Johannes Gutmann über Gespür

Johannes Gutmann über Gespür
Der Bauernsohn als Millionär: Johannes Gutmann, 48, aus dem Waldviertel, hat mit Tees und Gewürzen ein Vermögen verdient und aus „Sonnentor“ eine Weltmarke gemacht. Wirtschaftsstudium? Fehlanzeige. Seine Kraft liegt in der Intuition. Ein Gespräch über eine 90 Jahre alte Lederhose, Hütchenspiele und Herrn Gutmanns Gespür für Tee.

freizeit: Herr Gutmann, wenn man zu Ihnen ins Waldviertel fährt, ist da erst mal nichts. Wie schafft man es, in dieser – entschuldigen Sie – Einöde einen Weltkonzern aufzubauen?

Johannes Gutmann: Ich habe mich vor 25 Jahren einfach gefragt, was wichtig ist. Woher komme ich, worauf kommt es wirklich an? Es sind Werte und die eigenen Wurzeln. Danach sehnt sich jeder Mensch. Egal, ob es darum geht, reine Lebensmittel zu bekommen, die Familie zu bewahren oder seinen Arbeitstag sinnvoll zu gestalten. Das ist im Waldviertel nicht anders als bei internationalen Konzernen.

Sie exportieren in 50 Länder. Was ist Ihr Geheimnis?

Ich spüre nach. Auch damals hat es schon Lebensmittelskandale gegeben. Ich wusste, dass das nichts anderes als Vertrauens- und damit Werte-Vernichtung ist. Da wollte ich im Kleinen dagegen halten, Vertrauen aufbauen und die Bauern herzeigen, von denen die Kräuter kommen. Die Bauern konnten sich damals nicht selbst vermarkten und können es auch heute oft nicht. Sie haben die Kraft nicht gesehen, die da ist, wenn man 150 Jahre mit seiner Familie die Region bewirtschaftet. Aber genau dieser Stolz auf Regionalität wird in der EU und der Weltwirtschaft immer wichtiger.

Auf der Wirtschaftsuni waren Sie nur kurz. Woher kommt Ihr Wissen?

Ich war genau zwei Wochen dort. Dann war mir klar, dass die Professoren alles, was sie erzählen, nicht selbst gemacht, sondern auswendig gelernt haben. Das impliziert, dass man was von außen sieht. Man weiß aber nicht, worum es geht. Ich habe vieles auf dem Bauernmarkt gelernt, weil ich mit den Leuten geredet habe. Es geht immer darum, Menschen für etwas zu begeistern, egal ob ich Gemüse, Reifen oder sonst was verkaufe. Wir haben uns ausgetauscht.

Das kann aber nicht alles gewesen sein.

Natürlich wusste ich vieles nicht, zum Beispiel über Design. Da habe ich mir Hilfe vom Land Niederösterreich geholt. Das gibt es alles. So habe ich Leute kennengelernt, mit denen ich heute noch arbeite. Es hat mir jemand auch die Gretchenfrage gestellt: Was willst du? Ich wollte eine Marke aufbauen. Das ist Knochenarbeit, aber langfristig am beständigsten. Danach habe ich nichts anderes gemacht, als transparent zu sein und den Konsumenten genau zu zeigen: „Was ihr kauft, kommt von da und dort.“

Wie kamen Sie dann auf die Idee mit der Sonne als Logo?

Eine meiner Grundintentionen für die Selbstständigkeit war, frei zu sein. Schon im Mittelalter haben sich die Bauern eine Scheibe Holz mit Strahlen an den Hof genagelt. Das war das Zeichen der freien Bauern. Ich habe deshalb nie verstanden, warum sich die Bauern so knebeln lassen – von der Produktion und der Politik. Sie werden mit Fördermitteln ruhig gehalten. Mein Glück war, erkannt zu haben, dass mit Kooperationen in der Landwirtschaft so viele Arbeitsplätze möglich sind. Meine erste Vision war, einen Arbeitsplatz für mich zu haben. Ich war ja damals arbeitslos.

Sie waren 23. Hatten Sie überhaupt Geld für ein eigenes Unternehmen?

Nein. Ich war vorher vier Mal unselbstständig tätig. Zwei Mal bin ich selber gegangen, zwei Mal wurde ich rausgeschmissen. Da habe ich am eigenen Leib erfahren, wie mit Mitarbeitern umgegangen wird. Das wollte ich nicht mehr. Ich hatte minus 15.000 €. Das Geld hat mir die Wirtschaftskammer Niederösterreich geliehen, was mutig war.

Ihre Eltern haben Sie nicht unterstützt?

Zuerst haben sie gemeint: „Bleder Bua, du kannst doch Buchhalter werden.“ Aber diese sicheren Häfen waren nichts für mich. Ich habe gesehen, wie man mit der Umwelt und mit meinem Vater in der Landwirtschaft umgegangen ist. Das hatte alles keinen Wert und damit keinen Sinn. Das wollte ich ändern. Meine Eltern meinten dann: „Mach, was dein Herz dir sagt. Aber Geld können wir dir keines geben.“ Dafür haben sie mir eine warme Suppe und ein Dach über den Kopf angeboten, wenn’s nicht hinhaut. Das war das eigentlich Schöne an der Sache. Und das hat mir gereicht.

Vielleicht hat Ihnen Ihr Markenzeichen, die Lederhose, Glück gebracht. Wie oft kommt sie zum Einsatz?

Immer, wenn ich meine Geschichte erzählen darf. Die Hose ist 90 Jahre, saualt und schiach. Ich habe sie zum ersten Mal beim Skifahren in der HAK getragen. Damals hätte ich sie schon drei Mal verkaufen können. Das hat mir gezeigt, dass die Hose zieht. Als ich 2011 als Unternehmer des Jahres nach Monaco eingeladen wurde, saß ich neben einem Inder mit 35.000 und einem Russen mit 50.000 Mitarbeitern – beide im Pinguin-Smoking. Ich kam mit der Lederhose und habe 27 Interviews gegeben. Es war schön zu sehen, was an so einer wertlosen Hose dran ist. Ganz viel Geschichte!

Woher haben Sie sie?

Sie ist durch Schmuggel- oder Hamsterfahrten zu uns auf den Bauernhof gekommen. Mein Vater hat erzählt, dass die Wiener, als sie nix mehr zum Fressen hatten, auf dem Land ihr Hab und Gut verhökert haben. Die Hose war sehr sperrig und ist erst an meinem Hintern weich geworden. Meine Mutter schämt sich heute noch, dass ich sie trage. Aber ich sage immer: „Du weißt nicht, wie oft ich deshalb unsere Geschichte erzählen kann.“

Die Hose steht für Ihre Wurzeln. Trotzdem sind Sie für Ihre Produktion auch nach Tschechien gegangen. Das wird Ihnen manchmal angekreidet.

Das verstehe ich. Die Angst vieler Bauern ist, nicht mehr gebraucht zu werden. Viele glauben, ich kaufe in Tschechien ein, weil es billiger ist. Das stimmt nicht. Gemeinsam sind wir einfach mehr und können so den tschechischen Markt beliefern. Über 50 Prozent von dem, was wir dort verkaufen, stammt auch aus österreichischem Anbau. Seit dem Kommunismus sind durch die Kolchosen in Tschechien die kleinen bäuerlichen Strukturen verschwunden. Wir brauchen aber kleine Bauern, die auf kleinen Flächen viel Wertschöpfung mit Kräutern erzielen können. Das kann uns dort nur einer von 50 Bauern liefern, daheim ist es einer von zehn.

Sie sagen, dass Sie erst 25 Prozent Ihrer Möglichkeiten auf dem Markt ausgeschöpft haben. Warum noch wachsen? Sind Sie nicht mit dem zufrieden, was Sie haben?

Ich fühle mich mit 48 Jahren jung und sehe Möglichkeiten. Wir haben gar keine andere Chance, als zu wachsen und gewinnen durch den Vertrauensverlust der anderen. Aber wir müssen nicht 100 Prozent erreichen. Ich sag’ immer, wenn ich muss, geh ich aufs Häusl und nicht auf die Bank, weil ich Druck verspüre, investieren zu müssen. Was wir investieren, kommt aus dem Cashflow, aus eigener Kraft. Die Deppensteuer habe ich einmal in Barcelona gezahlt. Das reicht für ein Leben.

Was ist damals passiert?

Als junger Bauernbua wollte ich die Stadt spüren und habe auf einem Jahrmarkt Hütchenspieler entdeckt. Wenig später waren zehn Prozent meines Reise-Etats weg. 1000 Schilling waren damals für mich viel Geld, weil ich nichts hatte. Als ich beim ersten Mal gewonnen habe, dachte ich mir: „San di deppert? Die machen da so ein Bahö und ich gewinne gleich.“ Beim zweiten Mal sagte der Bauch, die Kugel ist links. Aber ich bin dem Kopf gefolgt und das Hütchen in der Mitte war leer. Nach der Abzocke, haben sie ihr Tischerl zwei Straßen weiter aufgebaut und von vorne begonnen.

Was haben Sie daraus gelernt?

Auf so einem Hütchenspiel ist ein Großteil der Weltwirtschaft aufgebaut. Zehn Prozent sind real, der Rest fiktiv. Seit Barcelona lasse ich mich nicht mehr verführen. Ich habe nie vom Großen geträumt und nach dem ersten Schritt immer den zweiten und nicht den fünften gesetzt. Was ich verdiene, investiere ich ins Unternehmen und nehme so die Kartoffel, die ich schon in der Tasche habe. Dann kann man auch die goldene Karotte erreichen.

Sie wirken sehr geerdet. Haben Sie als Millionär nicht auch Lust auf Luxus? Ein schönes Auto vielleicht?

Das hatte ich. Aber nach 500 Kilometern mit dem Audi Quattro musst ich schon tanken. Da habe ich die Kraxen gegen zweieinhalb Tonnen Anis eingetauscht und den Verlust wettgemacht. Wir haben 23 Firmenautos. Ich fahre am liebsten mit einem kleinen Elektroauto. Das ist super!

Und Ihre Frau? Es heißt doch oft „Diamonds Are a Girl’s Best Friend“.

Sie ist keine Schmuckfrau. Ich wollte ihr sogar einmal einen Diamant-Ring schenken. Aber sie meinte, sie wüsste beim besten Willen keine Gelegenheit, ihn zu tragen. Sie hat eine Perlenkette von ihrer Mutter. Da hab ich ihr Ohrstecker dazugegeben.

Ein tolles Leben. Sie brauchen fast nichts.

Wenn wir was brauchen, gehen wir auf den Flohmarkt. Da denke ich mir oft, wieso sieht niemand all die tollen Sachen? So ist es auch bei Häusern. Ich habe auf acht alten Ruinen unsere Betriebe aufgebaut, auch hier in Sprögnitz. Ich habe 35.000 € bezahlt. Dieser Platz hätte 14 Kilometer weiter in Zwettl, 500.000 € gekostet. Sie sehen ja, was daraus geworden ist. Aus nichts etwas zu machen: Wow! Das bietet mehr als Leben!

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