Hirn-Doping

Wo sind die Grenzen künstlicher Leistungssteigerung des Menschen? Im Computerspiel „Deus Ex: Human Revolution“ werden auch ethische Grenzen deutlich.
Die Gefahr elitärer Denker. Michael Horowitz über Chips im Gehirn, bunte Psycho-Pillen und ein Computerspiel, das extreme Leistungen der Zukunft simuliert.

Das wahre Zeichen von Intelligenz ist nicht das Wissen, sondern die Vorstellungskraft, meinte Albert Einstein. Wie unsere Zukunft simuliert wird und wie schnell sich die wissenschaftlich-technische Revolution in den nächsten Jahren entwickeln wird, liegt in den Händen von Physikern und Hirnforschern. Sie arbeiten schon heute daran, Visionen zu verwirklichen, welche die menschliche Vorstellungskraft übersteigen: Unser Hirn mit guten oder schlechten Gefühlen zu füttern, Gegenstände nur mit Hilfe unserer Gedanken zu bewegen oder geistige Verbindung mit dem Bewusstsein anderer aufzunehmen. Bis zur Entschlüsselung des Gehirns wird es (zum Glück) noch lange dauern, doch Computer werden weiterhin von den Strukturen unserer Gehirne lernen: Wie Menschen beim Lesen Buchstaben erkennen, um daraus Wörter zu formen – dieses Prinzip soll schon in naher Zukunft auf Computer übertragen werden können.

Die Vorstellung von elitären Denkern mit einem Chip im Gehirn – der vom Hirn gelernt hat – wirkt bedrohlich. Über dieses Wundermittel im Kopf könnten andere manipuliert werden. Leben wir dann in einer Welt, in der manche Menschen mithilfe moderner Technik scheinbar Übermenschliches leisten können und unsterblich werden? Diese Zukunftsvision existiert bereits seit vier Jahren. Zumindest in einem Action-Computerspiel. Deus Ex: Human Revolution führt ins Jahr 2027, aufgrund hochentwickelter biotechnischer Implantate und Prothesen können Menschen in diesem Science-Fiction-Szenario ihre körperlichen und geistigen Fähigkeiten weit über das natürliche Maß hinaus steigern. So wird anhand eines Computer-Rollenspiels die ethische Frage aufgeworfen, wieweit die Leistungssteigerung des Menschen durch technische Optimierung gehen darf. Die bedrohlichen, negativen Folgen dieses (stark übertriebenen) fragwürdigen Frankenstein-Szenarios: Wer sich das nicht leisten kann, ist im Nachteil. Eine Zwei-Klassen-Gesellschaft könnte entstehen.

Nobelpreisträger Eric Kandel stellte Hirndoping bereits vor zehn Jahren infrage.

Hirndoping findet – abgemildert – auch heute schon statt. Mit so genannten Neuro-Enhancern. Um mehr Konzentration, Leistung und Tempo zu erzielen. Extrem geforderte Berufsgruppen wie Chirurgen greifen regelmäßig zu den bunten Smart pills. Und auch bereits rund 25 Prozent der amerikanischen Studenten. Um intensiver lernen zu können und Prüfungsstress zu minimieren

Eines dieser Medikamente, das Methamphetamin „Pervitin“, war schon während des Zweiten Weltkriegs als Panzerschokolade und Wunderpille der Wehrmacht bekannt und beliebt: Bei heiklen Missionen wurde es Soldaten verabreicht, um ihre Angstgefühle zu dämpfen, während sie ihr Leben riskierten. Heute sind manche Wissenschaftler dafür, Hirndoping verantwortungsvoll einsetzen zu dürfen. Doch die meisten bleiben skeptisch.

Was ist, wenn der Verbleib im Job oder an der Uni davon abhängt, ob jemand neurokognitive Verstärkungen verwendet?, fragte Nobelpreisträger Eric Kandel schon vor zehn Jahren. Und auch Stephan Schleim von der niederländischen Universität Groningen warnt vor der Gefahr des Pharma-Turbos: Wenn dopen normal wird, ist nicht-dopen keine Wahl mehr. Für unsere Gesellschaft wäre das eine Katastrophe.

michael.horowitz@kurier.at

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