Der Fall Adele
Schlank, schmiegsam und bisweilen mit barem Busen. Unerhört, was Anfang des 20. Jahrhunderts in großbürgerlichen Salons und der Wiener Secession zu sehen war. Klimts Gemälde „Judith“ etwa. Felix Salten, späterer „Mutzenbacher“- und „Bambi“-Autor, spekulierte: „Rätselhafte Gewalten scheinen in diesem lockenden Weibe zu schlummern, Energien, Heftigkeiten, die nicht mehr zu stillen wären, wenn einmal in Brand geriete, was zu bürgerlichem Verglimmen gezwungen wird.“
Diese „Judith“ war keine andere als Adele Bauer. Wenige Tage vor Weihnachten 1899 hatte die 1881 geborene Bankierstochter den viel älteren Zuckerfabrikanten Ferdinand Bloch geheiratet. Aus Liebe zu der dunkelhaarigen Lichtgestalt, die erst im Salonzirkel zwischen Geistesgrößen wie Arthur Schnitzler, Gustav Mahler und Stefan Zweig auflebte, gab Kunstliebhaber Bloch beim damals bestbezahlten Künstler der Stadt mehrere Porträts in Auftrag. Darunter zwei, die Jahrzehnte später als „Adele Bloch-Bauer I“ (1907) und „Adele Bloch-Bauer II“ (1912) in die Kunstgeschichte eingehen sollten.
Heute würde man sagen, das äußerst gut situierte Paar führte eine offene Ehe. Das Fin de Siècle beflügelte jedenfalls seine Zeitgenossen, sich neuen Abenteuern auszusetzen. Von Klimts Affären mit seinen Modellen brauchte man jedenfalls in diesen Kreisen nicht erst hinter vorgehaltener Hand zu ^sprechen. Nachgerade ziemlich pikant, dass sich Jahre später auch ein unehelicher Sohn des Hemmungslosen, der NS-nahe Filmregisseur Gustav Ucicky („Heimkehr“), im Kunstladen seines Vaters bedienen sollte.
Die Flamme von Klimt, dem exzessiven Farbenmagier, der seinen Gefühlen nahezu zeitgleich in drei parallel betriebenen Ateliers freien Lauf ließ, erlosch vor bald 100 Jahren – 1918, infolge eines Schlaganfalls. Die kinderlos gebliebene Adele Bloch-Bauer überlebte ihn nur um wenige Jahre. Sie starb 1925 an Hirnhautentzündung.
In ihrem Testament hatte sie gebeten, dass ihre Bilder nach dem Ableben ihres Mannes dem Belvedere vermacht werden. Die Nazis machten einen Strich durch diese Rechnung – und kassierten gleich seine ganze Sammlung. Ferdinand Bloch-Bauer starb 1945 in Zürich, ohne „Adele“ noch einmal gesehen zu haben. Da befand sich das unterschätzte Gemälde bereits im Belvedere. Der Galerie wurde es 1941 direkt aufgedrängt. Keiner der neuen Herren wollte es ...
Nach dem Zweiten Weltkrieg sollte einige Zeit vergehen, bis der Name Klimt wieder seinen wertvollen Klang erlangte. Agnes Husslein-Arco, seit 2007 Direktorin der Österreichischen Galerie im Belvedere, nennt als herausragendes Datum dafür die Künstlerhaus-Schau „Traum und Wirklichkeit“ im Jahr 1985: „Sie hat sein gesamtes Werk neu bewertet.“ Und auch der „Fall Adele“, also der jahrelange Kampf um die Restitution der Bilder an Maria Altmann, die Erbin von Ferdinand Bloch-Bauer, hat das Interesse gesteigert. Jährlich zieht es heute mehr als eine Millionen Besucher in die noch immer größte Klimt-Sammlung der Welt im Belvedere.
Dabei muss man für einen Klimt gar keine Millionen locker machen. „Wir haben sieben Zeichnungen von ihm“, sagt Katharina Hittmair von der „Galerie bei der Albertina“. Leider keine „Adele“. Aber eine Vorstudie zum Bildnis der Amalie Zuckerkandl ist dabei. Und die Preise? „Zwischen 60.000 und 100.000 Euro.“ Das geht ja – wenn man ein gut bestallter Sammler mit Blick fürs Detail ist.
David gegen Goliath – Kinozuseher lieben dieses Szenario. Und das Schicksal der von den Nazis geraubten „Goldenen Adele“ bietet dafür den idealen Stoff. Die Kontrahenten: Maria Altmann einerseits (dargestellt von Helen Mirren), eine über 80-jährige, in Los Angeles lebende Jüdin mit Wiener Wurzeln, die vor einem US-Gericht auf ihr Erbe, fünf Meisterwerke von Gustav Klimt, pocht. Und die Republik Österreich andererseits, die vor allem das Gemälde „Adele Bloch-Bauer I“, ein Prunkstück der Österrei- chischen Galerie im Belvedere, partout nicht heraus- geben will. Es kommt zum Showdown, der ohne die Recherchen von Hubertus Czernin, dem früheren profil-Herausgeber, nicht möglich gewesen wäre. In dem Buch „Die Fälschung. Der Fall Bloch-Bauer“ zeichnete er die Geschichte der „Adele“ auf. Im Film wird Czernin von Daniel Brühl dargestellt, der nach Niki Lauda zum zweiten Mal einen Österreicher spielt.
„Ich bin die Tochter eines Rechtsanwalts, vielleicht habe ich deshalb ein gutes Gefühl für Gerechtigkeit“, meinte die 1938 aus Österreich vertriebene Maria Altmann einmal. Und Recht hatte sie. Allerdings sollte es Jahre dauern, bis sie ihr Recht auch wirklich bekam. Als Kind hatte sie die „Goldene Adele“ im Salon der Familie Bloch-Bauer kennengelernt. Als sie Jahrzehnte später erfuhr, dass das neue Österreich zurückgeben wollte, was seinerzeit geraubt worden war, schöpfte sie Hoffnung. Doch bei den Verhandlungen mit der damaligen Bildungsministerin Elisabeth Gehrer fühlte sich die in Beverly Hills in bescheidenen Verhältnissen lebende alte Dame bald vor den Kopf gestoßen. Nach ihrem Sieg im Restitutionsstreit bot sie die Bilder daher auch nicht mehr dem Belvedere zum Rückkauf an, sondern ließ sie versteigern. Und wo befindet sich „Adele“ jetzt? Seit Juli 2006 ist sie in der Neuen Galerie New York von Ronald S. Lauder ausgestellt. Lauder erwarb das Porträt um die damalige Rekordsumme von 135 Mio. Dollar. 2011 starb Maria Altmann mit 94 in Los Angeles.
Für kulturbeflissene Touristen zählt ein Besuch im Belvedere seit langem zum absoluten Muss. Klimt, der exzessive Künstler, hinterließ an die 4.000 Zeichnungen. Bei Gemälden ist man schon über eine zweistellige Zahl froh. Mehr Klimt in Öl und Blattgold als hier ist nirgendwo zu sehen. Die jahrelange Diskussion um die Restitution der "Adele Bloch-Bauer I" steigerte den Zustrom noch mehr. Agnes Husslein-Arco (Foto), seit 2007 Dirkektorin der Österreichischen Galerie Belvedere: "Die Restitution des Porträts ,Adele Bloch-Bauer I' und der damit verbundene nicht-öffentliche Privatverkauf zum bis dato höchsten Kaufpreis für ein Gemälde führte zu einer enormen Steigerung der Bekanntheit Gustav Klimts.
Mit der im Belvedere beheimateten, weltweit größten Gustav Klimt-Gemäldesammlung können wir dem steigenden, großen Interesse der Öffentlichkeit, das sich in den letzten 20 Jahren vervielfacht hat, bestens nachkommen. Für unsere jährlich über 1 Million Besucher zählten die Jugendstilikonen ,Kuss' und ,Judith' zu den absoluten Highlichts."
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