"Ich kann auch ohne die Formel 1 leben"

"Ich kann auch ohne die Formel 1 leben"
Next Stop Spielberg: Am 1. Juli macht Red-Bull-Motorsportchef Helmut Marko, 75, in der Heimat Halt. Das Interview über Tod, Kunst und Geld.

Herr Marko, das Foto unten zeigt Sie vor einem Bild, das eigentlich aus Ihrem Kunst-Hotel stammt. Sie mussten es in Ihr Büro  umhängen. Warum?

Es hat Beschwerden von Gästen gegeben. Für manche Menschen war es vom moralischen Standpunkt her nicht tragbar.

Der Herr auf dem Bild trägt doch eine Hose.  

Manche Leute sind da sehr empfindlich. Es gibt auch Bilder, die auf Menschen zu aggressiv wirken in ihrer Ausdrucksweise und die wir verhüllen  mussten – alles schon gehabt.

Sie hätten sagen können: Der Hausherr bin ich. Das Bild bleibt, wo es ist!

Das sind ja nur temporäre Maßnahmen. Außerdem ist der Gast König.  

 

"Ich kann auch ohne die Formel 1 leben"

Da kommt der Hotelier durch. Davor waren Sie ein erfolgreicher Rennfahrer. Angeblich reden Sie nicht gern über „früher“, obwohl Sie erfolgreich waren.

Wenn ich das sage, dann deshalb, weil ich mich nicht gerne auf den Lorbeeren vergangener Zeiten ausruhe. Egal, was man macht: Stillstand bedeutet Rückstand!  Die vier WM-Titel, die wir bisher mit Red Bull gewonnen haben, sind Geschichte. Jetzt müssen wir  schauen, wie wir den Erfolg wieder herstellen können.

Sie sind seit 2005 Red-Bull-Motorsportchef. Stimmt es, dass Sie aufhören, wenn Verstappen Weltmeister wird?  

Das ist ein Blödsinn. Es gibt von  Red Bull ein Commitment bis 2020. Ecclestone ist weg und es gibt mit Liberty einen neuen Eigentümer. Man  wird sehen, welche Motorenregeln dann gelten und ob  Red Bull in der Formel 1 bleibt oder nicht. Bis dahin ist der Plan, wieder eine WM zu gewinnen.
2020 werden Sie 77 Jahre alt sein. Wäre es dann okay für Sie, so einen  wichtigen Teil Ihres Lebens ad acta zu legen?

Ich kann auch ohne die Formel 1 und bin nicht darauf fixiert.    

Immerhin müssten Sie nicht mehr ständig zwischen den Zeitzonen hin und her reisen.

Ich habe das noch nie als Belastung gesehen. Ich reise komfortabel und einmal ist der Jetlag stärker, einmal schwächer. Aber wenn man das Reisen nicht als Belastung sieht, sondern als Teil des Ganzen, macht es dir nicht viel aus. Das gilt für alles, was man  mit Begeisterung  macht.  Ich muss ja auch nicht, sondern könnte Fischen oder Golf spielen.

Vom „nicht müssen“ träumen viele. Ein erstrebenswerter Zustand, oder?

Ja, es macht das Leben leichter, weil man sich nicht verbiegen muss. Je älter ich werde, desto wichtiger werden mir Dinge, mit denen ich mich identifizieren kann. Es geht um Qualität. Der Luxus an meinen Hotels ist, dass ich mich nicht um Details kümmern muss. Dafür habe ich drei junge Direktorinnen, die sich mit der Fluktuation, die in der  Gastronomie nun einmal gegeben ist,  herumärgern müssen. Ich gebe nur die Linie vor und kontrolliere bis zu einem gewissen Grad.  

Warum gleich drei Direktorinnen und nicht auch ein Direktor?

Da bin ich ein bissel altmodisch. In der Gastronomie sind Frauen wesentlich bessere Gastgeber. Meine Direktorinnen sind zwischen 25 und 30 Jahre alt, haben volle Verantwortung, aber auch volle Freiheit bei der Personalauswahl. Sie müssen aber auch den Kopf hinhalten, wenn es nicht passt.
Sie gelten als kompromisslos. Was passiert, wenn es nicht passt.

Gibt es eine zweite Chance?

Ja, die gibt es.  

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Ihre Devise als Rennfahrer war: Alles oder nichts! Kommt der Draufgänger bei Ihnen heute manchmal noch durch?  

Das ist eine komplexe Frage. Beim Skifahren bin ich vorsichtiger, im Verkehr aber sicher  noch zu schnell unterwegs. Mit dem Motorrad passe ich auf, nachdem es mich schon ein paar Mal runterg’haut hat. Aber das Risiko damals war einfach unkalkulierbar.

Sie waren Rekordfahrer: Sieg und schnellstes  Rennen des Jahrhunderts bei den 24 Stunden von Le Mans, Rundenrekord bei der Targa Florio, einem Rennen, bei dem Sie mit 260 km/h durch Dörfer gebrettert sind. Sie müssen verwegen gewesen sein.

Extrem verrückt. Man hat sich eingeredet: Wenn etwas passiert, ist es Pech.  Dabei war es genau umgekehrt. Es war  Glück, wenn nichts passiert ist. Ich kann Ihnen sofort zehn Leute aufzählen, die in meiner Zeit gestorben sind.   Aber wenn du erst einmal im Auto sitzt,  schnell bist und eine Siegeschance hast, ist Vernunft einfach nicht mehr gegeben.

Hat Sie der Tod von so vielen Menschen geprägt?

Man schirmt sich davon ab, indem man es als Schicksal abtut. Ich habe zum Beispiel beim Begräbnis von Jochen Rindt das Angebot bekommen, zwei Wochen später ein Rennen für ein neues Team zu fahren. Von der Einstellung und  Pietät  her ist das nicht mit normalen Maßstäben zu messen.

Die Gefahr war Teil des Jobs.

Damals ist der Tod  mitgefahren. Heutzutage ist das Gott sei Dank nicht mehr so. Die Autos sind dank Monocoque  sehr sicher und man braucht viel Pech, um eine schwere Verletzung zu erleiden. Ein Skifahrer lebt zehn Mal gefährlicher, kriegt aber viel weniger bezahlt.

Warum verdienen Formel-1-Rennfahrer dann so gut?

Früher war es die Gefahr, heute liegt es daran, dass es zu wenig gute Fahrer gibt. Es geht immer um Angebot und Nachfrage. Ich glaube, das hängt damit zusammen, dass man immense finanzielle Mittel braucht, um heute im Rennsport in Erscheinung zu treten. Eine Gokart-Saison kostet 285.000 Euro – und wir reden hier von 13- bis 14-Jährigen.

Und zu Ihrer Zeit?

Da waren es 70.000 Schilling, die du in zwei Monaten wieder verdienen konntest.

"Ich kann auch ohne die Formel 1 leben"

Jochen Rindt war damals nicht nur Ihr Freund und Rennkollege, sondern ist  auch mit Ihnen zur Schule gegangen. Denken Sie manchmal an ihn?  

Ja, mit Wehmut. Er hat den Motorsport in Österreich populär gemacht. Wendlinger, Berger, Lauda, meine Karriere ... ohne ihn wäre das alles nicht möglich gewesen. Ich habe oft daran gedacht, was er alles versäumt hat, weil er  mit 27 Jahren verstorben ist. Ich habe danach so viel Schönes und Positives erlebt. Die Welt ist ihm offen gestanden. Er war finanziell abgesichert und  hatte eine tolle Familie.

Danach gab es Sie und Niki Lauda. Einige Leute sind der Meinung, Sie wären talentierter gewesen als Lauda.

Blödsinn! Es zählt der Erfolg  und nicht das  „Wenn und Aber“.  (Anm.: Lauda war drei Mal Formel-1-Weltmeister)

Es werden via Medien immer wieder Sticheleien zwischen Ihnen und Lauda kolportiert. Sind Sie Freunde oder nicht?

Lauda behauptet  immer, keine Freunde zu haben. Ich glaube, das  richtige Wort ist Respekt. Wir kommen aus einer ähnlichen Zeit. Ich genieße das Frühstück mit ihm jedes Mal.   

Es gab aber schon Zeiten, in denen Herr Lauda nicht mit Ihnen frühstücken wollte.

Ich habe in einem Radio-Interview kritisiert, dass er in seiner Meinung manchmal flexibel ist. Da war er verschnupft. Aber das hat maximal zwei Rennen gedauert.

Sie selbst mussten nach neun Rennen in der Formel 1 aufhören, weil Sie bei einem Unfall ein Auge verloren haben. Wie lange haben Sie damit gehadert?

Was soll ich hadern? Man kann es nicht ändern. Ich bin in einer schmerzvollen Nacht aufgewacht und habe  mir gesagt: „Jetzt beginnt ein anderes Leben.“

So einfach geht das?

Natürlich nicht. Es waren x Nächte mit Schmerzen. Aber irgendwann muss man sich entscheiden oder sein ganzes Leben lang jammern. Das ist nicht meine Art.

Würden Sie Ihr Vermögen geben, um wieder mit beiden Augen zu  sehen?  

Ich lebe ganz gut damit und habe alles adaptiert. Skifahren war am Anfang das Ärgste. Die Bodenwellen habe ich erste gespürt, wenn die Knie schon beim Kinn waren. Darauf stellt man sich ein und lernt ein anderes Sehen. Es gibt Leute mit ärgeren Handicaps. Man muss halt wissen, dass man Limits hat.
 

Sie entwickeln auch Immobilien  und sind Forstwirt. Ihnen gehört mit dem Plabutsch ein ganzer Berg ...

Nicht der ganze, aber viel davon.

Warum kauft man sich einen Berg?

Ich habe dort mein Wohnhaus stehen. Ich liebe den Wald und die Natur und es ist angenehmer, wenn du rundherum keine Nachbarn hast.

Und die Hotels?  

Das war einfach. Es war eine Immobilie da und Freunde haben mir erzählt, dass es in Graz kein Hotel gibt, das sich durch Individualität auszeichnet. Ich bin  immer mit offenem Auge durch die Welt gereist, habe mir einiges angesehen und dann mit dem Schlossberghotel angefangen.

Mittlerweile besitzen Sie drei Hotels, in denen Ihre gesamte Kunstsammlung hängt. Haben Sie keine Angst, dass irgendwann ein Kind mit seinem Eis an einem Nitsch ankommt?

No risk, no fun! Ich habe eine gute Versicherung und es gibt nur wenige Beschädigungen. Ein Kind hat schon einmal mit Bleistift auf ein Bild gekritzelt. Aber das hält sich in Grenzen.

Haben Sie je an die Eröffnung eines Museums gedacht?

Ein Museum ist mir zu steril. Ich habe auch Bilder, die Museumsqualität haben, aber ich finde die Kombination mit den Hotels gut. Das ist quasi öffentlich und bewährt sich sehr gut.

Warum haben Sie eigentlich begonnen, Kunst zu sammeln?

Das Interesse war immer schon da. Als der Maler Hans Staudacher aber immer wieder bei Autorennen aufgetaucht ist, hat diese Begegnung mein Interesse auf eine professionelle Ebene geführt. Von ihm stammt auch mein erstes Bild.

Was fasziniert Sie so daran?

Der Künstler lebt wie der Rennfahrer außerhalb der Norm. Wenn ein Künstler seinen Job intensiv und ernsthaft macht, malt er nicht einfach so herum. Er quält sich mit jedem Pinselstrich. So ähnlich ist es im Sport. Du wirst nicht Spitzensportler, ohne gewisse Abstriche zu machen, musst dich körperlich an den Grenzen bewegen. Anfang der 60er- und 70er-Jahre  haben viele Künstler Neues ausprobiert und wurden verlacht. Die haben am Existenzminimum gelebt, weil sie konsequent ihre Auffassung von Kunst durchgezogen haben.

Apropos Existenz: Es heißt, Ihnen gehört halb Graz ...

Blödsinn, das ist halt so ein Spruch!

Was macht man mit so viel Besitz?  

Ich war einmal am Flughafen und habe dort ein riesiges Plakat gesehen, auf dem eine Airline beworben wurde. Darauf stand: „Wenn Sie nicht First Class fliegen, tun es Ihre Erben.“ Das ist etwas, was ich als sehr richtig empfunden habe. Ich lebe nicht für meine Kinder. Sie kriegen  was, aber dass ich sagen würde, ich tu’ das alles nur für die Kinder, ist eine Farce. Ich lebe mein eigenes Leben, verantwortungsvoll. Das ist das Entscheidende.

Wofür geben Sie Geld aus?

Ich kaufe  Kunst, ein Motorrad oder so was, und gehe gerne gut essen. G’wand ist auch nebensächlich, ein Auto kriegt man gestellt und einkaufen gehe ich nicht. Das macht meine Freundin.

Sitzen Sie manchmal vor Ihren Kunstwerken und denken sich: Eigentlich habe ich alles sehr gut gemacht?  

Wenn ich durch die Hotels gehe, kommen schon Erinnerungen hoch. Wann ich ein bestimmtes Bild gekauft habe, wie die Umstände waren, ob man den Künstler kennt und dergleichen. Das ist schon ein Eintauchen in eine andere Welt.

Haben Sie Ihre Sache gut gemacht?

Sagen wir so: Ich bin mit meinem Leben nicht unzufrieden. Das ist klar

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LEBEN AUF DER ÜBERHOLSPUR

Helmut Marko, 75, wurde  1943 in Graz geboren und  maturierte gemeinsam mit seinem Freund Jochen Rindt in Bad Aussee. Auf Wunsch seines Vaters studierte er Jus und schloss  1967 mit dem Doktortitel ab.  Von da an widmete er sich seiner Leidenschaft und wurde Autorennfahrer. Das 24-Stunden-Rennen von Le Mans, das er  1971 gewann, absolvierte er so schnell, dass der Distanzrekord 39 Jahre hielt. 1972 stellte er bei der waghalsigen Targa Florio  einen Rundenrekord auf, der  bis zur Einstellung des Rennens 1977 bestehen blieb. Nach neun Rennen in der Formel 1 musste Marko  seine Karriere 1972 beenden, nachdem er bei einem Unfall ein Auge verlor. Seit 2005 ist er Motorsport-Chef von Red Bull, besitzt zahlreiche Immobilien, darunter drei Hotels, und einen Berg. Er ist Vater von drei Kindern.

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