Bernhard Aichner über das Schreiben

Bernhard Aichner über das Schreiben
Die Hoffnung lebt: Ein ehemaliger KURIER-Fotograf wird Bestseller-Autor: Bernhard Aichner, 42, steht kurz vor dem Durchbruch. 2015 erscheint sein neuer Roman "Totenfrau" in den USA, England und vielen anderen Ländern. In der erzählt er, wie man Bestseller schreibt und was einen die Arbeit in einem Bestattungsinstitut lehrt.

freizeit: Bernhard, über das Schreiben von Romanen gibt es viele Theorien. Zum Beispiel, dass man sich nicht vornehmen darf, einen Bestseller schreiben zu wollen. Sonst funktioniert es nicht. Was sagt du?

Bernhard Aichner: Der Traum vom Bestseller steckt wohl in jedem Autor. Auch in mir. Deshalb habe ich mir vorher überlegt, etwas ganz anderes zu machen. Normalerweise funktionieren Krimis so: Es passiert etwas und jemand klärt das auf. Ich wollte nicht den 1.000sten Ermittler zum Leben erwecken. Deshalb habe ich in meinem Roman "Totenfrau" alles auf den Kopf gestellt. Der Leser weiß vom ersten Kapitel an, wer die Mörderin ist. Es wird alles aus ihrer Sicht erzählt.

Das scheint den Verlagen gefallen zu haben. Dein Buch hat sich in sieben Ländern, darunter Amerika und England verkauft. Das riecht nach Coup.

Alles, was jetzt passiert, ist wie im Märchen. Es gibt nicht viele deutschsprachige Autoren, die sich nach Amerika verkaufen. Das sind Nele Neuhaus, Frank Schätzing, Sebastian Fitzek und vielleicht noch eine Handvoll andere. Auf der Frankfurter Buchmesse hat es zum ersten Mal "Klick" gemacht. Dort wurde mein Buch international angeboten und mehrere Verlage haben sofort "Juhu" geschrien. Es wird auch in Italien, Frankreich, Norwegen, Holland und Polen erscheinen. Das ist wirklich genial.

Die große Frage ist auch, wo man einen Roman spielen lässt, damit er sich international verkauft. "Totenfrau" spielt vor allem in Innsbruck. Wie soll das in Amerika funktionieren?

Irgendwo musste "Totenfrau" ja spielen, und Innsbruck ist ja klass. Aber ich habe mich auf das Notwendigste beschränkt, weil das mein Stil ist. Und dann habe ich noch ein bissl was für die deutschen und italienischen Freunde eingebaut. Es ist doch ganz nett für die Italiener, wenn auch in Triest einer stirbt. Dem amerikanischen Verlag hat das gefallen. Ich glaube, die lassen das auch so. Ich frage mich nur, wie die das mit dem Namen der Hauptfigur machen.

Brünhilde Blum heißt die. Vielleicht heißt sie in Amerika dann Flower?

Oder Bloom. Im Italienischen könnte sie Del Fiore oder Fiori heißen. Ich bin gespannt, was die Übersetzer daraus machen. Es ist auch schon eine Produktionsfirma an der Verfilmung dran und hat gefragt, wie wichtig es ist, dass die Handlung in Innsbruck verortet ist. Für mich ist es auch okay, wenn die Geschichte in Dänemark spielt.

Und ich dachte, Tiroler wären Patrioten.

Es wäre auch toll! Aber im Grunde ist es mir wurscht, ob aus dem Ötztaler Schnitzer ein Patschenmacher in Island wird.

‚Schreibt! Unbedingt!‘ Zu mir hat man immer gesagt: "Lass den Scheiß." Aber alles, was man wirklich will, funktioniert. Und wenn man vorher aufgibt, wollte man es nicht wirklich.

Wann wird denn das Buch in Amerika erscheinen?

Im Frühjahr 2015. Es wird sehr spannend, wo sich "Totenfrau" gut verkauft und ein Bestseller wird. Alles ist möglich.

Wie viele verkaufte Exemplare sind für einen Bestseller überhaupt nötig?

Das ist unterschiedlich. Im literarischen Bereich sind es 10.000 verkaufte Bücher, bei Krimis 30.000. Alles, was darüber hinausgeht ist märchenhaft. Fakt ist aber, dass Krimis halt einfach am besten gehen.

Woran liegt das?

Weil die Leute ihr Böses bedienen. Das steckt in jedem von uns und das füttern wir mit Krimis. Bei mir darf jeder ungestraft mitmorden. Das ist ganz praktisch.

Wie lange hast du am Roman geschrieben? Immerhin hast du drei Kinder.

Eineinhalb Jahre. Manchmal frage ich mich auch, wie das gegangen ist. Aber meine Frau hat mich total unterstützt und ich habe jede freie Minute zum Schreiben genutzt, egal, zu welcher Tageszeit. Wenn ich mir Kopfhörer aufsetze und Musik höre, bin ich weg.

Was hörst du beim Schreiben?

Ich habe ständig Philipp Poisel gehört. Der macht sehr schöne, rührende Musik. Ich kann mich dabei aufs Schreiben konzentrieren, obwohl er singt. "Wie soll ein Mensch das ertragen" ist so ein Schmachtfetzen von ihm. Den habe ich mir sicher 1.000-mal angehört. Das Lied ist ein bisschen der Ton vom Buch. Ludovico Einaudi kann ich auch empfehlen.

Deine Protagonistin ist Bestatterin. Ich habe gelesen, dass du ein halbes Jahr in einem Bestattungsunternehmen recherchiert hast. Stimmt das?

Ja, ich war immer wieder dort. Der Tod ist ein Tabuthema in unserer Gesellschaft. Ich wusste wenig darüber. Es war eine schöne, demütige Arbeit, es gab aber auch oft schräge Momente.

Welche zum Beispiel?

Als ich zum ersten Mal einer toten Frau die Haare gewaschen habe, dachte ich mir: Was machst du hier eigentlich? Es war harmlos, aber auch irgendwie absurd, dem Tod so nahe zu sein. Man will das Leben dann noch mehr auskosten. Aber letztendlich landen wir alle auf diesem Tisch. Deshalb war es mir auch ein Anliegen, den Toten noch etwas Gutes zu tun. Auch wenn sie es nicht mehr mitbekommen haben.

Wie hast du den Bestatter gefunden?

Über Facebook habe ich die Bestattung Neumair gefunden. Die Chefin dort führt ein offenes und modernes Institut. Dort bekommt man auch Urnen mit Jeansstoff oder man kann einen Sarg selbst bemalen. Schön fand ich auch, dass Leute für Verabschiedungen im offenen Sarg hergerichtet werden. Früher war es normal, dass man Tote zuhause aufgebahrt hat. Dann kam eine Zeit, in der die Devise lautete: ‚Deckel drauf und weg mit den Toten‘. Jetzt geht es wieder dorthin, dass sich Angehörige von den Toten verabschieden können. Und das ist gut so.

War es deine Idee, selbst mitzuarbeiten?

Eigentlich war es eine Bedingung der Bestatterin. Sie meinte: "Nur zuschauen geht nicht." Ich müsste schon auch mithelfen. Ich habe die Toten aus- und angezogen und hübsch für ihre letzte Reise gemacht. Ich habe es schön gefunden, dass man den Mund zu einem Lächeln formen kann.

Hat dich diese Erfahrung verändert?

Immer, wenn ich aus dem Institut rausgegangen bin, war ich froh, zu leben. Man genießt mehr. Meine Angst vor dem Tod ist auch weniger geworden. Das war vor zwei Jahren noch anders. Damals kam ich auf der Tauernautobahn als Erster zu einem Unfall. Ein Auto lag am Dach und ich dachte mir nur: ‚Hoffentlich liegt da niemand im Sterben.‘ Zum Glück war es nicht so, aber ich hatte wirklich Angst. Damals dachte ich mir: ‚Du schreibst Krimis, in denen Leute umgebracht werden, hast aber solche Angst vor dem Tod.‘ Deshalb wollte ich recherchieren und den Tod ein bissl besser kennenlernen. Gut war es, weil mir dort auch die Geschichte von Brünhilde Blum eingefallen ist.

Die Idee hattest du vorher noch nicht?

Ich bin erst während der Arbeit im Institut auf die Idee mit der Protagonistin gekommen, die auch Bestatterin ist. Später kam die Idee, sie zur Mörderin zu machen, weil sie die idealen Möglichkeiten hat, eine Leiche verschwinden zu lassen. Das große Auto für den Opfer-Transport, einen super Platz zum Zerteilen der Toten und Särge für die Entsorgung.

Glaubst du, es gibt den perfekten Mord?

Ja, den gibt es. Ich habe mir etwas ganz Hübsches ausgedacht. Ich kann es dir aber leider noch nicht verraten. Du musst schon bis zum nächsten Buch warten.

Du bist auch Fotograf und hast früher für den KURIER gearbeitet. Heute hast du ein Fotostudio. Könntest du vom Schreiben alleine leben?

Mittlerweile geht das. Es ist wundervoll, das habe ich mir immer gewünscht. Trotzdem möchte ich weiterhin fotografieren, weil man ja nie weiß, was kommt. Es gibt nur wenige, die vom Schreiben wirklich reich werden. Ein Stephen King vielleicht.

Vielleicht ist es ein Omen, dass dein Roman in Amerika bei "Scribner", dem Verlag von Stephen King erscheint.

Vielleicht ist es das. Bitte alle die Daumen drücken!

Würdest du jungen Menschen raten, Autor zu werden?

Unbedingt. Ich gehe oft in Schulklassen und erzähle von meinem Beruf. Da gibt es immer ein oder zwei, die eine Leidenschaft dafür haben. Denen sage ich immer: ‚Schreibt! Unbedingt!‘ Weil zu mir hat man immer gesagt: "Lass den Scheiß." Aber alles, was man wirklich will, funktioniert. Und wenn man vorher aufgibt, wollte man es nicht wirklich. Das Wichtigste ist, sich nicht verunsichern zu lassen. Es gibt immer jemanden, der sagt, Schreiben ist kein Beruf. Bei mir hat es immer geheißen, ich soll Lehrer werden. Da war Fotograf schon nichts G’scheites.

Liest du selbst noch viel?

Ich komme leider selten dazu. Die Kinder, die Liebe, das Schreiben und Fotografieren nehmen mich voll in Anspruch.

Die Liebe?

Ja, die brauche ich für mein Glück. Wenn ich unglücklich wäre, könnte ich nicht mehr schreiben.

Bernhard Aichner über das Schreiben
Info: "Totenfrau" von Bernhard Aichner, erschienen im btb Verlag um € 19, 99. bernhard-aichner.at

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