 Instagram- und 60.000 Facebook-Fans zum Lachen und Nachdenken.

Ein Gespräch über grantige Wiener, humoristische Schmerzgrenzen und Schmäh in Krisenzeiten.

KURIER: Können Sie in der Stadt überhaupt noch irgendwo entspannt sitzen, ohne hinzuhören?

Andreas Rainer: (lacht) Mittlerweile ist es so, dass ich pro Tag zehn bis 15 Einsendungen bekomme. Ohne sie würde das Projekt nicht funktionieren, ich kann ja nicht den ganzen Tag U-Bahn fahren. (lacht) Die Alltagspoeten sind die Stimme der Stadt, nicht meine Stimme.

Nach über 500 Beiträgen: Was macht den Wiener Schmäh Ihrer Meinung nach so einzigartig?

Der Wiener richtet die Waffe Humor gerne gegen sich selbst und lacht über die Eigenheiten des Wienerischen. Das erste Vorurteil, das alle Menschen über die Wiener haben: Sie sind unfreundlich. Das wird in vielen Postings thematisiert, die Leute finden das unglaublich lustig. Auch Alkoholismus ist ein Klassiker. Der Wiener ist stolz darauf, wenn er besoffen ist.

Wo ziehen Sie die Grenze, wann wird’s zu schwarz?

Wiener Schmäh ist immer eine Gratwanderung: Wenn du falsch abbiegst, wird’s schnell tiaf oder beleidigend. In meinen Postings soll sich niemand angegriffen fühlen.

Stimmt das Grantig-Klischee?

Ich habe drei Jahre in Amerika gelebt – da glaubst du, du bist am Mars gelandet. Es gibt wirklich kaum eine Stadt, die unfreundlicher ist als Wien. Jeder Wiener sollte ein halbes Jahr im Ausland leben, damit er Wien in Perspektive setzen kann. Dass wir ständig am Sudern sind, obwohl der Lebensstandard so hoch ist wie nirgendwo sonst, ist paradox. Ich persönlich mag das Unfreundlichsein nicht, aber humoristisch eignet es sich gut. Ein Evergreen auf der Seite ist: Jetzt hams Wien scho wieder zur besten Stadt der Welt gewählt. – Najo ... Anderswo ist es halt noch gschissener. Das zeigt sehr gut, wie unbeeindruckt die Wiener von der Schönheit ihrer Stadt sind.

Nicht alles ist lustig: Auch Fremdenfeindlichkeit ist ein wiederkehrendes Motiv in den Postings.

Ich finde es wichtig, auch diese Seite der Stadt zu zeigen. Ich kann das überhaupt nicht nachvollziehen: Wien ist und war immer eine Einwandererstadt. Es sind die verschiedenen Subkulturen, die Wien so leiwand machen. Meine Albtraumvorstellung ist ein Wien nur mit Wienern – das wäre die langweiligste Stadt der Welt, ähnlich wie München oder Zürich. Die Lebensqualität ist dort auch hoch, aber die Stadt sehr fad. Ich glaube auch, dass dort so ein Projekt nicht funktionieren würde.
 

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