Heinz Kinigadner über Schicksal

Heinz Kinigadner über Schicksal
Vom Bäcker zum Motocross-Weltmeister und KTM-Manager: Die Karriere von Heinz Kinigadner, 54, sieht auf den ersten Blick nach steilem Aufstieg aus. Konkurs, hohes Risiko und Schicksalsschläge erzählen eine andere Geschichte. Heute setzt sich der Tiroler für die Rückenmarksforschung ein. Nicht nur, weil sein Sohn im Rollstuhl sitzt.

freizeit: Heinz, morgen geht der „Wings for Life World Run“ über die Bühne. Hast du ausgiebig trainiert?
Heinz Kinigadner: Das Schöne daran ist ja, dass auch Nichtläufer mittun können. Ich bin bisher noch nie länger als eine Stunde gelaufen, aber 13, 14 Kilometer werd ich schon schaffen. Dann wird mich wohl das Auto einholen.

Das mit dem Auto musst du erklären.
Das ist ein völlig neues Rennformat. In 32 Ländern starten morgen um 12 Uhr (MESZ) gleichzeitig Tausende Läufer – am Tag oder in der Nacht, je nach Aufenthaltsort. Nach einer halben Stunde setzt sich ein Auto mit geeichtem GPS mit 15 km/h in Bewegung. Es steigert langsam die Geschwindigkeit. Der Lauf ist vorbei, sobald man eingeholt wird. Es geht solange, bis weltweit nur noch eine Person läuft. Wir laufen für all jene, die selbst nicht laufen können. 100 Prozent der Startgelder kommen der Rückenmarksforschung zugute.

Dein Sohn Hannes, 30, sitzt seit einem Motocross-Unfall 2003 im Rollstuhl. Querschnittlähmung gilt nach wie vor als unheilbar. Was löst das in dir aus?
Seit der Hannes verunglückt ist, habe ich gesagt: Das darf nicht so bleiben. Ich habe seither Gott und die Welt kontaktiert, um zu schauen, wie weit die Forschung ist. Didi Mateschitz, mein Freund seit vielen Jahren, unterstützt mich, seit der Hannes damals ins Spital eingeliefert wurde. Es gibt einige Projekte, die im Labor vielversprechend waren. Da habe ich als Vater gesagt: Wenn es bei Mäusen Erfolge gibt, will ich das auch beim Hannes versuchen. Inzwischen wurde viel erreicht, aber es liegt noch ein weiter Weg vor uns.

Woran liegt das?
Zum einen kostet Forschung enorm viel Geld. Außerdem haben Ärzte bis vor 20 Jahren noch gelernt, dass das zentrale Nervensystem bei Beschädigung für immer kaputt ist. Aber einer unserer Wissenschafter hat herausgefunden, dass es sehr wohl versucht, wieder zu wachsen. Das muss in den Köpfen der Menschen erst Platz finden.

Gibt es noch andere Probleme?
Ja, zum Beispiel bei Frischverletzten. Hier sieht die Forschung viel Potenzial, aber man müsste in den ersten fünf Tagen handeln. Aber in diesem Zeitraum kann kein Arzt beurteilen, inwieweit sich der Körper nach einem Unfall von selbst erholt und was unwiederbringlich kaputt ist. Es traut sich also keiner, einem Frischverletzten mit einer Nadel in den Hals zu stechen, um irgendwelche Zellen reinzuschießen. Man könnte dabei Gesundes zerstören.

Und chronisch Verletzte?
Es gibt Millionen weltweit, die nur darauf warten, sich für Studien zur Verfügung zu stellen. Aber Querschnittlähmung ist nicht Querschnittlähmung. Für eine Studie brauchst du viele Leute mit denselben Voraussetzungen. Es ist also alles nicht so leicht, wie wir das gerne hätten. Aber ich habe Hannes versprochen, dass wir gemeinsam wieder Motorradfahren gehen. Das werde ich auch halten.

Wann bist du das letzte Mal Motorrad gefahren?
Im Juni 2003 bei den KTM-Days, gemeinsam mit dem Hannes. Im Juli hatte er dann seinen Unfall.

Verfluchst du Motorrad fahren seither?
Auf keinen Fall. Ich würde wahnsinnig gerne wieder fahren, vor allem durch die Wüste. Aber ich weiß ganz genau: Würde ich es tun, wäre ich danach komplett fertig, weil mir etwas so viel Spaß macht, das der Hannes im Moment nicht machen kann. Um das geht’s mir, nicht ums Verfluchen!

Hast du dir je gewünscht, du wärst nie Motorrad gefahren und in deinem früheren Beruf als Bäcker geblieben?
Würde ich es so betrachten, hätte ich nicht gelebt. Es ist schon gewaltig, was ich durch den Sport und meine derzeitige Tätigkeit bei KTM erlebt habe. Ich möchte nicht sagen, dass das alles aufwiegt. Aber der Hannes ist von 17 Meter hohen Klippen gesprungen und hat mit dem Snowboard Salti gemacht. Verunglückt ist er bei einem Charity-Rennen mit 30 km/h, weil einer vor ihm gestürzt ist. Also weit weg vom Profi-Sport. Um ganz sicher zu gehen, hätte er zu Hause im Bett bleiben müssen.

Kannst du nachvollziehen, wenn jemand sagt: „Selber schuld. Motorradfahren ist eben gefährlich.“
Das stimmt schon. Aber ich bin einmal pro Woche mit dem Hannes im Reha-Zentrum. Dort sieht man, wodurch Unfälle sonst noch passieren. Deshalb mache ich mir keine Gedanken, warum jemand ein Motorradl in die Hand nehmen muss. Wenn einer vom Berg runterkugelt und schnell gesund werden will, damit er wieder in seine Berge kann, sagt auch keiner, dass das abnormal ist. Die Liebe zur Natur akzeptieren die meisten. Bei uns ist es genauso. Seit ich denken kann, war Motorradfahren ein Thema. Mein Vater ist ja schon gefahren. Es wurde uns in die Wiege gelegt.

Trotzdem könnte man nach so vielen Schicksalsschlägen das Risiko meiden.
Es wird immer Menschen geben, die sagen: „Jetzt sind der Bruder und der Sohn querschnittgelähmt, der kleine Bruder hätte bei einem Motorradunfall fast ein Auge verloren und er selbst hat mit 48 Knochenbrüchen nicht nur einmal wahnsinniges Glück gehabt – wie verrückt ist der eigentlich?“ Aber wenn du einmal dort hinein schnupperst, brauchst du das Extreme wahrscheinlich. Und wie gesagt: Unfälle können auch anders passieren.

- Heinz Kinigadner

Wie überlebt man 48 Knochenbrüche?

Ich wundere mich selbst oft, dass es mir so gut geht, da ich einige sehr blöde Verletzungen hatte. Das Schambein war dreimal gebrochen, das Becken zersprungen, der Oberschenkel zerschmettert und in der Schulter waren alle Bandeln gerissen. Trotzdem spüre ich nichts.

Bist du der Mann aus Stahl oder woran kann das liegen?

Ich habe da meine eigene Theorie. Nach den Verletzungen habe ich nie einen Therapie gemacht, sondern bin immer gleich wieder Motorrad gefahren. Wenn ich dann in die Kurve gefahren bin, habe ich einfach auf die Bremse vorgegriffen, ohne darüber nachzudenken, dass gerade mein Mittelhandknochen gebrochen war und ich das ja eigentlich gar nicht dürfte. Im Gegensatz zu einer Therapie, wo man ja sehr vorsichtig ist. Während dem Bremsen war ich mit den Gedanken also schon wieder bei der Kurvenausfahrt. Deshalb glaube ich, dass es die beste Therapie ist, die Bewegung aus dem Unterbewusstsein zu machen.

Eine Therapie für Hartgesottene sozusagen.

Beim Motorradfahren brauchst du wirklich jeden Muskel. Wenn ich mich nach einer längeren Pause 30 Minuten auf eine Motocross-Strecke schmeiße, kann ich mich am nächsten Tag nicht bewegen. Vom Brustmuskel über den Rückenstrecker bis zu den Oberschenkeln ist alles im Einsatz. Deshalb glaube ich einfach, dass es eine gute Therapie ist.

Deine Frau hat in all den Jahren mit der ständigen Angst wahrscheinlich auch kein leichtes Leben gehabt.

Die Waldtraud hat das Motorradfahren nie so narrisch interessiert, aber sie hat eine gesunde Einstellung dazu. Sie wusste von Anfang an, dass das mein Leben ist und dass sie daran nichts ändern kann. Es hätte mich unglücklich gemacht, nicht zu fahren. Und wenn ich dann nach einem Unfall mit dem Sanitätsflugzeug zurückgebracht wurde, hat sie sich in der Klinik um mich gekümmert.

Du und deine Familie hattet noch andere Schicksale zu verkraften. Deine Mutter und deine Oma sind bei einem Autounfall verstorben, bei dem dein Vater am Steuer saß und selbst schwer verletzt wurde. Du selbst hattest einen Tumor und geschäftliche Rückschläge. Verzweifelt man da nicht?
Ich muss sagen, dass ich eine super Kindheit hatte und in meinem Leben nichts Negatives passiert ist, bis ich 22 war. Das war 1982 und ich habe meinen ersten WM-Lauf gewonnen. Zwei Wochen später sind die Mutter und die Oma beim Unfall ums Leben gekommen. Von da an war es ein ständiges Auf und Ab. Da habe ich gelernt, dass Schicksalsschläge dazugehören. Wenn es mir einmal längere Zeit gut geht, habe ich schon Angst, weil ich weiß: Der nächste kommt bestimmt.

Es kann doch jetzt auch anders sein.
Das Leben hat mich anderes gelehrt. Das hat mit meinem extremen Beruf zu tun. Als Bäcker, der tagaus tagein Semmeln macht, wäre mir viel Dramatisches nicht passiert. Ich hätte aber auch viel Wundervolles und Interessantes nicht erlebt.

Hast du dir trotzdem nie die Frage gestellt: Warum trifft mich das Schicksal so oft?
Kurzfristig bestimmt, langfristig hat mich kein Problem in die Knie gezwungen. Aber eine Situation hat es gegeben, in der ich einen Fehler gemacht habe und richtig verzweifelt war. Das war nach der Beendigung meiner Motocross-Karriere, als ich mit der ganzen Familie vor dem Ruin gestanden bin, weil meine Bäckerei in Konkurs gegangen ist. Mir war klar, dass ich mit 200 Jahren Arbeit in der Bäckerei nicht das verdienen kann, was ich brauche, um aus dem Schlamassel finanziell herauszukommen.

Was ist dir durch den Kopf gegangen?
Damals hatte ich von Auswanderungsgedanken bis was weiß ich noch alles. Der Arzt, der später einen Tumor bei mir festgestellt hat, hat mich gefragt, ob ich Probleme habe. Da habe ich mir gedacht: „Das ist der Witz des Jahres! Ich schaffe es nie mehr, in Österreich schuldenfrei zu sein.“ Ich habe erst nach der dritten Chemotherapie kapiert, dass das keine Probleme sind.

Na ja, ganz ohne ist ein Konkurs nicht.
Geldprobleme zu haben ist dramatisch, aber Firlefanz, wenn ich mir meinen Bruder, der seit 30 Jahren im Rollstuhl sitzt, oder den Hannes anschaue. Damals habe ich beschlossen, mich nicht länger mit Geldsorgen zu belasten und habe beschlossen, nach vorne zu marschieren.

Wie hast du das gemacht?
Ich habe durch Zufall im „profil“ eine Geschichte von einer auf Firmensanierungen spezialisierte junge Truppe in Wels gelesen. Zuerst wollten sie mir nicht helfen, heute sind sie meine Freunde. Durch sie bin mit ich mit einem ganz dunkelblauen Auge davongekommen. Eine lange Geschichte. Wesentlich ist, dass sich aus der Bäckereischeiße die Rettung von KTM ergeben hat. Daher weiß ich, dass nichts ewig bleibt, wie es ist, auch wenn man irgendwo noch so tief drinnen hängt. Mit KTM hatte ich die zehn besten Jahre meines Lebens – bis 2003 der Unfall vom Hannes passiert ist.

Wie geht es Hannes heute?
In den elf Jahren seit er im Rollstuhl sitzt, gab es keinen einzigen Tag, an dem er gesagt hat: „Ich will nicht mehr.“ Er ist so positiv, viel positiver als ich. Und das, obwohl er nicht einmal seine Finger bewegen kann. Wenn ich ab und zu munter werde und den Kopf hängen lasse, brauche ich nur in sein Zimmer zu gehen und ihm zu helfen. Dann weiß ich: Das ist so was von fehl am Platz.

Du hast auch eine Tochter. Fährt sie Motorrad?
Ja, ihr taugt es, mir nicht. Sie ist jetzt 30, fährt aber erst seit fünf Jahren. Mit 25 lernst du das Motorrad fahren nicht mehr so gut, als wenn du es mit 16 schon intus hast. Das muss mit dir wachsen.

Wohin fährst du mit dem Hannes, wenn er wieder gehen und auch mit dem Motorrad fahren kann?
Einmal um die Welt.

Wirst du nach allem, was du erlebt hast am Ende einmal sagen, dass du ein schönes Leben hattest?
Auf jeden Fall.

www.wingsforlife.com

www.kini.at

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