Küss die Hand! TV-Legende Harald Schmidt im Interview

Küss die Hand! TV-Legende Harald Schmidt im Interview
Fußball, Moral, Österreich, Frauenrechte und David Bowies Badehose: High Noon mit Dirty Harry.

freizeit: Lieber Herr Schmidt, willkommen in Österreich. Kommen Sie gern zu uns?
Harald Schmidt: Sehr gern. Meine Mutter kommt ja aus der Gegend von Brünn, die spricht heute noch besser Wienerisch als Schwäbisch. Und ich bin ein sehr großer Österreich-Fan. K.u.k-Flair, wie Behmen noch bei Estreich war … und so. Ich habe in meinem Österreich diese Epoche nie verlassen. Die Gegenwart? Da freu ich mich für euch, dass es im Fußball mal läuft, aber sonst – nein, mein Österreich ist so ein Fantasieland, eine Mischung aus Peter Alexander, Oskar Sima, Joseph Roth und Gunther Phillipp. Küss die Hand ... Na, des Fräulein is aber groß geworden ...

Das finden Sie tatsächlich noch?
Ja natürlich! Vielleicht jage ich auch ein wenig den Klischees hinterher – wenn ich nach Frankreich fahre, sehe ich auch Michel Piccoli und Romy Schneider in ’nem alten DS durch die Landschaft fahren. Und natürlich sagen mir die Leute, das ist längst nicht mehr so, aber für mich ist das nicht von Bedeutung, denn ICH seh das überall. Und Bad Vöslau, wo ich immer gerne im "Schwimmenden Salon" auftrete, wenn ich gefragt werde: Das Bad, die Sommerfrische – einfach ganz toll, das hat mir schon unglaublich gut gefallen.

Weil Sie eben Fußball angesprochen haben. Sie sind ja Fan – wie sehr haben Sie wegen Deutschland bei der WM gelitten?
Gar nicht. Mich hat das sogenannte Drama mit Deutschland nicht berührt. Mich interessieren Nationalmannschaften generell nicht besonders. Ich will Spitzenfußball von mit Bedacht und richtig viel Kohle zusammengestellten Söldnertruppen der Extraklasse. Was muss mich ein deutscher Spieler interessieren, wenn ich Cristiano Ronaldo sehen kann, wie er beim Kopfball quasi in der Luft stehen bleibt. Wie ein Hazard zaubert und Messi sich den Ball nach einem 40-Meter-Pass locker mit dem Oberschenkel mitnimmt? Da bin ich doch lieber Feinschmecker.

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Wo spielen Ihre Lieblingssöldner?
Real Madrid, ganz klar. Ich mag Milliardäre, die da sind, wenn's drauf ankommt. Bei Barca gehen mir die Themen „Katalonien“, „Nationalismus“ und diese „Wir sind mehr als ein Club“-Mentalität auf den Keks. Wenn Fußball religiöse Züge annimmt, werde ich unruhig. Nein, Real mit „il Presidente“ und Millionenschulden, das ist genau mein Ding. Außerdem finde ich es auch fantastisch, dass Ronaldo nicht tätowiert ist. Ist ja glaub ich der einzige. Ich spreche auch mit meinen Kindern, die sind jetzt zwischen 13 und 25, ganz vernünftig über dieses heikle Thema. So ganz bewusst und aufgeklärt. Bitte sagt’s mir, wenn ihr so was vorhabt, ich bin auch bereit euch Geld zu geben, wenn ihr es nicht macht! Nein ehrlich, tätowiert zu sein ist heute doch richtig uncool, so ein Zeichen des Spießers, des Biedermanns.

Sie sind nicht nur Fußball-Fan, sondern auch ausgebildeter Musiker, stimmt das?
Ja, ich hab ’nen Organisten C-Abschluss.

Ist das wie beim Führerschein, also die größere Orgel?
Nein, gar nicht. A wäre der Akademiker, C ist irgendwie der superengagierte Laie.

Aber es ist ein Abschluss?
Ja ja, so mit Musikdiktat und Harmonielehre, und man muss auch eine praktische Prüfung machen. Und ich musste dann auch zehn Jahre Orgelspielen im Gottesdienst als Gegenleistung dafür, dass ich die Ausbildung machen durfte. Und so hab ich zwischen 13 und 23 jeden Sonntag zwei Messen gespielt.

Ihre künstlerische Bandbreite ist sehr groß. Das ist wohl kaum einem Ihrer Fans, die sie hauptsächlich von den TV-Shows kennen, bewusst, oder?
Das stimmt sicher, aber das kommt einfach daher, dass ich nicht zielgerichtet gestartet bin. Musik, Schauspiel, das eine, das andere – und dann  ist eben irgendwann Late Night draus geworden ...

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Auch als Schauspieler sind die von Ihnen gewählten Rollen sehr breit gestreut – von „ Warten auf Godot“ bis zum „Traumschiff“. Steckt da eine subversive Absicht dahinter?
Nein. Das wurde einfach alles so an mich rangetragen. Nur beim Traumschiff, da hab ich direkt zu Wolfgang Rademann (Anm.: der vor zwei Jahren verstorbene Produzent der Serie), den ich bei einer Peter-Alexander-Gala kennengelernt hatte, gesagt, ich möcht unbedingt mal aufs Traumschiff kommen ...

Da sind Sie der „Gentleman Host“ (Anm.: von der Reederei engagierte Herren, die für ein Gratis-Ticket mit alleinstehenden Damen Tanzen bzw. ihnen bei den Dinners Gesellschaft leisten und Landausflüge machen).
War ich, jetzt bin ich der Kreuzfahrt-Direktor.

Tolle Karriere.
Ja, find ich auch. Ich hab halt ein paar Kurse gemacht, hab mich weitergebildet ... (lacht) Das ist dann schon toll, das zahlt sich aus, weil der Host ja nur dasitzt und sich von reichen Witwen deren langweiliges Leben erzählen lassen muss, während der Direktor unglaubliche Shows organisiert und Lesungen und Tanz und so alles.

Und beim Traumschiff mitzuspielen ist für Sie dann tatsächlich befriedigend?
Auf jeden Fall! Schon allein, weil ich direkt neben dem Drehort wohne. In meiner Suite. Auf dem Schiff. Da sitz ich dann rum im weißen Anzug, und irgendwann kommt einer und sagt „Harald, wir brauchen dich jetzt“, und keine Minute weit weg wird dann schon gedreht. Wenn du so ein Sozialdrama filmst, da sitzt du im ungeheizten Wohnwagen und wirst dann noch eine Stunde in den Steinbruch gekarrt...

Und außerdem ist man sonst auch bei teuren Produktionen meistens nicht auf einem Schiff in der Karibik, sondern irgendwo in einer Studiohalle in der Einöde auf einem Schiffsmodell.
Bringen Sie das ZDF bitte nicht auf diese unschöne Idee! Aber die wissen ja hoffentlich, dass das Traumschiff allein vom künstlerischen Standpunkt aus nur auf dem Meer funktioniert. Wir MÜSSEN von Australien nach Tahiti fahren, um den Plot voranzubringen ... Manchmal ist das Leben halt schwer. (lacht)

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Sie haben einmal gesagt, „Ich habe im Theater meine Grenzen kennen gelernt.“ Das war nach ihren Late-Night-Erfolgen, oder?
Ja  – als ich dachte, ich müsse nochmal Theaterspielen.

Aber das tun Sie ja noch immer.
Schon, aber ich spiel nur mehr Sachen, die nah an einem Late-Night-Moderator dran sind. Ich versuch mich nicht an den großen Rollen, die sind für echte Könner wie Gert Voss einer war …

Das sind also die Grenzen, die Sie erkannt haben. War das schmerzhaft für Sie?
Ja, aber nur kurz. Ich hab dann schon schnell kapiert, dass das Publikum in mir immer den Fernsehmoderator sieht und eigentlich nur drauf wartet, dass ich endlich einen Witz mache ...

Ist das nicht wahnsinnig frustrierend?
Wenn man den Tatsachen nicht ins Auge blickt, schon. Klar. Andererseits kann man doch nicht täglich als Late-Night-Moderator Erfolg haben wollen und dann sagen, jetzt nehmt mich aber auch noch als Hamlet ernst! Das ist wie mit Wussow als Dr. Brinkmann, Tappert als Derrick oder Götz George als Schimanski – wenn Sie mit einer Rolle erst einmal verbunden sind, sieht Sie das Publikum NIE mehr als was Anderes. Götz George hat sich Nasen angeklebt, Buckel draufgeschnallt, die Haare rasiert, zu- und abgenommen – und trotzdem sagte jeder, schau der Schimi! Oder Pierre Briece als Winnetou. Jeder wartete immer auf ein „How, mein weißer Bruder.“ Und: Es ist ja andererseits gar nicht so schlecht, mit nur einer Rolle einen derartigen Erfolg zu haben. Beschweren darf man sich da eigentlich nicht.

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Die Late-Night-Show war demnach ihre „Rolle“.
Ja, voll und ganz. Und gern.

Sie haben da auch für legendäre Highlights gesorgt. Eine komplette Sendung auf Französisch, Schweigen mit Helge Schneider, die großen Erzählungen der Weltgeschichte mit Playmobil nachgespielt …
Stimmt, damals ging schon einiges. Wir hatten einmal auch einen schwarzen Bildschirm… (lacht)

Und Sie waren immer bekannt dafür, sich über alles ungeniert lustig zu machen.
Ja.

Darf man das heute in Zeiten von #metoo und sämtlichen globalen Krisen überhaupt noch?
Nein. Das geht heute nicht mehr. Ich kriegte damals halt eine schlecht Presse. Gut. Kann man mit leben. Aber heutzutage werden Sie in Echtzeit im Internet an den Pranger gestellt. Und dagegen können Sie sich nicht einmal wehren.

Verstehe ich das richtig: Das heißt, man darf es nicht mehr aufgrund der Konsequenzen, nicht aufgrund der Moral?
Stimmt. Die moralische Grenze war für mich ausschließlich das Grundgesetz. Befindlichkeiten interessieren mich nicht so sehr.

Bei Ihrer Auseinandersetzung mit dem TV-Moderator Johannes B. Kerner haben Sie allerdings starke moralische Grundsätze gezeigt.
Das fand ich einfach nicht in Ordnung von ihm, am Tag des Schulmassakers dort hinzufliegen und dann dort ’ne Talkshow zu machen. Moral? Das ist keine Kategorie für mich, ich fand das einfach extrem unappetitlich.

Also #meetoo ist keine Grenze?
Nein, man muss es nur so formulieren, dass jene, die sich darüber aufregen könnten, nicht verstehen, was Sie eigentlich gesagt haben. Man muss ein bisschen listig sein.

Das findet man heute sehr selten.
Das gab's früher auch selten.

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Warum steckt die deutschsprachige Late-Night-Show seit Jahren konstant in der Krise?
Weil ich aufgehört habe und es aber als einziger kann. Das muss man auch in aller Demut so sagen. Wer's nicht glaubt, kann sich ja mal die aktuellen Shows so angucken. Ich weiß nicht, das sind alles wunderbare Kollegen, die ich sehr schätze, aber ... Das Internet ist natürlich auch ein Problem, also das Tempo. Ich mag das Internet nicht, aber ich schau trotzdem rein. Und sehe zu jedem Ereignis teils wirklich gelungene Beiträge im Netz. Da würde ich mich heute selber langweilen, wenn ich abends rausgehen würde, um darüber ein paar Witzchen zu machen. Alles schon gesehen, alles schon durchgekaut!

Es kommt aber auch auf die Qualität an, mit der ich diese News präsentiere.
Natürlich. Aber da ist noch was Anderes: Nehmen Sie Letterman. Der war für mich der Inbegriff des Late-Show-Hosts. Alleine wie er seine Lustlosigkeit oft monatelang hat raushängen lassen. Die besten Shows waren immer, wenn er praktisch gar kein Material hatte. Endloses Klopfen mit dem Kugelschreiber oder einer Textkarte auf den Schreibtisch. Das penible, selbstvergessene Zurechtrücken des Telefons. Zigarrenrauchen in der Werbepause. Da hab ich jeden Abend drauf gewartet! Einen Riesen-Gag oder eine tolle Nummer zu haben, ja, das ist schon schön – aber der Late-Night-Fan möchte das Gefühl haben, er ist der Fernsehfreund des Moderators.

Es ist also eine zutiefst persönliche Angelegenheit?
Ja, total. Und deshalb funktioniert's bei den meisten auch nicht, weil die meisten SPIELEN als wäre es eine persönliche Angelegenheit. Du musst aber tatsächlich mit der Einstellung hingehen: Ich mache, was ich will – wenn's euch nicht passt, dann schmeißt mich eben raus. Entweder der Zuschauer mag es oder er mag es nicht. Dazwischen gibt's nichts. Und der Fan will genau DAS sehen: Die Befindlichkeit des Moderators. Die anderen, die ihn nicht mögen, halten den Moderator dagegen für komplett abgedreht und arrogant. So viele Kollegen sagen immer wieder: In meiner Show geht's nicht um mich, sondern um meine Gäste. Aber das ist Blödsinn, wenn’s um Late-Night geht. Johnny Carson hat schon gesagt: „This is a show about the guy behind the desk.“ In meiner Show ging es NUR um mich. Das ist das Wesen des Genres. Wenn einen das als Zuschauer nicht interessiert, bleibt man weg. Das war ja dann bei mir in den letzten Jahren auch so – hat mich aber nicht weiter gestört. Mein Team hat ein bisschen gezittert, wenn ich wieder rausging und in die leeren Sitze hineingesprochen habe. Den Kameras wurde auch verboten zu schwenken, damit man die leeren Plätze nicht sieht. Aber für mich hat das nichts geändert. Es ging ohnehin um mich – und ich hab die Show dann eben für die Kameraleute gemacht.

Der auffallendste Unterschied zwischen Ihnen und Letterman war wahrscheinlich, dass musikalische Gäste bei Ihnen eher selten waren.
Ich tu's sehr ungern, aber da muss ich Sie korrigieren. Ich hatte die Crème de la Crème  in allen Bereichen. Ich hatte Anne Sophie Mutter, ich hatte Hélène Grimaud, den Soloflötisten der Berliner Philharmoniker, ich hatte Prince, David Bowie ...

Prince?
Ja, der war sogar mit zwei Songs da. Es war nur einer angekündigt, aber er fand die Probenatmosphäre so geil, dass er schließlich gesagt hat: „Two songs.“ Dafür hat er sonst nicht mit mir gesprochen. Wofür ich sehr dankbar war, weil – was hätte ich ihn denn fragen sollen? How are you, Mr. Prince? Aber ich wusste sowieso bei kaum einem Gast, was ich ihn fragen sollte. Nur fiel’s bei den meisten nicht weiter auf. Ich war ja generell dankbar für jeden, der sagte, er möchte nicht mit mir sprechen. Unser Traumgast war so ne typische  Soapdarstellerin in einem hübschen Kleidchen. Den Fummel mit dem sie daherkamen mussten wir ihnen allerdings oft ausreden, weil die tauchten doch glatt im bodenlangen Selbstgestrickten auf ... Das ginge ja heute in #meetoo-Zeiten auch nicht mehr. Das ist schon sehr viel ungemütlicher geworden.

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Weil sie Bowie erwähnt haben: Stimmt es, dass Sie einmal David Bowies Badehose angehabt haben?
Ja, das hat André Heller zumindest behauptet. Gert Voss und ich waren im Haus von Heller am Gardasee. Für ein großes Interview. Und André Heller sagte: Wollt ihr nicht schwimmen gehen? Aber ich hatte keine Badehose, da gab er mir eine rote und sagte: Die hatte Bowie auch schon an. Aber erst als ich sie schon anhatte. Was Heller nicht wusste: Meine hygienischen Bedenken haben die Begeisterung des Fans in mir doch einigermaßen überwogen. Ich hab dann auch nicht gefragt: Wer noch aller? Stars, Politiker – Bruno Kreisky vielleicht?! Ich weiß ja nicht, wie lange die Hose schon dort war.

Ist es eigentlich die Aufgabe eines Late-Night Hosts, dem Publikum in Hanswurst-Manier einen Spiegel vorzuhalten, auf dass es sich am eigenen Lachen verschluckt?
Das wird im Feuilleton gerne so interpretiert. Ich für meinen Teil hatte einfach Spaß daran. Spiegel hin oder her.

Ihre Bösartigkeit war also ursprünglich? So richtig aus dem Bauch?
Ja, das war meine Sicht auf die Dinge. Da gab's damals auch einen Markt dafür. Heute ist die Ironie in Misskredit geraten, und man hat es gerne ernsthaft.

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Herr Schmidt, ist das lineare Fernsehen, mit dem wir aufgewachsen sind, tot?
Für mich nicht ganz, aber ich habe ja auch das Durchschnittsalter des ZDF-Zuschauers. Und wir machen's ja nicht mehr sooo lange. Ich schau also Tagesschau und Heute Journal, und wenn Claus Kleber auf seine einzigartige Art „Guten Abend“ sagt, dann spreche ich das mit. Und sonst gucke ich nächtelang HBO- oder Netflix-Serien.

Wenn das alle tun, bedeutet das tatsächlich das nahende Ende des Unterhaltungsfernsehens.
So gesehen ja. Ich schau überhaupt keine normalen TV-Serien mehr. Wenn man mal bei den Pay-TV-Serien eingestiegen ist, GEHT das einfach nicht. Das traditionelle Fernsehen, wo der Hund nicht erschossen werden darf, weil Mutti sonst weint – das können Sie einfach nicht mehr anschauen, wenn Sie gesehen haben, wie's wirklich gemacht werden kann.

Wäre dann nicht einer dieser Kanäle eine mögliche Plattform für eine richtig böse Late-Show, wie Sie Ihnen vorschwebt?
Könnte gut sein, ja. Aber mit einem anderen, jungen, bissigen Moderator. Ich bin auf gar keinen Fall nochmal aus meinem Bademantel rauszukriegen. Ich zieh mich höchstens noch einmal im Jahr ordentlich an: für Bad Vöslau.

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