Auf die Größe kommt es an: Das Erfolgsgeheimnis kleiner Männer

Auf die Größe kommt es an: Das Erfolgsgeheimnis kleiner Männer
Napoleon-Syndrom? Davon spricht man, wenn kleine Männer sich besonders wichtig nehmen. Zum 200. Todestag des kleinen Kaisers geht die "freizeit" der Sache mit Hilfe des Psychologen Peter Vitouch auf den Grund.

Ins Rampenlicht muss man schon wollen, das passiert einem nicht einfach so. Sein eigenes Gesicht auf der Kinoleinwand sehen oder auf den Bildschirmen von Millionen TV-Geräten, überlebensgroße Figuren verkörpern, Helden oder Monster - her damit! Ganz egal wie man es erreicht, Hauptsache die Welt dreht sich zumindest für eine kurze Zeit um das eigene Ego.

Das sind Verlockungen, denen nicht jeder erliegt.

Und obwohl es natürlich auch kleine Politiker gibt, die sich besonders groß vorkommen, oder Musiker, die tatsächlich virtuos über sich hinauswachsen, bleiben wir hier in der Welt des schönen Scheins. Denn kaum wo sind die Muster derart ausgeprägt wie in Hollywood: Quasi seit Beginn des Kinos waren es auffallend viele kleine Schauspieler, die die Welt in ihren Bann zogen. James Cagney, der brutalste Gangster von allen und Alan Ladd, der schweigsame, harte Cowboy – gerade mal 165 cm.

Humphrey Bogart, irgendwo um die 170 cm, die Chronisten sind sich nicht ganz einig. „Bekannt ist, dass er in vielen Szenen mit Lauren Bacall auf einer Kiste stand, damit er größer war als sie“, erzählt Universitätsprofessor Peter Vitouch. Mit Ingrid Bergman in Casablanca war das Problem noch deutlicher, die Schwedin maß stolze 175 cm. Wenn sie neben Bogey auf der Couch saß, bekam sie die Regieanweisung zu „lümmeln“, während man dem Helden ein unauffälliges Kissen unterschob. Für Spaziergänge der beiden hob man extra Gräben aus, in denen Bergman gehen musste.

Sehr viel hat sich daran bis heute nicht geändert, wenn man sich etwa Superstar Tom Cruise ansieht. Obwohl jeder weiß, dass der Schauspieler bei weitem nicht so groß ist wie sein Ego, sieht er doch zumindest gleich groß aus wie seine männlichen Gegenspieler – und natürlich immer größer als die Frauen an seiner Seite. Was Kameramann und Crew hin und wieder vor echte Probleme stellt, wenn er neben Damen wie Cameron Diaz (175 cm) oder gar Nicole Kidman (180 cm) gefilmt werden muss.

„Es heißt ja, dass er auch durchaus Einfluss darauf nimmt, wer gecastet wird. Das macht Sinn, denn wenn man hier schon darauf achtet, dass die anderen Schauspieler nicht zu groß sind, muss nachher weniger getrickst werden“, erklärt Peter Vitouch. „So wird versucht, ihn, also den Star, groß erscheinen zu lassen. Das hat auch etwas mit Macht zu tun.“

Und genau hier passt der kleine Kaiser der Franzosen ins Spiel. Vor knapp 100 Jahren prägte der österreichische Psychologe Alfred Adler den Ausdruck „Napoleon-Komplex“. Damit bezeichnete er den Drang, eine geringe Körpergröße durch sichtbare Erfolge und Statussymbole zu kompensieren. Und wo wäre dies leichter möglich und vor allem lohnender als in der glamourösen Glitzerwelt des Films?

„Dazu muss man allerdings sagen, dass uns zum Napoleon-Komplex bisher noch ausreichend empirische Daten fehlen, da wurde noch nicht viel geforscht“, gibt Wissenschaftler Vitouch zu bedenken. Immerhin wurde vor Kurzem an der Universität in Amsterdam eine Studie durchgeführt, deren Ergebnis war, dass kleinere Männer ein egoistischeres Verhalten an den Tag legen, wenn es um ihre Ressourcen geht. Je größer, desto großzügiger waren die Probanden. Mit 42 Versuchsteilnehmern war das Experiment natürlich keine endgültige Bestätigung des Napoleon-Komplexes, aber sie lässt doch Schlüsse zu und harmoniert erstaunlich gut mit Untersuchungen vom anderen Ende der Skala: Denn die Statistik gibt prinzipiell den großen Männern alle Trümpfe in die Hand. Es gibt Studien, die belegen, dass große Männer besser verdienen und in der Job-Hierarchie weiter oben zu finden sind. Sie gelten als entscheidungsstärker und vertrauenswürdiger, sie leben länger und sind auch noch bei den Frauen beliebter.

„In diesem Zusammenhang muss man auch die individuelle Entwicklung betrachten“, erklärt Peter Vitouch. „Denn man ist ja nicht erst im Erwachsenenalter ein kleiner Mann, sondern davor eben auch schon sein ganzes Leben lang ein relativ kleines Kind, ein Schüler, ein Teenager. Und da ist es naheliegend, dass man Strategien entwickelt, Fähigkeiten, um eben doch herauszuragen. Wenn schon nicht durch Größe, dann durch besonderen Ehrgeiz, Mut, Witz. Vielleicht wird man Sportler – oder der Kasperl, der Klassenclown. Das ist ja praktisch auch schon eine erste Bühne.“

Lug und Trug!

Den "Klassenclown" kann man sich tatsächlich ganz gut vorstellen, wenn man an Danny DeVito denkt, oder aktuell angesagteste Comedians wie Kevin Hart und Jack Black.

Die Überlegung Vitouchs trifft aber auch auf die ganz harten Hollywood-Jungs zu, die viel kleiner sind, als sie in ihren Filmen wirken. Und von denen es erstaunlich viele gibt. Sylvester Stallone etwa kommt gerade einmal auf 169 cm und trägt sogar in seinen Boxerschuhen Absätze, die ihm ein paar zusätzliche Zentimeter verschaffen. Auf die von ihm selbst verkündeten 180 cm konnten ihn aber selbst die nicht hieven, mittlerweile hat er seine offizielle Größe auf 177 cm reduziert, schummelt also nur mehr um 8 cm.

Stallone dürfte also die leidige Größenfrage ähnlich wichtig nehmen wie Tom Cruise, Mark Wahlberg oder auch Arnold Schwarzenegger, der seine Größe offiziell als 188 cm angibt, von Kennern aber eher auf 177 cm geschätzt wird. Al Pacino hingegen geht mit seiner geringen Größe eher locker um, scheint nicht das Gefühl zu haben, ohnmächtig zu wirken, nur weil er klein ist. Zumindest, solange er größer als seine weibliche Partnerin ist. Oder wirkt ...

Ein Spiel um Macht

Kindische Schummelei wegen ein paar Zentimetern mehr oder weniger? Es geht um Macht oder zumindest das Gefühl davon, erinnert uns der Psychologe.

Wie die Stars mit ihren fehlenden Zentimetern umgehen, wie sie ihr gefühltes Defizit kompensieren, könnte also tatsächlich etwas mit dem ominösen Napoleon-Komplex zu tun haben. Die dickere Zigarre, das geilere Auto, die absolute Macht am Set. Die Macht, sich auch die eigene Größe zu „richten“. Das klingt schon ein wenig nach dem, was Alfred Adler definiert hat. Aber dass sie so weit gekommen sind, liegt wohl eher wirklich an den von Peter Vitouch angesprochenen Strategien, die die kleinen Superstars schon als Kinder entwickeln mussten, um „dabei“ zu sein. „Sie mussten ja auch lernen, dass man nicht einfach aufgeben darf, kämpfen muss, weil einem nichts zugeflogen kommt. Dass ihnen weniger zugetraut wird, sie leichter übersehen werden“, führt Experte Vitouch aus. „Und gerade in der Schauspielerei, in der es ja nicht um messbare Qualitäten geht, kommt es doch sehr stark darauf an, wie gut man darin ist, andere zu überzeugen. Auch hier sind diejenigen im Vorteil, die wissen, dass man kämpfen muss – die etwas unbedingt wollen.“

Dass die jüngere Generation von Schauspielern dieses Thema nicht so verkrampft sieht, zeigt ein Interview mit Kit Harington, dem auch nur knapp über 170 cm großen Helden aus „Game of Thrones“. Darin erzählte er selbst, wie erstaunt er darüber war, dass die für eine Schlacht-Szene gecasteten Statisten alle beinahe schon unglaublich klein waren. Bis er dahinterkam, dass es einzig aus dem Grund war, um ihn nicht wie einen „Zwerg“ aussehen zu lassen. Er konnte dabei herzlich über die Szene lachen, was Bogey wohl kaum passiert wäre, hätte man ihn über die Kiste gefragt, auf der er stehen musste, um den Frauen in die Augen schauen zu können...

Auch Josh Hutcherson scherzt gerne mal über für ihn allzu große Waffen in „Die Tribute von Panem“ und hat offensichtlich kein Problem damit, kleiner als seine Partnerin Jennifer Lawrence zu sein.

Und Napoleon? Würde sich im Grab umdrehen, wenn er wüsste, dass dieser Komplex nach ihm benannt ist und eine Verleumdungskampagne der Engländer oder Österreicher dahinter vermuten. Mit etwa 168 cm war er für seine Zeit sogar überdurchschnittlich groß. Klein wirkte er nur, weil er sich im Gegensatz zu unseren heutigen Stars gerne mit wesentlich größeren Männern umgab: den Jungs seiner Garde.

 

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