Hollywood liebt Görliwood

Hollywood liebt Görliwood
Am östlichsten Punkt Deutschlands liegt eine Stadt, die nicht nur Hollywood-Stars verzaubert. Zu Besuch im sächsischen Görlitz, das mehr zu bieten hat als schöne Kulissen. Vielleicht sogar Stoff für einen neuen Film.

Was wäre Görlitz ohne Hollywood? Eine kleine deutsche Stadt in Sachsen. Traumhaft schön, aber unbekannt, unerkannt und unentdeckt. Ja, fast vergessen im Abseits. Und eine Stadt, die eher wegen Arbeitslosigkeit und Abwanderung in den Schlagzeilen wäre, als mit der Welt des Glamours in Verbindung gebracht zu werden. Doch Görlitz hat Glück, hat gerade einen besonders guten Lauf und erlebt einen Höhepunkt als beliebte Filmstadt.

Görliwood“ – den Namen ließ sich die Stadt erst vor Kurzem schützen – hatte schon viele internationale Stars zu Besuch: Jackie Chan, Kate Winslet und Quentin Tarantino zum Beispiel. Doch so viele Hollywoodgrößen, wie im Winter 2013 gleich für mehrere Monate in Görlitz arbeiteten, das grenzte fast an ein Wunder Auch deshalb, weil dabei der vielbeachtete Eröffnungsfilm der Berlinale entstand.

Sie waren also alle zur selben Zeit da: Ralph Fiennes, Bill Murray, Tilda Swinton, Adrian Brody, Jeff Goldblum, Willem Defoe und der Regiezauberer Wes Anderson. Ein ganzes Hotel nahmen die Schauspieler für sich in Beschlag. Mehr als 200 Filmleute wurden in Ferienwohnungen und anderen Hotels einquartiert. Da war was los in der 55.000-Einwohner-Stadt, in den Lokalen und Fitnesscentern. Es wurde ja nicht nur gearbeitet, sondern auch gelebt.

Görlitz hat den berühmten Besuchern gefallen. Wes Anderson etwa. Er würde zwar nicht gleich hierher ziehen, wie er der „Zeit“ verriet, aber er hatte in der östlichsten Stadt Deutschlands die Traumkulisse für seinen schrill-bonbonbunten Film „Grand Budapest Hotel“ gefunden. „Ein unglaubliches Gebäude. Beim Dreh habe ich gedacht, ich sollte es vielleicht mit Freunden kaufen“, sagte er. Und meinte damit Deutschlands, wenn nicht sogar „Europas schönstes Jugendstilkaufhaus“, wie es in der Euphorie auch gerne genannt wird.


Das einstige Warenhaus steht seit der Hertie-Pleite 2009 leer und war bis vor Kurzem dem Verfall ausgesetzt. Doch dann wurde es zu besagter Kulisse und kam in die Zeitung. Ein Unternehmer mit Bezug zur Gegend wurde aufmerksam. Er erinnerte sich sofort an Ausflüge als Kind in dieses Kaufhaus – ein Highlight auch zu DDR-Zeiten – und erwarb es.

Eine Stadt atmet auf. Es besteht Hoffnung, dass so wieder mehr Leben in die City kommt. Der Unternehmer möchte ein KaDeO (Kaufhaus der Oberlausitz) daraus machen. Nette Idee, finden alle, die sich dabei an das KaDeWe (Kaufhaus des Westens) erinnert fühlen. Und der Film, der Anfang März in den Kinos anläuft, wird schon jetzt für die Schönheit des Gebäudes werben: Die Hälfte der Szenen wurden in der Jugendstil-Schönheit gedreht. Sicher ein gutes Omen.

Aber was hat Görlitz sonst noch, was andere Städte nicht haben? Zum Beispiel zurückhaltende, gastfreundliche Einwohner. Filmbeauftragte Kerstin Gosewisch: „Egal, wer bisher hier war, die Stars konnten sich frei bewegen. Sie joggen, kaufen ein und essen, ohne Kreischalarm erleben zu müssen.“ Der Görlitzer geht zwar mehr in Lokale, um doch einmal den ein oder anderen Star zu sehen, aber das Miteinander sei völlig unaufgeregt. Da gibt es etwa den Restaurantbesitzer, der Jeff „Jurassic Park“ Goldblum den Schlüssel zu seinem Lokal gab, damit der dort jederzeit Klavier spielen könne. Oder den Bürgermeister, der auf dem Untermarkt spontan mit der Make-up-Artistin tanzte, um ihren frisch verliehenen Oscar zu feiern, den sie direkt aus L.A. mitgebracht hatte.

Gosewisch: „Man lässt die Filmleute hier in Ruhe arbeiten, es beschwert sich auch keiner, wenn einmal ein ganzer Straßenzug gesperrt ist.“ Die Bewohner haben gelernt, dass sie davon profitieren, wenn ihre Heimat als Filmstadt bekannt wird, das hat sie selbstbewusster gemacht und auch ein bisschen stolz auf ihr Görlitz. Aber nicht abgehoben, denn das Filmgeschäft ist ein Schnelles, hängt auch von der Verteilung der Filmförderungen ab, und da Sachsen noch mehr Kulissen zu bieten hat, ist die größte Chance jetzt, erst einmal darauf aufzubauen. Der Tourismus könnte eine Einnahmequelle sein, die eine dauerhafte Perspektive bietet. „Wer kommt, um die Stadt zu besuchen, sollte nicht zu wenig Zeit einplanen“, sagt Stadtführerin Karina Thiemann. „Jeder, der uns zum ersten Mal besucht, ist überrascht, wie viel es zu sehen gibt, weil keiner damit rechnet.“ Genau genommen sind es 4.000 denkmalgeschützte Gebäude, von der Gotik über die Renaissance bis zur Gründerzeit, die eine fast tausendjährige Geschichte erzählen.

Hier ist der Untermarkt mit dem Hotel Börse Kulisse für den Kinofilm "Die Bücherdiebin", der demnächst ins Kino kommt ...

Hollywood liebt Görliwood
Download von www.picturedesk.com am 07.02.2014 (10:12). Preparations are under way for the filming of 'The Book Thief' at Untermarkt in Goerlitz, Germany, 26 March 2013. A book burning is to be reenacted in the night under strict security arrangements in the historic part of the town. 'The Book Thief' will be shown in German cinemas in spring 2014. Photo: Jens Trenkler - 20130326_PD6887

... und hier für "Goethe!" (gr. Bild). Alles ist echt, keine Pappe an den Fassaden, nur am Schnee musste herumgebastelt werden

So gibt es eine komplette Gründerzeitzeile, wie sie sonst kaum zu finden sein wird, Renaissancefassaden, so schön, dass Tarantino auf dem Görlitzer Stadtturm seiner Begeisterung freien Lauf ließ. Und so schön, dass Nicolas Cage vor Jahren in der Gegend ein Schlösschen oder eine Villa kaufen wollte. Und so schön, dass die Stadt jedes Jahr eine anonyme Spende von 500.000 Euro bekommt, die zweckgebunden für die Restaurierung der in DDR-Zeiten marod gewordenen Fassaden verwendet werden müssen. In diesen Tagen sollte das Geld wieder eintrudeln. Zum 20. Mal. Jedes Jahr wird gebangt, dass die Quelle versiegt. Auch irgendwie Stoff für ein Drehbuch. Denn der oder die Spenderin will anonym bleiben, hat von Beginn an deutlich gemacht, dass die halbe Million sofort eingestellt wird, sollte jemand versuchen, die Identität auszuforschen. „Bestimmt eine ganz reiche, alte Dame“, rutscht es Kerstin Gosewisch raus. Und besinnt sich sofort wieder: „Es ist gut, es nicht zu wissen, das ist viel reizvoller und spannender.“ Ach, diese Filmleute. Liegt ja auf der Hand, wahrscheinlich hat sie für einen Moment an Friedrich Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“ denken müssen, nur eben als Märchen. Vielleicht ein bisschen schrill, ein bisschen bunt und verrückt.
Wes Anderson arbeitet bestimmt schon daran ...

DAS KOMMT AUF DEN TISCH

"Schlesisches Himmelreich"

Vielleicht nicht jedermanns Geschmack, aber allein wegen des Namens möchte man das bestellen. Was es ist? Eine Art Selchkarree, besonders zubereitet mit Dörrobst und Kartoffelklößen.

HIER GIBT’S ZU ESSEN

Lucie Schulte

Jeff Goldblum durfte sich hier spontan ans Klavier setzen. Danach lieh ihm der Besitzer den Schlüssel fürs Lokal, damit der Star jederzeit spielen könne. Super. Auch das Essen. Untermarkt 22, www.lucieschulte.de

Patrizierhaus St. Jonathan

Auf der einen Seite mittelalterliches Steinhaus, innen Tonnengewölbe und Wandmalereien, dazu gotische Kreuzstockfenster. Und das Essen schmeckt nicht nur Hollywood.

Peterstraße 16, www.goerlitz-restaurant.de

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Ratscafe

Einen "Pot Kaffee und einen schlesischen Streuselkuchen" gibt’s im Ratscafé um 3€. Gemütlicher Platz und beliebter Treffpunkt, um im Sommer draußen zu sitzen. Mit Blick aufs Hotel Börse und die Neorenaissancefassade des Rathauses. Untermarkt 24

Hotel Börse

Die Stars von "Grand Budapest Hotel" wohnten hier. Das Palais im Bild (u.) ist auch Kulisse für den Film "Die Bücherdiebin". Wien, Paris, Venedig – die Zimmer tragen die Namen europäischer Städte. Jeder Raum ist ein kleines Juwel. Dazu gehört auch die sympathische Herberge zum 6. Gebot, klein, fein, romantisch.

Untermarkt 16, boerse-goerlitz.de

Romantikhotel Tuchmacher

Kate Winslet und andere internationale Schauspielkollegen haben sich hier schon ausgeruht. Renaissance-Bürgerhaus – natürlich in der Altstadt.

Peterstraße 8, www.tuchmacher.de

Heide- und Teichlandschaft

Das ehemalige Braunkohlegebiet unweit der Stadt wurde geflutet, eine wunderschöne Seenlandschaft ist entstanden.

www.oberlausitz-heide.de

Nikolaifriedhof

Vielleicht der schönste Friedhof von überhaupt. Hat eine skurrile, magische Kulisse und ist sicher auch drehorttauglich. Schöner Panoramablick auf Görlitz.

Bautzen

Eine halbe Stunde von Görlitz entfernt ist das kulturelle und politische Zentrum der Sorben. Hier kann man sorbische Kultur erleben. Ein Höhepunkt ist die Prozessionen der Osterreiter. www.bautzen.de/tourismus.asp

Anreise: Von Wien mit dem Auto über Brünn, Prag und Liberec. Die 55.000-Einwohner-Stadt liegt nur 490 km von Wien entfernt und 110 km von Dresden. Mit dem Zug gibt es Tickets ab 39€. Unter acht Stunden geht aber nichts. www.goeuro.de

Info: Die nach 1945 geteilte Stadt nennt sich heute "Europastadt Görlitz/Zgorzelec". Jahrzehnte getrennt durch die DDR-Grenze, kann man seit 2007 ohne Kontrollen die Seiten wechseln. Der deutsch-polnische Alltag und die Zweisprachigkeit sind gelebte Normalität. Wer über die Altstadtbrücke geht, kann aber auch ein anderes Land mit einer eigenen besonderen Kultur erleben. www.goerlitz.de

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