Aufgehender Stern
Chinatown. Mercedes Helnwein liebt diesen Stadtteil von Los Angeles. Auch wenn sie die Straßenschilder vor der Türe ihres Ateliers nicht lesen kann.
Das konnte auch Roman Polanski nicht, als er dort 1974 den gleichnamigen Film mit Jack Nicholson und Faye Dunaway drehte.
„Das Fremde vor meiner Haustüre inspiriert mich für meine Arbeit“, sagt die quirlige 34-Jährige, die ihrem Vater Gottfried Helnwein, 65, so gar nicht ähnlich sieht.
Keine Frage: Das rote, dichte Haar und den weißen Porzellan-Teint hat sie von ihrer Mutter Renate, 61, geerbt, die seit 1977 mit dem exzentrischen österreichischen Maler verheiratet ist. Das Talent hat Mercedes Helnwein allerdings von ihrem Vater in die Wiege gelegt bekommen. So wie ihre Brüder Cyril, 37, Ali, 32, und Amadeus, 27, die ebenfalls künstlerisch tätig sind.
Geboren wurde Mercedes 1979 in Wien: „Ich besitze noch immer nur den österreichischen Pass und habe keine andere Nationalität angenommen, obwohl ich seit 28 Jahren nicht mehr dort lebe“, so Helnwein, die in ihrem braun-karierten Retro-Kleid und mit der Fünfziger-Jahre-Hochsteckfrisur an den Film „Zurück in die Zukunft“ erinnert. Deutsch zu sprechen hätte sie über die Jahre verlernt, „aber ich verstehe sehr viel“. 1985 sei ihren Eltern „die Welt in Wien zu eng geworden“: Die Familie übersiedelte nach Deutschland, um auf Schloss Burgbrohl in der Eifel ein neues Zuhause zu finden. 1997 folgte der Umzug nach Tipperary in Irland – wieder in ein Schloss mit viel Wohn- und Freiraum. Als Kind stand Mercedes ihrem Vater oft für seine bandagierten und malträtierten Kinder Modell. Spangen und chirurgische Instrumente nahm sie dafür in den Mund. Vielleicht zeichnet sie deshalb heute keine Kinder. Erwachsene Frauen und wenige Männer malt sie hingegen mit Leidenschaft.
„Bei uns zu Hause herrschte immer eine extrem künstlerische Atmosphäre. Ich wurde sehr liberal erzogen und habe meinen Vater oft auf Reisen begleitet. Das hat mich sehr geprägt“, sagt sie und zeigt auf die vier Meter hohen Wände ihres Loft-Ateliers, die mit ihren großformatigen Zeichnungen geschmückt sind. „Ich habe, seitdem ich denken kann, immer einen Stift bei mir gehabt und etwas auf Papier gekritzelt.“
Vorerst schrieb Mercedes Helnwein Gedichte und andere Texte: „Gemalt habe ich nur so nebenbei. Ich wollte lieber Schriftstellerin als Malerin werden.“ Als sie 13 Jahre alt war, veröffentlichte die deutsche feministische Zeitschrift Emma ihren Comic „Die Männer schlagen zurück“. Bald merkte Helnwein allerdings, dass ihre Zeichnungen Anklang fanden. Menschen boten ihr Geld dafür an: „Ich bin daraufgekommen, dass es für jeden Künstler irgendwann wichtig ist, dass seine Kunst gesehen wird. Nur für mich alleine in meinem Zimmer zu malen, ist uninteressant.“
Schöne, mysteriöse Gesichter haben die jungen Frauen, die sie mit Bleistift, Farbstift, Tusche und Pastell malt. Aber auch in Aquarell- und Öltechnik arbeitet sie gerne. Fotorealistisch wirken die Portraits, die sie mit Licht und Schatten in Szene setzt. Neben Postkarten, die sie auf Flohmärkten ersteht, dienen lebende Modelle als Inspiration. „Es handelt sich oft um ganz unauffällige Schwarz-Weiß-Fotos, die ich als Vorlage für meine Bilder wähle. Die Szenerie spricht mich aus irgendeinem Grund an.“
Über die Jahre konnte sich Helnwein einen Kostümfundus aufbauen, um ihre Modelle immer wieder neu einzukleiden. Krankenschwestern und Frauen in Uniform zählen zu ihren jüngsten Lieblingsmotiven: „Dazu passend habe ich einen Kurzfilm gedreht, den ich bei Ausstellungen zeige. Ich habe alles, vom Drehbuch über Kamera bis Regie, selbst gemacht. Nur die Musik hat mein Bruder komponiert.“ In ihren Videos verarbeitet Mercedes Helnwein Themen ihrer Zeichnungen: Menschen in absurden und geheimnisvollen Situationen, die in rätselhafter Weise in Beziehung zueinander stehen. Hitchcock hätte seine Freude daran gehabt. Keine Frage: Ihre Bilder tragen eine unverwechselbare Handschrift, die eine geheimnisvolle Stimmung verströmen. Das dürfte auch den britischen Kunstpapst Damien Hirst fasziniert haben, als er im März 2010 alle Arbeiten ihrer Ausstellung „Whistling Past the Graveyard“ in der „A Gallery“ in London aufkaufte: „Das hat mich sehr überrascht. Ich wusste nicht, dass er Kunst sammelt. Ein Freund von ihm hatte die Ausstellung besucht und ihm von meinen Bildern erzählt. Dann kam er selbst vorbei und hat alle gekauft.“ Auch Hollywoodstar Nicholas Cage zählt, neben Kult-Regisseur Wim Wenders, zu den Sammlern ihrer Werke. In internationalen Kunstkreisen wird Helnwein als „Shooting-Star“ und „Someone to watch“ bezeichnet.
Das Schreiben hat Mercedes Helnwein trotz ihres Erfolgs im bildnerischen Bereich nie aufgegeben: 2004 gründete sie gemeinsam mit der amerikanischen Künstlerin Alex Prager den Verlag Devils Porchlight Press. Nach mehreren Erzählungen und Kurzgeschichten erschien 2008 ihr Roman „The Potential Hazards of Hester Day“ bei Simon & Schuster in New York. Soeben wurde das Buch ins Französische übersetzt. Mehr literarische Werke sollen in Zukunft folgen: „Das Schreiben unterscheidet sich vom Malen. Es ist ist ein komplett anderer kreativer Prozess, den ich auf keinen Fall missen möchte.“ An ihre Kindheit in Wien erinnert sich Helnwein gerne zurück: „Es wäre toll, in Wien einmal eine große Ausstellung zu machen. Ich habe sehr schöne Erinnerungen und komme nach wie vor immer wieder zu Besuch. Mein Vater ist der Stadt auch sehr verbunden.“ In Los Angeles lebt Mercedes Helnwein seit 2002. Ihre Familie pendelt zwischen L.A. und Irland. Sie selbst fühle sich in Kalifornien wohler als in Irland. Amerika habe sie künstlerisch sehr inspiriert: „Ich liebe L.A., den Spirit der Stadt. Er lässt mir alle Freiheiten. Und hier gibt es viele Gleichgesinnte, die zu meinen Freunden zählen.“
Mercedes Helnwein wird von der Merry Karnowsky Gallery in Los Angeles (www.mkgallery.com) und Dittrich & Schlechtriem in Berlin (www.dietrich-schlechtriem.com) repräsentiert.
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