Näher zum Himmel: Die Geschichte der Plateauschuhe
Es geht hoch her im Herbst. Dabei waren die Plateauschuhe doch gerade erst angesagt. Und zwar nicht nur einmal innerhalb weniger Jahre.
Vom Tod der Modeindustrie mit seinen gewohnten Zyklen hat die Trendforscherin Li Edelkoort bereits vor ein paar Jahren gesprochen. Verantwortlich dafür sind wohl das Internet und die kurzfristigen Kopiermöglichkeiten der Fast-Fashion-Industrie, wie Lara Steinhäußer, Kustodin der Sammlung Textilien und Teppiche vom MAK, sagt: „Dieses ‚Anything goes‘ könnte mit ein Grund sein, weshalb wir auch Plateausohlen in der letzten Zeit häufiger gesehen haben.“
Generell sei aber zuletzt die Sohle zu einem wesentlichen Gestaltungselement im Schuhdesign geworden. Man denke nur an die ausladenden Sneakersohlen von Balenciaga oder Yeezy.
Von der Masse abheben
Auch wenn sie offenbar gekommen sind, um zu bleiben. Plateaus gefallen bei Weitem nicht allen. Manche Mediziner warnen vor dem Verknöcheln und selbst einige eingefleischte Fashionistas halten sie für bizarr, seltsam oder einfach nur hässlich. „Stelzenhohe Sohlen und Absätze dienen schon seit Langem dazu, sich im wahrsten Sinne des Wortes von der Masse abzuheben‘“, erklärt die Modeexpertin.
Im antiken Griechenland trugen Schauspieler im Amphitheater stelzenartige Kothurnen mit dicken Sohlen aus Kork. Vor allem, wenn sie „höherrangige Figuren wie Götter oder Heroen“ darstellten. Da bekommt der Name Ödipus, der als Schwellfuß übersetzt wird, gleich eine neue Bedeutung. Der hellenischen Damenwelt gefiel das ausnehmend gut. Wenn sie schon keine Frauenrollen spielen durften, so übernahmen sie zumindest die Treter der Theaterwelt.
Weniger aus freien Stücken trugen Frauen im arabischen und asiatischen Kulturraum klobige Schuhe mit hohen Hartholzsohlen. Das unbequeme Schuhwerk sollte „Frauen an eigenmächtigen Gängen außer Haus hindern – eine Art Keuschheitsgürtel für die Füße“, weiß der Spiegel zu berichten.
Handelspartner bis Hamlet
In Europa kamen Plateaus bei hölzernen Clogs des Mittelalters auf. Und richtig modisch wurden sie in der Renaissance ab dem 15. Jahrhundert. Ursprünglich sollten umschnallbare Holzsohlen die teuren Schuhe vor den Grauslichkeiten, die sich damals auf den Straßen türmten, schützen. Davon inspiriert, machten sich aus Spanien die „Chopinen“ – Schuhe mit hoher Korksohle – auf, den Kontinent zu erobern. Das ist zumindest die eine Erklärung. Die andere: „Als möglicher Ursprung dieser Plateaumode wurde der Kontakt mit arabischen bzw. östlichen Handelspartnern identifiziert“, sagt die MAK-Kustodin Steinhäußer.
Auf jeden Fall: Die Schuhe haben es sogar bis in William Shakespeares Hamlet geschafft. „Eure Ladyschaft befindet sich näher am Himmel als damals“, bemerkt der Dänenprinz dort zu einer Dame, „als ich Euch erhöht sah durch Chopinen“.
In Venedig, wo man das Außergewöhnliche immer schon liebte, waren auf einmal Schuhe mit bis zu 70 Zentimeter hohen Absätzen modern. Die Frauen konnten sich dann nur mehr noch abgestützt an Dienern bewegen. „Im Fall der ‚gut betuchten‘ Damen geht man davon aus, dass die durch die zusätzliche Körpergröße erforderliche Stoffmenge der Röcke den persönlichen Reichtum demonstrieren sollte“, erklärt Steinhäußer. Aber in Venedig liebte man immer auch das Lasterhafte. Und die dortigen Kurtisanen zogen sich auch hohe Schuhe an – so konnten sie hervorragend Freier von der Ferne ausmachen. Der gute Ruf war dahin.
Nördlich der Alpen ließ man mancherorts derartiges nicht einreißen. In der Nürnberger Kleiderordnung von 1562 war das Tragen bei Androhung von Strafe verboten. Und im England des 16. Jahrhunderts konnte ein Mann die Ehe annullieren lassen, wenn ihn die Braut mit Chopinen unter dem Kleid eine falsche Größe vorgetäuscht hatte.
In Japan haben sich unabhängig davon Geta-Sandalen aus Holz entwickelt, die eigentlich auch dazu dienen sollten, den Dreck fernzuhalten. Es gibt unterschiedliche Modelle, die von unterschiedlichen Gruppierungen getragen wurden. Jene, die Kurtisanen anhatten, wurden niemals von Geishas (die eben keine Prostituierten waren) getragen.
„Im ‚Westen‘ des 20. Jahrhunderts finden sich Plateausohlen in der Damenmode bei Badeschuhen ab den 1920ern“, sagt Steinhäußer. Da wollte man sich wie schon ab dem Mittelalter keine dreckigen Füße holen. Auch zur Zeit des Zweiten Weltkriegs kamen hohe Sohlen auf. Weltberühmt wurden Salvatore Ferragamos regenbogenfarbene Sohlen, mit denen Judy Garland zur Premiere des „Zauberer von Oz“ kam.
Es ging aber nicht nur nett, sondern auch subversiv zu. So finden sich „in den jazz-affinen Gegenkulturen der Kriegszeit wie bei den Zazous in Frankreich oder den Wiener Schlurfs auch gekreppte Plateausohlen für Männer“, erklärt Steinhäußer. Auch die nach dem Zweiten Weltkrieg von Nordafrika bzw. London ausgehenden „(Brothel) Creepers“ der Rockabilly-Kids weisen recht hohe Sohlen für Männer auf.
Kleine Männer
Bei den Herren waren etwas später höhere Schuhe auch wegen eines Tabus kein Tabu. Mann wollte nicht klein sein. Daher waren etwa TV-Programmhefte voll mit Anzeigen für Lift- oder Aufzugschuhe, wie die Süddeutsche berichtet. Die machen um ein paar Zentimeter größer. Wer die anzog, war in guter Gesellschaft. Humphrey Bogart bekam beim Dreh von „Casablanca“ Plattform-Absätze angeschnallt. Er sollte nicht kleiner aussehen als seine Partnerin Ingrid Bergman.
Der starke, große Mann. Die zarte, verletzliche Frau. Damit war es dann aber bald einmal vorbei. Ab den späten 60er- und frühen 70er-Jahren waren die Plateauschuhe wieder da. „Sie unterstrichen mit ihren starken Formen die sexuelle Emanzipation und Freiheit der Frau, als Gegenpol zu den zarten, verletzlichen Pumps der frühen 60er-Jahre“, schreibt die Vogue.Kurz darauf setzte auch die sexuelle Befreiung des Mannes ein. David Bowie spielte als Ziggy Stardust mit einer angeblichen Homosexualität und zog sich hohe Schuhe an.
Andere Glam-Rocker zogen mit. Die New York Dolls gingen in Dragqueen-Läden einkaufen. Die Mannen von Kiss ließen es nicht nur pyrotechnisch, sondern auch fußtechnisch krachen. Die eher bravere Abteilung wie Elton John und die Herren von ABBA machten auch mit. „Das Revival der Plateausohlen der 1960er- und 1970er-Jahre bezieht sich wohl wieder auf die Mode der Kriegszeit. Yves Saint Laurent hat hier beispielsweise explizit auf diese Zeit mit Plateauschuhen Bezug genommen“, sagt Steinhäußer.
Bei Männern, die Plateauschuhe mit Absätzen trugen, „handelt es sich in der Extremausprägung jedoch vor allem um Bühnenfiguren. In der Alltagskleidung scheint Geschlechtscodierung weiterhin bis heute stark verbreitet – erkennbar zum Beispiel im Umstand, dass fast ausschließlich Frauen hohe Absätze tragen“.
Etwas später schlüpften die Anhänger der Gothic-Szene mit kühler Begeisterung in ganz hohe Stiefel – oft auch mit großen Schnallen, die von der Fetisch-Szene übernommen wurden. Das wiederum inspirierte etwa Punk-Pionierin Vivienne Westwood. Diese schickte Naomi Campbell bei ihrer Show 1993 in Paris mit extrem hohen, geschnürten Plateaustiefeln auf den Laufsteg. Das Top-Model stolperte und fiel hin. Das sollte übrigens später öfter auf den Runways der Welt vorkommen, dass die Damen wegen hoher Absätze umknickten und trotzdem einen bemüht ernsthaften Gesichtsausdruck aufsetzten.
Anfang bis Mitte der 90er steppten neben dem Bär auf einmal auch Sneaker mit Plateau-Sohlen auf den Tanzböden der großen Raves. Die Buffalo Boots waren da – die dann ein paar Jahre später schwer in Verruf kommen sollten. Was wenige wissen: Angestoßen hat den Trend der schrille Frankfurter Techno-DJ Sven Väth, der mit dem Buffalo-Gründer befreundet war. Väth war damals der Szene-Superstar und was er machte, setzte Trends bei jungen Menschen.
Großraum-Disco und Talkshow
Die damals bei wohl noch jüngeren Menschen – hauptsächlich Mädchen – schwer angesagten Spice Girls entdeckten ebenfalls die Buffalos. Und zeigten der Welt, dass man auch mit 10 bis 15 Zentimeter hohen Sohlen hyperaktiv herumhopsen kann. In den späteren Neunzigern waren die Schuhe omnipräsent, bevor sie nur mehr noch auf deutschen Privatsendern in Nachmittags-Talkshows und in Großraum-Discos zu sehen waren. Dann hatte die Modewelt eine Weile genug davon.
Ab den 2010ern tauchten die hohen Absätze anfangs noch spärlich, wenn sie es dann taten, dafür umso brutaler auf. Vielfach waren sie von der Fetisch-Szene inspiriert, waren sehr hoch und voll von glänzendem Lack. Wenn es um Anklänge aus der Lack- und Leder-Ecke geht, ist Lady Gaga immer vorne dabei. Sie lebt gerne auf hohem Schuh – und musste auch schon bei Auftritten gestützt werden, so hoch und unpraktisch waren ihre Treter.
Keine Gehhilfe brauchte sie aber bei den auch sehr spektakulären und ikonisch gewordenen Armadillo Boots aus Alexander McQueens „Plato’s Atlantis“-Kollektion. Die hat sie zu ihrem Markenzeichen gemacht. Mit den funkelnden Schuhen stolziert sie auch gekonnt durch das Video zu ihrem Song „Bad Romance“ und schmettert: „Walk, walk, fashion baby.“
Plateau Boots
Wer gerne maskuline, Army-inspirierte Stiefel trägt, sollte seine Chelseas oder klassischen Combat-Boots (auch hohe Schnür-Modelle) mit Skinny Jeans, kurzen Mänteln und Röcken oder zu Glockenhosen tragen (hier aber bitte nur spitze Modelle und keine Square-Kappen, sonst wirkt es zu retro und zu grob).
Plateau-Sandalen
Sie passen zu langen Kleidern (eher Modelle ohne Absatz), genauso wie zu weiten Hosen. Wer will, zieht zu Modellen mit Absatz Socken in Kontrastfarben an und kombiniert sie mit Kleidern oder Midi-Röcken.
Plateau-Sneakers
Egal ob von Gucci, Jil Sander oder New Balance, sie passen vor allem gut zu weiten Hosen, die aber über die Schuhe reichen sollten, sowie zu Midi-Röcken.
Von Florentina Welley
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